2005-07-16
Frankreichausflug - 16
Pathos pur - die Pyrenäen
Wie kann ich Ihnen den heutigen Abschnitt beschreiben? Ich probiers mal so. Nehmen Sie die gestrige Etappe als Basis, die 173 Kilometer lang, und bestenfalls leicht hügelig war. Dann hängen Sie 57 Kilometer dran. 23 Kilometer davon durchschnittlich 8,2% steil. Und schon sind Sie oben in Ax 3 Domaines, inmitten der Pyrenäen.
220 Kilometer, auf denen heute Klartext geredet wird. Geredet werden muss. Denn es ist für mich d e r Tag, der zeigen wird, ob Lance Armstrong durch seine physische oder nur durch seine psychische Anwesenheit zum 7. Toursieg in Serie spazieren wird. Greifst du ihn heute nicht an, dann hast du auf Lebzeiten die Chance verpasst den Texaner zu schlagen. Weil, dann rollt er nach Paris und tritt als der große Ungeschlagene, als die personifizierte Unbesiegbarkeit in den Ruhestand. Und dann sollten die von der Societe das gelbe Trikot überhaupt nicht mehr vergeben. So wie es beim Eishockey mit den ganz großen Spielern und deren Trikotnummern geschieht.
Wenn du ihn also noch knacken willst, dann muss es heute sein. All die Rasmussens und Bassos, die Boteros und Ullrichs, die Vinokourows und Leipheimers, müssen heute die Hosen runterlassen. Und dann werden wir ja sehen, wer die Eier hat, dem großen Armstrong, Aug in Aug, auf seinem ureigensten Terrain, die Schneid abzukaufen. Das ist der Kreissaal, in dem Tourlegenden das Licht der Welt erblicken.
So ein Tag ist das heute.
Und wenn Sie mich fragen, gibt’s heute Hühnchen. Es wird Rasmussen-Tag. Der Tag, des milchgesichtige Däne, dessen Spitzname Chicken ist. Weil, wenn der am Podium steht und sein Bergtrikot überzieht, da müssen Sie schon zweimal hinschauen, um überhaupt Beine zu erkennen. Da schauen die Haxen von einem Hendl direkt muskulös aus. - Aber so was von Storch, der Bursche. Aber dem seine Unbekümmertheit kann den Radsport die Leichtigkeit eines Marco Pantani zurückgeben, die unter der Ernsthaftigkeit des Generals Armstrong und der ostdeutschen Militärmischmaschine Ullrich begraben liegt.
So, oder so ähnlich, hab ich mir das in der Nacht halt noch vorgestellt.
Die Mannschaften sind natürlich schon geschunden und teilweise dezimiert. Die Fahrer sind von den vielen Stürzen gezeichnet und kommen teilweise schon am Zahnfleisch daher. Aber das Lied haben die Pyrenäen schon oft gehört. Beeindrucken haben sie sich dadurch noch nie lassen. Die Berge werden den Fahrern das Letzte abverlangen und nochmals erbarmungslos aussieben. Aber sie sind gerecht. Wer nicht vorbereitet ist, den werfen sie ab. Aber denjenigen, der ihnen jeden Meter der steilen Rampen ehrlich abgerungen hat, denjenigen belohnen sie mit einem Platz in der Halle des ewigen Radsportruhmes. Hier, in dieser Wiege der Legenden, sind in der über hundertjährigen Geschichte dieser Tour, Sterne aufgegangen, aber auch Kometen verglüht. Man kann das Pathos sogar hier in Völkendorf noch spüren.
Genießen wir den Tag.
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So die Etappe ist geschlagen und sie hat gehalten, was sie uns versprochen hat.
Eines gleich vorweg: Der Totschnig Georg, AUT, hat die Etappe gewonnen. Er hat in beeindruckender Manier, praktisch als Solist, aus einer 10er Fluchtgruppe heraus, das Rennen für sich entschieden. Er bringt eine knappe Minute auf Armstrong ins Ziel. Und damit ist die wichtigste Frage des Tages auch schon beantwortet. Armstrong verteidigt nicht nur sein gelbes Trikot, er baut seine Führung sogar aus.
