2008-03-10
Kinderseelenmörder
Eine demütige Entschuldigung bei den Kindern der Welt
Heute haben sie also wieder einem unserer Kinder die Seele zerstört. Da zerreißt es dir dein Herz. Da könntest du dazuplärren, in deiner ganzen Hilflosigkeit. Da könntest du fast glauben in unserer Gesellschaft hat das System. Ist quasi trendy, die Seelen unserer Kinder dem Teufel am Tablett zu servieren. Und hat der Faust im gleichnamigen Stück vom Franz Goethe dem Luzifer seine Seele noch für einen scheinbar guten Handel überlassen, so schmeißen wir unserer Kinder Seelen dem skrupellosen Gesellen in völlig absurdem, vorauseilendem Gehorsam und ohne erkennbaren Grund praktisch geschenkt nach.
Da schimpfen wir immer über die rückständigen Gesellschaften, wie die afrikanische oder die asiatische, wo die Menschen Kindersoldaten ausbilden und die jungen Körper in Nationalzirkussen zu umjubelten Stars in irgendwelchen Manegen quälen. Wo Kinder als billiges Sexspielzeug zu Tode gefickt werden können, oder als günstiges Ersatzteillager mit ihren Organen herhalten müssen. Wo Kinder gezwungen sind unter unmenschlichsten Bedingungen Lohnarbeiten zu verrichten, die ob ihrer Grausamkeiten und Brutalitäten unsere Vorstellungskraft bei Weitem übersteigen.
Was sind das doch alles für hinten gebliebene gesellschaftliche Strukturen, zetern wir laut und auch in sämtlichen Medien vor uns hin. Wo die Kinder zu eiskalten, seelenlosen Tötungsmaschinen hergerichtet werden. Quasi Kanonenfutter für unsere Freunde der Rüstungsindustrie, um die Produktion der Tod bringenden Gerätschaften auch weiterhin sicher zu stellen. Was sind das für Hinterwäldler, die die begnadeten Körper ihre Kinder von klein auf sich schlangengleich verbiegen lassen, dass du meinst, denen haben sie sämtliche Knochen aus dem Leib gezogen, damit sie dann in den Zirkussen eines gescheiterten Zuckerlfabrikantensohnes die perversen Eventvorstellungen desselben erfüllen können. Oder wo Kinder schlicht und ergreifend die stille Reserve für den Menschen fressenden, kapitalistischen, freien Markt sind. Einfach zum Verheizen. Aber nicht so ineffizient wie damals in Auschwitz. Sondern schon mit einem gewissen, kalkulierten Nutzen zum Wohle der Gesellschaft. Aber halt eher für das Wohl des reicheren Teiles der globalen Gesellschaft. Also eher für die Minderheit auf diesem Planeten.
Was können wir uns da ereifern und aufregen. Da sind wir Europäer und wahrscheinlich sogar die Amerikaner ganz vorne dabei mit unseren Protesten. Da lassen wir unserer Empörung freien Lauf. Da führen wir völlig selbstlos den Tag des Kindes und den Tag der Kinderrechte und die Kinderrechte als solches überhaupt ein und wachteln sehr bedrohlich und vor allem mit dem gebotenem Ernst mit unseren moralischen Zeigefingern. Da können wir uns gar nicht mehr halten. Vor lauter unserer europäischen Überlegenheit dem Rest der Welt gegenüber. Doch ganz nebenbei und ohne Aufsehen darum zu machen, ist heute auch bei uns in Villach wieder eine kleine Seele auf den gleichen grauslichen Altar des Wettbewerbes gelegt worden. Als Opfer für den Gott Kapitalismus und seinem Schutzheiligen, den freien Markt. So als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dem zu dienen, der oder das dich zerstört.
Was ist geschehen?
Stellen Sie sich das Paradies vor. Malen Sie es sich nach Ihren ganz persönlichen Wünschen und in den herrlichsten Farben aus. Lassen Sie es sich in Ihrem gerade zusammengestellten Schlaraffenland an nix mangeln. Die Milch und der Honig sollen fließen, ein Tischlein-deck-dich steht in Ihrer Küche und die Heizung ist immer aufgedreht. Alle Ihre Bedürfnisse wären befriedigt und auch für das richtige zwischenmenschliche Ambiente wäre in Form des richtigen Partners und der dazugehörenden Freunde gesorgt. - Herrlich.
