2005-07-04
Frankreichausflug - 4
Ruhe vor dem Sturm
Bisher erschienen:
Frankreichausflug - 3
Frankreichausflug - 2
Frankreichausflug - 1
Der dritte Arbeitstag steht an, bei der heurigen Tour de France und es erwartet uns eine Etappe, die exakt gleich ablaufen wird, wie die gestrige. Der einzige kleine Unterschied wird sein, dass heute 3 Bergwertungen der 4. Kategorie eingebaut sind und eine Menge Fahrer ziemlich geil drauf sein werden, das begehrte Polkatrikot für den besten Bergfahrer überzustreifen. Dieser Umstand wird das Rennen nicht unbedingt bremsen.
Zurzeit sind vorne an der langen Leine der Dekker Erik (NED, RAB), der Bertogliati Rubens (SUI, SDV) und der Portal Nicolas (FRA, A2R). Vorsprung in etwa 3 Minuten auf das Feld. Zeit genug für einen kleinen Exkurs.
Was die meisten Fahrer aber wesentlich mehr beschäftigt, und das geben sie auch unumwunden zu, ist das morgige Mannschaftszeitfahren. Das lässt unsere hartgesottenen Kapitäne der Landstrasse tatsächlich seit Wochen nicht schlafen. Denn das ist vor allem für die vielen Wasserträger eine fast nicht zu bewältigende Aufgabe. Warum ist das so? Und wie müssen Sie sich das vorstellen?
Also: Mannschaft für Mannschaft, also 9 Mann hoch, sofern die Equipe noch komplett ist, tritt gegen die Uhr an. Und zwar in unserem Fall 67 Kilometer lang. Und jetzt hast du natürlich ein Leistungsgefälle im Team. Weil der Armstrong oder der Ullrich die drücken ganz anders aufs Pedal als halt ihre Domestiken. Die müssen aber mit, weil der Fünfte aus der Truppe am Ende nach 67 Kilometern gewertet wird. Jetzt frage nicht, wie die am letzten Loch im Ziel ankommen. Weil am Ende kommt dann meist ein Schnitt über 60 km/h heraus. Je nach Beschaffenheit des Geländes. Da liegst du dann ganz gern für eine Stunde im Sauerstoffzelt.
Ja, ja geneigter Leser, wir fahren immer noch mit dem Fahrrad. Nicht mit der 125er Vespa.
Und daher wird nach meinem Dafürhalten in dieser Disziplin die Tour entschieden. Weil du kannst zwar zirka eine Minute verlieren, das geht noch, aber alles was drüber ist, so hoch können sie die Berge gar nicht bauen, dass du das aufholen kannst. Und deswegen haben auch alle die Hosen voll, wenn sie bloß an morgen denken.
Zurück zum Rennen:
Wir haben mittlerweile Rennkilometer 65 erreicht, also noch zirka 150 km bis ins Ziel, und unsere 3 Ausreißer haben jetzt fast 4 Minuten Vorsprung. Und ich muß zugeben, im heimischen Garten merkst du gar nicht so arg, dass hier Schwerstarbeit geleistet wird. Die Rolleurs cruisen auf den schmalen französischen Landstraßen, dass es eine Freude ist. Das Surren der Speichen im Wind wirkt hier in Völkendorf beruhigend, ja fast einschläfernd. Da mußt du natürlich höllisch aufpassen. Weil wenn du dann vergißt zu essen, hast du natürlich sofort einen Hungerast und kannst das Rennen vergessen. Deshalb habe ich mir meine Kohlehydratspeicher schon mittags mit einen recht ordentlichen Teller Nudeln und der entsprechenden Sauce drauf, aufgefüllt. Die Fahrer sitzen jetzt bei Kilometer 93 zu Tisch. Das heißt sie bekommen ihre Astronautennahrung und die Dopingzusätze, äh Pardon, die Nahrungsergänzungsmittel vom Straßenrand aus, in kleinen Beuteln gereicht. Und während sie weitertreten drücken sie sich die Tuben stückchenweise ins Gesicht rein. Ich glaube, da habe ich es ein bisschen besser getroffen.
Der Vorsprung, der drei Escapados, der zwischenzeitlich schon mal 5 Minuten betragen hat, schmilzt jetzt sehr rasch. Nach 120 Rennkilometern beträgt er nur noch 3 einhalb Minuten. Das Feld hält die Leine also heute eher kurz.
Und so radeln wir das Loiretal mal hin, mal her, Tours entgegen.
Die Tour in Tours denke ich so bei mir. Komme aber gar nicht mehr dazu, in mich hinein zu lachen, weil mir in dem Moment eine unreife Birne auf den Kopf knallt. Von wegen, da habe ich es besser getroffen. Ab morgen herrscht auch hier Helmpflicht. Zu gefährlich ist der Radsport mittlerweile geworden.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt treten die Jungs immerhin 47,8 km/h Schnitt und ich gestehe Ihnen offen, ich bin direkt schon ein bisschen erschöpft. Den 3 Ausreißern ergeht es wahrscheinlich ähnlich, weil die haben jetzt nur mehr 2 Minuten Vorsprung.
