2008-10-12
Seligsprechung
oder die Geburtsstunde einer Legende
Das Qualifying zum Großen Preis von Japan, der diesmal wieder in Fuiji gefahren wird, zwingt mich am Samstag um 6:45 Uhr aus den Federn. Recht müde schleppe ich mich ins Wohnzimmer und stelle den Fernseher an. Und weil der SAT – Receiver immer ein bisschen braucht, um seine Software hochzufahren, läuft derweil noch ORF 2.
Was macht der junge Hojac vlg. Westenthaler Peter vor 7 Uhr in der Früh im Fernsehen? Denke ich mir ziemlich verschlafen. Noch dazu in einer Sonder- ZIB. Live! Mit der Finanzkrise kann das ja nix zum tun haben. Soviel Geld liegt bei den Bienenzüchtern (Copyright Ewald Stadler) auch wieder nicht herum, dass es einer Erwähnung wert wäre. Da muss was Gröberes passiert sein, denke ich noch, als der Fernseher bereits verkündet: Jörg Haider ist tot. Autounfall, Überholmanöver, in eine Mauer gekracht, mehrmals überschlagen und gedreht, schwere Kopf- und Brustverletzungen, noch beim Transport ins Krankenhaus verstorben, Straßensperre ...
Schlagartig ist der 31. August 97 in meiner Erinnerung präsent. Da ist in Paris die geschiedene Frau vom englischen Thronfolger in einen Brückenpfeiler gekracht. Samt Auto, Chauffeur und neuem Freund. Da ist es mir ähnlich ergangen wie gestern. Eigentlich war mir die Frau wurscht, aber es hat mich ganz eigenartig berührt, welche Massenphänomene nach ihrem Tod aufgetreten sind. Außerdem habe ich trotz meines Desinteresses an Lady Di, der Königin der Herzen, den Fall ganz genau in den Zeitungen und im Fernsehen verfolgt. Und jetzt also der Haider Jörg und das gleiche Gefühl.
Früher, als ich die Politik noch nicht durchschaut habe, hätte ich mich innerlich über so eine Meldung „gefreut“. Heute ist es mir eigentlich ziemlich wurscht. Weil als großer Haider-Fan war ich ja ohnehin nie bekannt. Und dennoch wird mir schon bei den ersten Wortmeldungen, der im Fernsehen befragten Personen eines klar: Mit diesem Unfall auf der Rosentalerstraße ist gestern etwas passiert, was Kärnten die näxten Jahrzehnte begleiten wird.
Eine Legende wurde geboren. Ein neuer Mythos beginnt seine unsägliche Wirkung über dem Land zu entfalten. Als ob der Abwehrkampfmythos nach 88 Jahren plötzlich nicht mehr ausreichen würde. Die Menschen, die den ganzen Tag in den Medien über Haider berichten, setzen praktisch noch am Tage seines Todes seine Seligsprechung durch.
OK, denke ich mir, es sei dem Jörgl gegönnt. Weil der hat sich für die Politik wirklich zerrissen. Tag und Nacht, Jahr für Jahr – Wahlkampf pur. Geschimpft haben wir über die Unappetitlichkeiten des Dr. Haiders ja genug und vor allem, auch im Angesicht dieser menschlichen Tragödie, trotzdem zu Recht. Soll er von mir aus halt eine gute Nachrede haben, der Bärentaler. Und fast kommt es mir so vor, als ob der Jörg ein letztes Mal eine seiner genialen, populistischen Aktionen ausgepackt hat, und die ganze gestrige Geschichte schon lange geplant war.
Und wenn er dann zu Weihnachten hier in Kärnten endlich heilig gesprochen wird, dann hält er noch selbst die Laudatio. Im Anschluss daran eröffnet er in Klagenfurt das Dr.-Jörg-Haider-Gymnasium. In der Dr.-Jörg-Haider-Straße, die wiederum direkt hinaus führt zum Dr.-Jörg-Haider-Stadion, vorbei am Dr.-Jörg-Haider-Theater. Der 11. Oktober wird in Kärnten, neben dem 10. Oktober und dem Josefitag (19. März), zum Landesgedenkfeiertag.
Apropos Landespatron. Der heilige Josef hat seine Schuldigkeit als Ebensolcher getan. Der heilige Jörg, dem im ganzen Land unzählige Kirchen geweiht werden, und nach dem praktisch jede Gemeinde in Kärnten ihren Hauptplatz oder die größte Strasse benannt hat, wird zum Kärntner Übervater. Andreas Hofer, Che Guevara, Bruno Kreisky und Franz Josef Strauss schauts herunter.
Die nach ihrem Messias Jörg benannte Religion wurde noch am Abend seines Todestages von Stefan „Petrus“ Petzner gegründet. Auf ihn, so hat es der junge Mann selbst in einer der 23 Gedenksendungen gesagt, wollte der Jörg seine Kirche sowieso aufbauen. Die näxten 100 Jahre wird in Kärnten sicher kein Gesetz verabschiedet, das nicht „Im Sinne“ von Jörg Haider ist. Der Verein „Freunde des verblichenen Jörg Haider“ entscheidet was „Im Sinne“ von Jörg Haider ist.
Das BZÖ wird im März 09 bei der Landtagswahl um die 60 Prozent erreichen. Das sind wir unserem Landeshauptmann sel. schließlich schuldig. Danach werden Wahlen zum Landtag bei uns prinzipiell nicht mehr durchgeführt, sondern der Verein „Freunde des verblichenen Jörg Haider“ setzt nach einem kurzen Objektivierungsverfahren den treuesten Haiderianer auf den Posten des Landeshauptmannstellvertreters. Landeshauptmann bis in alle Ewigkeit bleibt natürlich Jörg Haider sel. selbst.
Ihm werden als Totem immer noch größere politische Fähigkeiten zugetraut, als allen noch lebenden BZÖlern zusammen. Diesen Eindruck erhalte ich am 11. Oktober beim Konsumieren der TV – Nachrichten. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass in meinem geliebten Kärnten eine Massenhysterie am ausbrechen ist, die uns Nichtbeteiligte die Zeit des lebenden Dr. Haiders noch einmal zurückwünschen wird lassen, und von der noch nicht abzusehen ist, wohin sie Kärnten führen wird.
Das Qualifying hat übrigens der Lewis Hamilton gewonnen.