Und genau in diesem, von Ihnen gerade halluzinierten Paradies, leben wir. Oder besser gesagt: Könnten wir leben. Schauen Sie sich doch nur um in Kärnten. Es ist alles da, was zur Deckung unserer Bedürfnisse notwendig wäre. Es wachsen die Lebensmittel wie blöd in unserem Land und unter unserem Klima. Es wächst vor allem so viel, dass reichlich für alle da wäre. Und das ganz ohne genmanipuliertes Futter. Wir müssten es nur allen gestatten, auch davon nehmen zu dürfen. Wir hätten alle ein Dach über dem Kopf und könnten unsere Eitelkeiten sogar mit modischem Gewand befriedigen. Wenn wir das wollten. Wir könnten genug vernünftige Dinge produzieren, damit auch der Spaß nicht zu kurz kommt und damit uns nicht langweilig wird. Wir könnten uns zusammenhocken und wir könnten quatschen so lange es uns freut. Wir könnten unsere Frauen lieben. Und wir könnten mit unseren Kindern leben. Das wären unsere Voraussetzungen. Das hätten wir. So könnten wir in diesem, unserem Land tatsächlich unsere gemeinsamen Tage verbringen.
Wäre da nicht die eine Sache, die all dem, was uns zu richtigen, wahrhaften Menschen macht, diametral entgegen steht. Unsere Wirtschaft. Genauer gesagt, unser Wirtschaftssystem. Dieses Wirtschaftssystem kann es nun einmal nicht aushalten, wenn Menschen friedlich miteinander ihre Produkte anpflanzen oder herstellen und danach einfach teilen, sodass für jeden genug bleibt, um sich keine Sorgen um das Morgen machen zu müssen. Nein, unser Wirtschaftssystem braucht die Konkurrenz. Wenn der eine den anderen nicht fertigmachen kann, dann ist es nicht glücklich. Das System. Und es ist uns scheinbar wichtig, dass es glücklich ist. Das System.
Deswegen müssen nicht nur die Menschen in Konkurrenz zueinander treten, nein, da müssen auch die einzelnen Städte und Länder und auch ganze Kontinente gegeneinander kämpfen. Und alles darum, damit ein paar völlig missratenen menschlichen Kreaturen, unter dem Deckmantel das Gemeinwohl zu fördern, den sogenannten allgemeinen Wohlstand zu nähren, was immer auch mit dieser komischen Wortkreation Wohlstand gemeint sein mag, und die den Kragen in ihrer Maßlosigkeit ohnehin nie voll genug kriegen, damit sich diese Handvoll Menschen im Forbes Magazin um den Titel „reichster Scheißmensch“ der Welt streiten kann.
Dabei wäre „Wohlstand“ sehr leicht definiert. In meinem Sinne handelt sich es dabei um die Abdeckung der menschlichen Grundbedürfnisse. Fertig. Alles was darüber hinausgeht, ist nicht Wohlstand, sondern schlicht und einfach Diebstahl an meinen Mitmenschen. Ist Leben auf anderer Menschen Kosten und vor allem anderer Menschen (Lohn)arbeit. Und genau das passiert hier in unserem Paradies, hier in Kärnten, und natürlich nahezu an jedem anderen Platz dieses Planeten.
Wir haben die Tür sperrangelweit aufgerissen, damit über Jahrhunderte der Kapitalismus in unsere Stuben spazieren konnte, so als wäre er ein Naturgesetz, quasi von Gott gegeben und unser bester Freund. Und im Laufe der Jahrhunderte hat er das Gastrecht ganz schön missbraucht. Und hat sich aufgeführt wie ein Berserker. Hat sozusagen das Kommando übernommen in unseren Häusern. Hat uns vor allem geistig so indoktriniert, dass wir schon selbst an die Alternativlosigkeit, an die Unveränderlichkeit des Kapitalismus glauben. Und dadurch kriegen wir das Scheißsystem so schnell auch nicht mehr hinaus. Aus unseren Köpfen, aus unseren Familien und aus unseren Häusern. Und so konnten wir im Laufe der Jahre zwar verkraften, dass unser halber Hausberg ins Gailtal hinunter gefallen ist, dass Feuerbrünste Villach mehrmals zerstört haben, und sogar die Pest konnten wir besiegen, aber der Kapitalismus zieht ungebremst seine rote Spur durch unsere Stadt.