Und dabei kann man wirklich nicht sagen, dass es die Jungs nicht probiert hätten. Im Gegenteil: T-Mobile attackierte in den ersten Berg hinein mit solcher Wucht, dass nach kurzer Zeit Armstrong von seiner Mannschaft isoliert war. Alle anderen, bis auf 9 Mann explodierten ebenfalls. Dann wollten Basso, Ullrich und Mancebo diese Situation nutzen und attackierten, den Ami. Und da hielt er dagegen, wie es nur wirklich große Champions können. Er fuhr das 20 Sekunden Loch alleine zu, als ob es das leichteste der Welt wäre.
Und ab dieser Szene kontrollierte er das Geschehen. Was nicht heißt, dass es die Anderen nicht wieder und wieder probiert hätten. Aber es gab keine Mittel gegen den Mythos Lance Armstrong. 14 Mal wurde er gewogen, sprich angegriffen, und zum Schluss wurde er 14 Mal als zu schwer befunden. Sein ganz großer Triumph wurde nur vom heroisch kämpfenden Georg Totschnig leicht gestört. Damit glaube ich, sollte den Gegnern des Texaners auch die Moral gebrochen worden sein und der Weg frei sein für seinen 7. Toursieg.
Ein Wort noch zum Rasmussen. Der hat heute leider nicht seinen besten Tag gehabt, was aber nicht heißt, dass er abgestunken wäre. Er bleibt Gesamtzweiter. Aber gerade von dem unbekümmerten Dänen, habe ich mir heute mehr erwartet, oder vielleicht auch nur erträumt.
Hier die Etappenwertung:
1 TOTSCHNIG Georg GST AUT
2 ARMSTRONG Lance DSC USA 00' 56"
3 BASSO Ivan CSC ITA 00' 58"
4 ULLRICH Jan TMO GER 01' 16"
5 LEIPHEIMER Levi GST USA 01' 31"
6 LANDIS Floyd PHO USA 01' 31"
7 MANCEBO Francisco IBA ESP 01' 47"
8 RASMUSSEN Mickael RAB DEN 01' 47"
9 KLÖDEN Andréas TMO GER 02' 06"
10 ZUBELDIA Haimar EUS ESP 02' 20"
In der Gesamtwertung sieht es jetzt wie folgt aus:
1 ARMSTRONG Lance DSC USA
2 RASMUSSEN Mickael RAB DEN 01' 41"
3 BASSO Ivan CSC ITA 02' 46"
4 ULLRICH Jan TMO GER 04' 34"
5 LEIPHEIMER Levi GST USA 04' 45"
6 LANDIS Floyd PHO USA 05' 03"
7 MANCEBO Francisco IBA ESP 05' 03"
8 KLÖDEN Andréas TMO GER 05' 38"
9 VINOKOUROV Alexandre TMO KAZ 07' 09"
10 MOREAU Christophe C.A FRA 08' 37"
11 JAKSCHE Jorg LSW GER 08' 52"
12 EVANS Cadel DVL AUS 09' 14"
13 POPOVYCH Yaroslav DSC UKR 09' 59"
14 TOTSCHNIG Georg GST AUT 10' 39"
Wer trägt die Trikots?
Gelb (Gesamtführender): ARMSTRONG Lance USA
Grün (bester Sprinter): HUSHOVD Thor NOR
Polka (Bergpreisbester): RASMUSSEN Mickael DEN
Weiß (bester Rookie): POPOVYCH Yaroslav UKR
Team: T-MOBILE
Wo sind die kärnöl-Radler:
Ivan Basso (Italien), Position 3; -2´46”
Santiago Botero (Kolumbien), Position 28; -32´12"
Alexander Vinokourov (Kasachstan), Position 9; -7´09"
Lance Armstrong (USA), Position 1;
Jan Ullrich (Deutschland), Position 4; -4´34"
Iban Mayo (ESP), Position 53; - 1h 09´32"
Alejandro Valverde (ESP), ausgeschieden
Roberto Heras (ESP), Poition 41; - 57´33"
Levi Leipheimer (USA), Position 5; 4´45"
Yaroslav Popovych (Ukraine), Position 13; - 9´59"
Soweit für heute. Bis morgen. Keep on cycling.