2005-07-07
Frankreichausflug - 7
Und täglich grüßt das Murmeltier
Wir starten heute unsere tägliche Ausfahrt zirka 120 Kilometer süd-östlich von Paris, im Tal der Seine, im Herzen der Champagne. Im liebliche Städtchen Troyes. Das alleine löst bei mir wunderschöne Assoziationen aus. Ich denke an Essen und Trinken in einer herrlichen Landschaft. An Chateaus, die sich in die Landschaft fügen, als wären sie in ihr gewachsen. An alte Männer die in schmalen, mittelalterlichen Gassen Boule spielen. An fröhliche Feste, ursprüngliche Märkte und überhaupt an französische Lebensart.
Schaut man allerdings auf der offiziellen Seite nach, wird uns diese romantische Stadt, mit ihrer herrlichen Küche und dem weltberühmten Sprudelwasser, wie folgt beschrieben:
„Im Herzen der Champagne gelegen und als "Kunst- und Geschichtsstadt" bekannt, ist Troyes der ideale Ort für den Spaßtourismus. Mit seinen Museen, seinen Kirchen und seinen Fachwerkhäusern wird Troyes Sie begeistern. Hinzu kommt, dass die Stadt einem umfassenden städteplanerischen Modernisierungsprogramm unterzogen wurde, das all ihre Highlights in neuem Glanz erstrahlen lässt. Troyes, das ist auch brodelndes Leben, das durch kulturelle Veranstaltungen wie dem "Festival der Nächte der Champagne" oder der "Regionalen Jugendbuchmesse" unterstrichen wird.“
Ein herrliches Zeitdokument. Es verdeutlicht uns, wie die, in einen Gott ähnlichen Status erhobenen Tourismusmanager die Quadratur des Kreises schaffen. Sie machen aus einer "Kunst- und Geschichtsstadt", den idealen Ort für Spaßtourismus. Und ohne Modernisierungsprogramms geht gar nichts. Weil, wie soll es sonst bei den kulturellen Events glänzen und funkeln, in Troyes. Und was für lässige Events uns den Mund wässrig machen. Ich kann mir gut vorstellen, wie es auf einer regionalen Jugendbuchmesse brodelt und wie da die Post abgeht. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass Touristiker im Geheimen den Auftrag haben, die Horden von unappetitlichen, Müll und Lärm verursachenden Menschen aus den beworbenen Städten fernzuhalten. Das wäre gut so. Und dann kann ich ihnen auch bescheinigen, dass sie ihren Job verdammt gut machen.
Wir aber sind extra mit dem Rad nach Troyes gekommen, und können uns die Champagne in aller Ruhe, weil bei vernünftiger Reisegeschwindigkeit, anschauen. Und so starten wir gekammpelt und geschneuzt in einen Tag, der uns durch 199 Kilometer französische Landschaftskunst, nach Nancy führt, in die Hauptstadt des Jugendstils.
Leider spielt das Wetter wieder nicht ganz mit, denn ab 14 Uhr sind uns Regenschauer, Wind und teilweise Gewitter prognostiziert.
Das Sportliche ist schnell abgehandelt, weil das Gleiche gilt wie gestern. Und daher gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es doch einmal eine Fluchtgruppe schaffen könnte, das Ziel zu erreichen. Warten wirs ab.
Interessantes Detail am Rande. Mit Zaballa, einen Spanier von Saunier Duval, ist heute erst der erste Fahrer aus der Tour ausgeschieden. Das war in den Jahren davor wesentlich anders.
So, bei Kilometer 31 haben wir die erste Attacke, die Erfolg zu haben verspricht. Mauro Gerosa (Ita-LIQ) und Mengin Christophe (Fra-FDJ) fahren weg und legen relativ rasch Meter zwischen sich und dem Feld. Nur Kroon (Hol-RAB), Kirsipuu (Est-C.A) und Auge (Fra-COF) versuchen zu folgen und schließen tatsächlich auf. Also 5 Mann Spitze.
Heute könnte gelingen, was die Tage bisher unmöglich schien. Bei Rennkilometer 85 haben die Escapados 8´20". Damit lohnt sich auch der Blick auf das Gesamtklassement. Denn der Bestplatzierte der Fünf, Mauro Gerosa (Ita-LIQ), hat nämlich „nur" 4´22" Rückstand. Aber ich bezweifle, dass sich der Armstrong das gelbe Trikot heute ausziehen lässt. Aber auch das Bergtrikot vom Dekker ist in Gefahr, weil der Auge bei den ersten zwei Hügeln, die als Bergwertung gelten, bereits 5 Punkte gemacht hat. Jetzt ist bei den letzten 2 Hügelwertungen also der Kroon gefragt, damit das Polkaleiberl in der Mannschaft Rabobank bleibt. Der Vorsprung ist jetzt nach 116 Kilometern auf 6´20" geschrumpft.