Und zwar ausschließlich und totalitär. Weil dieses System duldet kein anderes System neben sich. Da lässt es nix zu. Da grinst es dir mitten ins Gesicht, das System. Und wenn es sich umdreht, spukt es dir von der Rückseite des Kopfes, der aus der Fratze unserer Politik besteht, einen richtigen, zähen Grünen in dein verdutzt dreinblickendes Gesicht. Dabei habe ich ja nix dagegen, wenn sich die Nimmersatte dieser Welt den Kragen vollstopfen, wie die Ungarn ihre Gänse. Die Fettleber müssen diese unangenehmen Zeitgenossen ohnehin selbst durchleiden. Bis hin zum Exitus. Aber nein. Die gar nicht netten und unsolidarischen Zeitgenossen nehmen uns mit in ihr fabelhaftes Traumland vom Reichtum und Wohlstand. Und zwar ohne Alternative. Ob du es willst oder nicht, bist du hier in diesem Land, das ich so liebe, gezwungen, ein entsolidarisiertes und unchristliches Leben zu führen. Wenn du überhaupt überleben willst, dann heißt es dem Nachbarn, dem Freund, dem Kunden, dem Geschäftspartner, dem Angestellten, dem Chef, dem Lehrer und selbst unseren Partnern und Kindern gegenüber, immer - voll in die Fresse. Weil durch den Eigennutz ja angeblich auch der Gemeinnutzen gefördert wird.
Sollten Sie sich zwischendurch gefragt haben, wann denn jetzt endlich die Kinderseele zerstört wird, wann sozusagen das Opfer geschlachtet wird, wann endlich das Blut spritzt, von dem ganz am Anfang einmal die Rede war. Dann haben Sie lange genug durchgehalten. Jetzt wird dem Opfer gedacht. Jetzt beschreibe ich Ihnen eine Situation, weil sie Ihnen unter Umständen selbst gar nicht aufgefallen wäre oder, weil Sie das gar nicht so empfinden wie ich, in der für mich klar wird, wie subtil und unterschwellig unser Wirtschaftssystem arbeitet und warum eine Verbesserung unserer Lebensumständen nur dann wird eintreten können, wenn wir uns ernsthafte Gedanken darüber machen werden, was wir unserem Nachwuchs beibringen und mitgeben fürs Leben.
Also. Sie kennen ja das Eiskunstlaufmutterproblem. Davon haben Sie alle schon sicher gehört. Das ist natürlich in Zeiten des modernen Genderings kein geschlechtsspezifisches Problem, sondern erfasst natürlich auch die Herren Väter, die dann halt wollen, dass ihre Söhne Fußballer oder Formel 1 Fahrer oder meinetwegen, weil wir halt in Österreich leben, Skisuperstar werden. Ist ja bei den Gagen, die die jetzigen Herren Superstars einstreifen auch kein Wunder. Und wenn schon der Papa nicht zum großen Geldpot und zum internationalen Ruhm für die Ewigkeit kommen konnte, weil halt damals keiner eine Notwendigkeit in der Sinnlosigkeit eines Profisportlerlebens erkennen konnte, dann soll es wenigstens der Filius einmal besser haben. Dafür müssen dann halt auch die Kindheit und die Jugend desselben herhalten, zwecks Erwerbs ganz spezifischer Kenntnisse, die man aber leider für gar nix im richtigen Leben gebrauchen kann. Als Ausgleich sozusagen, für das verkorkste Leben des Altvorderen.
Denn willst du später einmal einen Olympiasieger im eigenen Stall haben, dann heißt es üben und trainieren, was das Zeug hält. Und investieren natürlich. Weil da gibt es schon die eine oder andere nicht ganz billige, weil reiseintensive und materialaufwendige Sportart, und da brennst du dann, als Superparadevater, wie ein Luster. Aber du musst den Sohnemann von frühester Kindheit an an den Wettbewerb gewöhnen, um ihn fit zu machen für die ganz großen Aufgaben, die auf ihn ja auch im späteren Leben warten. Da kannst du auch weder Kosten noch Mühen scheuen, da heißt es verzichten und den Gürtel enger schnallen, für die Karriere des Stammhalters. Was tut man nicht alles um den kleinen Racker das zu ermöglichen, was einem selbst immer verwehrt blieb. Nämlich der Aufstieg in der Nahrungskette. Wenn es geht natürlich einen Platz über dem Bill Gates. Der hatte es übrigens leicht, bei ihm flog das Geld wie von selbst durch das „Fenster“ rein.
