2005-07-08
Frankreichausflug - 8
Rot-Schwarz-Gold, wetten?
Scheißwetter, denke ich mir schon beim Aufstehen. Sowohl in Frankreich, als auch in Völkendorf schifft es. Scheißtag, denke ich. Zuerst sind zwei Zeugnisse zum Abholen. Dann Sitzung mit dem Steuerberater. 3 Stunden. Scheißsteuer, Scheißberater, denke ich. Wenigstens sind die Zeugnisse gut. Was wiederrum bedingt, dass das Mittagessen beim McDonalds ansteht. Quasi Belohnung für die guten Zeugnisse. Also Scheißfraß, denke ich. Weil du kannst mit einem Burger im Magen einfach nicht gut rollen, auf dem Rad. Da liegt die faschierte Kuh im Magen und arbeitet an ihrer Wiedergeburt. Dennoch bin ich jetzt froh die ersten Kilometer unter die Räder zu nehmen und beginne langsam meinen Kopf frei zu strampeln. Ein kurzer Blick noch zur Orientierung. Und schon sieht die Welt wieder freundlicher aus.
Heute gehts nach Deutschland. 229 Kilometer sind es hinüber nach Karlsruhe. Das ist der Tourwahnsinn hoch 10. Weil bei den Piefkoten ist ja nichts in einer normalen Dimension. Da ist alles immer super-hyper-oben-über-drüber-geil. Und natürlich ein bisschen mega. Und dadurch sind die deutschen Fahrer, aber auch die deutschen Teams topmotiviert. Denn was sich da auf den bundesdeutschen Straßen abspielen wird, ist bekannt aus vorhergegangenen Auftritten der Tour bei meinen Lieblingsnachbarn. Stehen in Frankreich pro Etappe 1 Million Leute an der Strecke, sind es in Deutschland 4 Millionen. Also kommt gar nichts anderes als ein deutscher Sieg in Frage. Was anderes ist gar nicht denkbar. Sonst fangen wir die Etappe halt wieder von vorne an.
Wieder jagt von Beginn an eine Attacke die nächste. Doch bis zu Kilometer 40 kristalisiert sich keine Gruppe heraus, die es bis ins Ziel schaffen könnte. Da nimmt Fabian Wegmann, Deutschland, sein Herz in beide Hände und eröffnet sozusagen das Rennen mit einen unwiederstehlichen Antritt. Robbie McEwen zieht mit.
Die 2 erarbeiten sich rasch 1:30 Vorsprung. Doch McEwen fällt plötzlich ein, wie weit es noch bis Karlsruhe ist, und läßt sich wieder ins Feld zurückfallen. Warmduscher, elendiger, würde der Stephan Jank sagen. Damenunterwäscheträger, sage ich. Robbie, wir wissen das du Strapse trägst, klingts mir im Hinterkopf. So braucht mir der Aussie gar nicht mehr vor mein Rad zu fahren.
Ganz anders der Wegmann. Der hält voll rein und hat jetzt bei Kilometer 74, 7:05 Vorsprung. Und einen Erfolg kann er schon jetzt feiern. Er hat unterwegs die kleinen Bergwertungen mitgenommen und zieht morgen auf alle Fälle das gepunktete Bergtrikot an. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Aber ein voller Erfolg für die Mineralwassertruppe von Geroldsteiner.
Wegmann sitzt jetzt bei Tisch. Verpflegungszone bei Kilometer 103. Vorsprung immer noch 6:50. Ob der gute Fabian dieses Husarenstück durchdrücken kann, ist ernsthaft zu bezweifeln.
Rennkilometer 140. Der Wegmann, der ja schon voriges Jahr mit dem Gewinn des Bergtrikots beim Giro aufhorchen hat lassen, will seine Einzelaktion durchdrücken. Er hat den Vorsprung wieder auf 8:05 geschraubt. Aber es bleiben noch 88 Kilometer übrig. Ich glaube ja, dass das Peleton den guten Fabian da vorne im Badischen Land verrecken lassen wird.
Wie zur Bestätigung meiner Vermutung, platzt die nächste Abstandsmeldung ins Zimmer. Rennkilometer 156. Vorsprung von Wegmann auf den Rest nur mehr 5:20. Alles deutet wieder auf einen Massensprint hin. Das wäre dann das fünfte Deja-vu-Erlebnis bei dieser Tour. Und mehr, liebe Leutchen, passen in fünf Tage gar nicht rein.
Ein Wort möchte ich noch zum gestrigen Pechvogel, dem Franzosen Mengin sagen. Der hat sich ja den Arsch deshalb so aufgerissen, weil er in Nancy, dem gestrigen Etappenziel, zu Hause ist. Und da sind natürlich von der Oma angefangen, alle die den drahtigen Burschen kennen, auf den Beinen gewesen. Da hat der sich natürlich gedacht, denen biete ich eine Extrashow, eine Galavorstellung sozusagen. Und dann fährt der gute Mann 176 Kilometer an der Spitze und bringt 5 Sekunden Vorsprung auf die letzten 900 Meter, quasi vor seine Haustür, wenn dus genau nimmst. Und dann liegt da dieser Scheißölfilm auf der Straße, wo der einfach nicht zu liegen hat. Und schon liegt der Mengin auch auf der Straße. Direkt neben dem Ölfilm. In der Streckenbegrenzung. Und alles war für die Katz.