Es scheint ganz so, dass der Vökler sein Polkatrikot unbedingt verteidigen will. Und da muss er bis zur nächsten Bergwertung nach vorne zu den Spitzenreitern, um Punkte zu machen. Mal sehen, ob ihm das gelingt.
Die letzten zwei Hügel, auf denen hier Bergpunkte zu ergattern waren sind passiert. Und der Vökler, der sympathische Franzose, ist sein Polkatrikot los. Sein Team hat dann doch etwas zu spät begonnen, den Vorsprung auf die Spitzengruppe zu verkürzen. Und so hat der Dekker Erik (NED) jetzt das Trikot des Bergbesten. Aktuell hat das Feld jetzt eine Minute Rückstand. Es gibt, so wie es aussieht also wieder einen Massensprint. 24 Kilometer bis ins Ziel.
Die Zielgerade in Tours ist elendig lang. Und Sie müssen sich vorstellen, die Jungs fliegen mit 70 Sachen dem Ziel entgegen. Wenn du da die Nase zu früh in den Wind hälst, hast du schon verloren. Also frühestens beim 200 Meterschild sollte man von vorne fahren und dann voll reinhalten, ohne noch einmal aufzuschauen. Wenn du dann am Zielstrich niemanden neben dir siehst hast du gewonnen. So machen halt wir in Völkendorf die Sprints.
Präzise wie ein Uhrwerk holt das Peleton 3 Kilometer vor den Ziel die Ausreißer ein. Das heißt, es ist alles für den großen Königssprint angerichtet. Und mit der Energie, die hier jetzt frei gesetzt wird, werden in Klagenfurt 500 Häuser 3 Tage geheizt. Hier in Frankreich frisst die ganze Energie der Asphalt.
3000 Meter Zielgerade. Wer hat jetzt die besten Nerven? Wer kann das durchdrücken? Wer kann sich am besten verbiegen?
Es ist letztendlich Tom Boonen aus Belgien, der die besten Mukis und wohl auch die besten Nerven hat, der sich schon seinen 2.Etappensieg sichert. Und tatsächlich kommt er mit der Völkendorfertaktik zum Sieg. Was hat der Bursche lange gewartet. Der Paco Wrolich, unser Mann aus Latschach bei der Tour, wird Zweiter. Auch nicht schlecht. Also ab zum Tourwirt, dem Hermann Obiditsch, der sicher schon mit ein paar Erfrischungen auf mich wartet.
Die Etappenwertung lautet:
1 BOONEN Tom QST BEL
2 WROLICH Peter GST AUT 00' 00"
3 O’GRADY Stuart COF AUS 00' 00"
4 EISEL Bernhard FDJ AUT 00' 00"
5 DAVIS Allan LSW AUS 00' 00"
6 FÖRSTER Robert GST GER 00' 00"
7 BACKSTEDT Magnus LIQ SWE 00' 00"
8 GESLIN Anthony BTL FRA 00' 00"
9 HUSHOVD Thor C.A NOR 00' 00"
10 FURLAN Angelo DOM ITA 00' 00"
Gesamt ergibt sich folgender Zwischenstand:
1 ZABRISKIE David CSC USA
2 ARMSTRONG Lance DSC USA 00' 02"
3 BODROGI Laszlo C.A HUN 00' 47"
4 VINOKOUROV Alexandre TMO KAZ 00' 53"
5 HINCAPIE George DSC USA 00' 57"
6 LANDIS Floyd PHO USA 01' 02"
7 CANCELLARA Fabian FAS SUI 01' 02"
8 VOIGT Jens CSC GER 01' 04"
9 KARPETS Vladimir IBA RUS 01' 05"
10 GONZALEZ GALDEANO Igor LSW ESP 01' 06"
Zum Schluß noch ein kurzer Blick auf meine Jungs:
Ivan Basso (Italien), Position 22; -1´26”
Santiago Botero (Kolumbien), Position 26; -1´30“
Alexander Vinokourov (Kasachstan), Position 4; -0´53“
Lance Armstrong (USA), Position 2; -0´02“
Jan Ullrich (Deutschland), Position 12; -1´08“
Iban Mayo (ESP), Position 170; -3´15“
Alejandro Valverde (ESP), Position 81; 2´24“
Roberto Heras (ESP), Poition 79; 2´20“
Levi Leipheimer (USA), Position 15; 1´13“
Yaroslav Popovych (Ukraine), Position 18; 1´18“
Die Trikots sind wie folgt verteilt:
Gelb (Gesamtführender): ZABRISKIE David USA
Grün (bester Sprinter): BOONEN Tom BEL
Polka (Bergpreisbester): Dekker Erik NED
Weiß (bester Rookie): CANCELLARA Fabian SUI
Team: CSC
Soweit für heute. Keep on cycling.