So einen armen, kleinen Freund, der die Last seiner Väter trägt, gewissermaßen als Hoffnung auf sein zerbrechliches Kinderkreuz geschnallt, kenne ich. Der wohnt in unserem Pseudoparadies und hat Ähnliches, wie oben beschrieben, mitgemacht. Doch gestern plötzlich kommt dieser vife Bursche mit seinen naiven zwölf Jahren daher, stellt sich hin und erklärt, dass er plötzlich Angst habe. Angst zu versagen. Das er den Qualifikationskriterien, die zur Teilnahme an der Europameisterschaft, nicht genügen könnte. Einfach nervlich der Sache nicht gewachsen wäre. Und das obwohl er laut der Aussage seiner Eltern als „begnadet“ in seiner Sportart gilt. Im Nestroystück könnte er glatt als personifizierter Undank durchgehen. Da tut also der kleine Schwerenöter auf einmal gerade so, als hätte er überhaupt keine Ahnung von den Entbehrungen des Vaters und den unendlichen Mühen, die es ihm gekostet hat, dem Halbwüchsigen die Teilnahme an der Qualifikation überhaupt erst zu ermöglichen. Und dann sagt er noch, dass er aufhören möchte. Er halte den ganzen Druck und überhaupt alles nicht mehr aus.
Na mehr hat der kleine Wicht nicht gebraucht. Da haben ihm die Eltern dann, natürlich ganz Pädagogen, man ist ja schließlich ein aufgeklärter Mensch, man hat das finstere Mittelalter mit seinen Prügel und Gewaltorgien doch längst hinter sich gelassen, diese es immer nur gut meinenden und das Beste wollende Eltern haben dann also sachlich und ruhig erklärt, was denn in ihn schon alles „hineininvestiert“ wurde, und wie sehr sie sich doch freuen würden, wenn er nach einer kurzen Nachdenkpause sich freiwillig dafür entscheiden würde, in der Quali doch anzutreten. Natürlich würden sie ihn nicht mehr oder weniger lieben, wenn er nicht antreten würde. Aber er sollte es sich doch noch einmal genau überlegen und dann aus freien Stücken selbst entscheiden. Er wisse doch genau, was er ihnen, seinen aufopferungsbereiten Eltern, für eine Freude machen würde.
Mein kleiner Freund hat sich nach kurzer Bedenkzeit dann doch entschieden, es zu versuchen. Daran können Sie, geneigter Leser auch erkennen, wie gut bei uns in Kärnten das Prinzip des konstruktiven Dialogs funktioniert. Alle dürfen bei uns etwas sagen, aber entscheiden tut dann der Stärkere. So ist es halt einmal in der Demokratie. Der Stärkere hat Recht. Weil die Mehrheit.
Er wird sich also der Herausforderung, der Challenge, wie ein Mann stellen. Mein kleiner Freund. Ich kann ihm dazu leider gar nix wünschen. Weil, wenn er die Qualifikation schafft, dann ist er der Stärkere und wird, sofern er so stark bleibt, sein Leben lang auf den Schwächeren herumtrampeln oder zumindest auf sie herabblicken. Weil eines hat er ja dann schon mit seinen zwölf Jahren gelernt: Wer nur hart genug für seinen Erfolg arbeitet, wird dafür schließlich belohnt.
Sollte er es aber nicht schaffen, haben sie ihm nicht nur den Spaß an der Freude verdorben, sondern ihn unter Umständen gebrochen für sein Leben, sodass er dann am freien Markt ein gesuchtes Opfer und ein gefundenes Fressen für die Sieger der Qualifikation sein wird. Wie er es auch anstellt, wirklich gute Karten im Globalisierungspoker sind das nicht. Ein seelenloses Leben als Gewinner. Oder sich in der Masse der seelisch Entrechteten unterzuordnen und den Siegern mit seiner Arbeit dienen zu dürfen. Und vielleicht, wenn er hart genug arbeitet, dann ist seine zertretene Seele das Sprungbrett für seinen Sohn. Das Sprungbrett zum Reichtum und Ruhm, von dem schon sein Vater und wahrscheinlich auch sein Großvater geträumt haben.
So schauen also die Perspektiven für die Zukunft aus der Sicht eines zwölfjährigen Villachers aus. Ein Einzelfall. Natürlich. Aber ein Fallbeispiel, das in leicht abgeänderter Form praktisch auf jedes einzelne Kind der PISA-Zone anwendbar ist. Was hat das aber mit uns zu tun?
Fragen Sie sich getrost einmal, ob die Kinder, in Asien oder Afrika, in Süd- oder Mittelamerika, ob die bereit wären mit unserem kleinen Helden zu tauschen. Na, was glauben Sie? Geben Sie sich die Antwort selbst. Nehmen Sie sich Zeit. Malen Sie es sich ruhig ein bisschen aus. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.
Sie haben soeben einen Blick in unser aller Zukunft gewagt.