Was braucht der Mann für eine Psyche, dass der heute schon wieder auf seinem Drahtesel hockt, obwohl in jeder einzelne Knochen wehtut, und die nächsten 228 Kilometer herunterreißt, als wär nichts gewesen. Das sind die Leute, die die Tour zu dem außergewöhnlichen Rennen machen, das sie einfach ist. Die Tour der Leiden.
Neue Abstandsmeldung aus Deutschland. Noch 58 Kilometer bis ins Ziel nach Karlsruhe. Abstand 3:30.
So. Das Runterzählen des Vorsprungs von Fluchtgruppen gehört heuer bereits zur täglichen Routine.
40 Kilometer. 2:30.
Der Spruch des Tages kommt von Jens Heppner, Kommentator auf Eurosport. "Rückenwind kommt von hinten", meint der Einfallspinsel. Er könnte sich damit bei der Kronen Zeitung um den Job des Chefredakteur bewerben.
Wir befinden uns jetzt 25 Kilometer vor dem Ziel und das Feld hat Fabian Wegmann eingeholt. Trotzdem muss man dem jungen Deutschen ein Kompliment machen. Immerhin fährt er morgen im Polkatrikot, für den besten Bergfahrer. Is ja auch was. Es würde aber jetzt noch genug Zeit für eine erneute Attacke geben.
Karlsruhe ist erreicht und gar nichts ist passiert. Es gab nicht einmal den Ansatz einer Attacke. Fünf Kilometer geht es noch. Und die Sprinter formieren sich wieder einmal zum großen Shut out. Das Tempo ist wieder einmal atemberaubend und es wird sehr hart gefahren.
Noch 2000 Meter und auch hier in Karlsruhe ist das Problem, so wie schon in Tours, die extrem lange Zielgerade. Da mußt du den Beginn deines Sprintes natürlich exakt auf den Punkt bringen, weil sonst verhungerst du.
Boonen, McEwen, Eisel, Cooke oder gar Förster. Wer schießt die Etappe ab? Letzter Kilometer.
Wir sind fünf Stunden unterwegs. Es wird getreten was das Zeug hält. Die Jungs fahren als gebe es kein Morgen. Und das Unvermeidliche passiert. Sturz mitten im Feld. Wie die Dominosteine burzeln die Fahrer durcheinander. Aber völlig unbeeindruckt zieht McEwen den Sprint durch und gewinnt. Der Warmduscher und Damenunterwäscheträger steht also ganz oben. Der hat gewußt, warum er mit dem Wegmann nicht mitfährt. Und, dass er im Sprint eine harte Sau ist, hat er ja schon oft genug bewiesen.
1 MC EWEN Robbie DVL AUS
2 BACKSTEDT Magnus LIQ SWE 00' 00"
3 EISEL Bernhard FDJ AUT 00' 00"
4 GLOMSER Gerrit LAM AUT 00' 00"
5 COOKE Baden FDJ AUS 00' 00"
6 CANCELLARA Fabian FAS SUI 00' 00"
7 BOONEN Tom QST BEL 00' 00"
8 BORTOLAMI Gianluca LAM ITA 00' 00"
9 HUSHOVD Thor C.A NOR 00' 00"
10 FLECHA Juan Antonio FAS ESP 00' 00"
Kein deutscher Etappensieg in Karlsruhe. Und im Gesamten bleibt alles beim Alten.
1 ARMSTRONG Lance DSC USA
2 HINCAPIE George DSC USA 00' 55"
3 VINOKOUROV Alexandre TMO KAZ 01' 02"
4 VOIGT Jens CSC GER 01' 04"
5 JULICH Bobby CSC USA 01' 07"
6 RUBIERA José Luis DSC ESP 01' 14"
7 POPOVYCH Yaroslav DSC UKR 01' 16"
8 NOVAL GONZALEZ Benjamin DSC ESP 01' 26"
9 BASSO Ivan CSC ITA 01' 26"
10 ARVESEN Kurt-Asle CSC NOR 01' 32"
Wo sind meine Jungs:
Ivan Basso (Italien), Position 9; -1´26”
Santiago Botero (Kolumbien), Position 23; -2´18"
Alexander Vinokourov (Kasachstan), Position 3; -1´02"
Lance Armstrong (USA), Position 1;
Jan Ullrich (Deutschland), Position 13; -1´36"
Iban Mayo (ESP), Position 113; -5´48"
Alejandro Valverde (ESP), Position 47; 3´32"
Roberto Heras (ESP), Poition 32; 2´58"
Levi Leipheimer (USA), Position 26; 2´31"
Yaroslav Popovych (Ukraine), Position 7; 1´16"
Die Trikots sind wie folgt verteilt:
Gelb (Gesamtführender): ARMSTRONG Lance USA
Grün (bester Sprinter): BOONEN Tom BEL
Polka (Bergpreisbester): WEGMANN Fabian GER
Weiß (bester Rookie): POPOVYCH Yaroslav UKR
Team: CSC
Soweit für heute. Keep on cycling.