Es sind noch 70 Kilometer bis Nancy. Leider bei ziemlich unfreundlichen Wetter. Aber dies scheint die Burschen nicht zu beeindrucken. Die fahren über 50 km/h Schnitt. Und dementsprechend verringert sich der Vorsprung auf 5´30". Es deutet wieder alles auf einen Massensprint hin. Wird schön langsam ein bisschen fad. Na ja, das scheint halt die Entwicklung des Profiradsports zu sein.
Der Karsten Kroon hat die dritte Bergwertung gegen Auge gewonnen. Das heißt, dass die beiden jetzt gleichauf in der Bergwertung liegen. Der vierte Hügel bringt also dann die Entscheidung, wer ab heute im gepunkteten Bergtrikot fährt.
Der Vorsprung der Spitzengruppe beträgt jetzt zirka 4 Minuten. Und nach drei Rennstunden beträgt der Durchschnitt immer noch 47,5! Starker Raucher darfst du da nicht sein.
Es geht nun hinauf zur letzten Bergwertung. Der Kroon und der Auge belauern sich, werden aber noch vor der Wertung vom Feld aufgesaugt. Trotzdem übernimmt Karsten Kroon von seinem Teamkollegen Erik Dekker das Bergtrikot. Damit haben wir jetzt nur noch einen Mann an der Spitze: Mengin aus Frankreich. Allerdings hat er für die letzten 13 Kilometer nur mehr 35" Vorsprung. Das wird nichts.
Das Wetter ist mittlerweile echt Scheiße. Da wird es echt gefährlich werden zum Schluß, wenn sie sprinten müssen. Aber noch haben wir ja einen Ausreißer, der jetzt vom Cioni aus Italien verfolgt wird. Mengin hat für 7 Kilometer noch 17".
5 Kilometer und noch 23" Vorsprung. Hat sich die 176 Kilometer Flucht von Mengin gelohnt oder waren es leere Kilometer.
4 Kilometer. 18". Ich glaube den lassen sie auf den letzten Metern verrecken.
3 Kilometer. 13". Ich leide mit dem Todgeweihten.
2 Kilometer. 5". Und der Vinokourov versucht es mit einer Attacke. Er fährt zu Mengin auf. Der Franzose ist nach allen Regeln der Kunst gestorben. Und stürzt im gleichen Moment. In einer engen, natürlich nassen Kurve liegt er auf der Schnauze. Und mit ihm und über ihn das halbe Feld. Das kann auch Abstände fürs Klassment geben. Man wird genau schauen müssen, ob der Sturz innerhalb der 1000 Meter Distanz war. Und der Renzo Bernucci nützt die Situation, indem unbeschädigt durch das Chaos kommt und solo über die Linie fährt. Ja, so kanns gehen.
Die Resultate:
Etappe
1 BERNUCCI Lorenzo FAS ITA
2 VINOKOUROV Alexandre TMO KAZ 00' 00"
3 FÖRSTER Robert GST GER 00' 07"
4 FURLAN Angelo DOM ITA 00' 07"
5 HUSHOVD Thor C.A NOR 00' 07"
6 KIRCHEN Kim FAS LUX 00' 07"
7 BORTOLAMI Gianluca LAM ITA 00' 07"
8 MARTINEZ Egoi EUS ESP 00' 07"
9 GLOMSER Gerrit LAM AUT 00' 07"
10 ARVESEN Kurt-Asle CSC NOR 00' 07"
Gesamt:
1 ARMSTRONG Lance DSC USA
2 HINCAPIE George DSC USA 00' 55"
3 VINOKOUROV Alexandre TMO KAZ 01' 02"
4 VOIGT Jens CSC GER 01' 04"
5 JULICH Bobby CSC USA 01' 07"
6 RUBIERA José Luis DSC ESP 01' 14"
7 POPOVYCH Yaroslav DSC UKR 01' 16"
8 NOVAL GONZALEZ Benjamin DSC ESP 01' 26"
9 BASSO Ivan CSC ITA 01' 26"
10 ARVESEN Kurt-Asle CSC NOR 01' 32"
Hier wieder der Blick auf meine Jungs:
Ivan Basso (Italien), Position 9; -1´26”
Santiago Botero (Kolumbien), Position 23; -2´18"
Alexander Vinokourov (Kasachstan), Position 3; -1´02"
Lance Armstrong (USA), Position 1;
Jan Ullrich (Deutschland), Position 13; -1´36"
Iban Mayo (ESP), Position 113; -5´48"
Alejandro Valverde (ESP), Position 47; 3´32"
Roberto Heras (ESP), Poition 32; 2´58"
Levi Leipheimer (USA), Position 26; 2´31"
Yaroslav Popovych (Ukraine), Position 7; 1´16"
Die Trikots sind wie folgt verteilt:
Gelb (Gesamtführender): ARMSTRONG Lance USA
Grün (bester Sprinter): BOONEN Tom BEL
Polka (Bergpreisbester): Kroon Karsten NED
Weiß (bester Rookie): POPOVYCH Yaroslav UKR
Team: CSC
Soweit für heute. Keep on cycling.