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2008-11-22

Imagine

Wider den Kapitalismus

Es war 1977. Ich bekam zu Weihnachten eine Schallplatte geschenkt auf der mich ein Lied besonders beeindruckte: Imagine. Ein Song von John Lennon, der aus heutiger Sicht eher anmutet wie ein Kinderlied, so einfach ist er gestrickt. Darin ist die Rede davon, sich einfach vorzustellen die Welt wäre eine bessere, wenn wir es einfach wollen und leben würden. Dieser Song hat mich sehr beeinflusst und hat meiner Fantasie Flügel verliehen. Ich wollte ausgehend von diesem Lied, später, dann wenn ich groß wäre, helfen die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Die ganzen Fehler unserer Väter und Großväter wollte ich nicht mehr machen. Sondern ich wollte mit allen Menschen in Frieden und Eintracht leben. Zeit für meine Kinder wollte ich haben und jeder auf diesem Planeten sollte satt werden und glücklich.

Seit 20 Jahren bin ich Unternehmer. Ich lebe davon, anderen Menschen Dienstleistungen zu erbringen, die ihnen ihr Leben angenehmer machen. Um diese Dienstleistungen erbringen zu können, muss ich allerdings andere Menschen in Lohn und Brot bringen. Oder besser gesagt: Ich lasse arbeiten. Politiker würden in ihrem unendlichen Zynismus sagen, ich habe Arbeitsplätze geschaffen und trage dazu bei, dass andere Menschen sich ihr Leben verdienen können. Als, ob Leben nicht geschenkt wäre und man sich das Leben verdienen müsste. Und so bin ich in alle Fallen getappt, in die schon mein Vater sehenden Auges gelaufen ist. Ich sogar mit Anlauf. Ich habe ohne zu hinterfragen und ohne groß nachzudenken geglaubt, was mir seit meiner Kindheit eingeredet wurde. Ich war verblendet von einem System, dass mir Wohlstand für die Massen suggerierte, quasi eine Erfüllung der Prophezeiung des im Song Imagine versprochenen Paradieses auf Erden. Ich wurde zum Handlanger einer weltweiten Mafia, die nach allem griff, was sich irgendwie zu Geld machen ließ.

Ich wollte also die Welt besser machen und erkannte gar nicht was schlecht in ihr ist. So taumelte ich jahrelang durch ein System, das mir zwar ein schönes Leben ermöglichte, doch für die meisten meiner Mitmenschen keineswegs so komfortabel und befriedigend war, wie für mich. Schon gar nicht für die Brüder und Schwestern in Afrika. Da half es auch nix zu spenden, oder zu helfen, wo ich halt konnte und wie es halt der heutigen Mode entspricht. Es war weder den Menschen geholfen, denen eigentlich mein Engagement galt, noch wurde meine Seele satt. Meine bescheidene Weisheit war am Ende.

Dabei haben wir damals in der Schule 1977 gedacht, dass wir alles einmal anders machen werden, wenn wir selbst einmal Lehrer sein würden. Wir wollten die Kinder aus dem Stress und den Zwängen befreien, die eine kapitalistische Erziehung halt so mit sich bringt. Wir haben uns gedacht, dass wir alles einmal anders machen werden, wenn wir selbst einmal Unternehmer sein würden. Dann sollten nicht nur Mindestlöhne ausgezahlt werden, sondern die Arbeiter am Unternehmen auch mitpartizipieren. Wir haben uns gedacht, dass wir alles einmal anders machen werden, wenn wir selbst einmal Richter sein würden. Die Gerechtigkeit würde dann ihren Namen wieder verdienen. Wir haben uns gedacht, dass wir alles einmal anders machen werden, wenn wir selbst Beamte sein würden. Wir wollten den Menschen die Würde zurückgeben, die sie beim bloßen Betreten eines Amtes verlieren. Wir haben uns gedacht, dass wir alles einmal anders machen werden, wenn wir selbst einmal Ärzte sein würden. Wir würden den Menschen als Einheit sehen, bestehend aus Körper, Geist und Seele und nicht zerstückelt in unabhängige, aber dafür profitbringende Körperregionen. Wir haben uns gedacht, dass wir alles einmal anders machen werden, wenn wir selbst einmal Väter sein würden. Vom ersten Tag an wollten wir unsere Kinder als vollwertige Menschen bedingungslos lieben. Mit allen ihnen zustehenden Rechten. Nicht als formbare Miniaturausgaben unser selbst. Wir haben uns gedacht, dass wir einmal alles anders machen werden, wenn wir selbst einmal Ehemänner sein würden. Nicht Angst und Schrecken wird in unseren Familien herrschen. Nicht Gewalt und Terror, sondern Eintracht und Harmonie.

Und ich weiß, ich weiß ganz genau, dass wir damals nicht die Einzigen waren, die so gedacht haben. Und obwohl wir so Viele eine bessere Welt in unseren Träumen erstehen ließen und heute tatsächlich Lehrer, Ärzte, Unternehmer und Väter sind, nahmen das Chaos und das Elend, der Krieg und der Hunger ständig zu. Unser Umgang miteinander wird immer bestialischer. Die Ellbogen und das Vernadern gehören zur heutigen Überlebensstrategie. Der Kampf um das bisschen Brot zum Überleben wird immer brutaler.

Warum können wir das nicht ändern, wenn wir doch alle so guten Willens sind? Warum ist es nicht ein Einfaches alles wieder ins Lot zu bringen, wenn wir doch eh alle das friedliche Miteinander wollen? Warum kann die Welt nicht teilen, was ohnehin im Überfluss da ist? Was hat mich dazu gebracht als Komplize eines Systems teilzunehmen, dass genau das Gegenteil dessen bewirkt, was ich eigentlich tief in mir fühle?

Das sind die Fragen, die vor mir auftauchten. Und niemand konnte oder wollte sie beantworten. Sicher die Esoteriker haben mir fast täglich ihre neuesten Erklärungsmodelle angeboten. Und politische Parteien wollten es auch schon immer gewusst haben. Und Wissenschaftler haben überhaupt zu jeder Zeit gewusst, was gerade los war. Die haben alles erforscht und wissen scheinbar auf alles eine Antwort. Dabei ist es doch so, dass das was sie heute gerade erforscht haben, und was den Politikern als Grundlage ihrer Argumentation dient, die Probleme von morgen sind. Jede ihrer Lösungen schafft erst die Probleme, die wir dann wieder auf unseren Schultern gepackt bekommen oder die uns den Gürtel wieder enger schnallen lassen und die es dann wieder zu lösen gilt. Ich fand unter all diesen kuriosen Angeboten keine Antwort.

Erst als ich zu erkennen begann, dass es das kapitalistische Gesellschaftsmodell selbst ist, das alle Probleme macht. Erst als ich zuließ mein eigenes kapitalistisches Tun zu hinterfragen, fing ich an das scheinbare Chaos zu begreifen. Es ist ein ganz und gar totalitäres System in dem du keine Chance hast dich ihm zu entziehen. Ja selbst das bloße Erkennen dieses teuflischen Systems ist fast unmöglich, so tief wie wir in dessen Grund verwurzelt sind. Ich hinterfragte also schonungslos und ohne Rücksicht auf mich selbst den Kapitalismus. Dabei wurde mir bewusst, dass unser kapitalistisches System nicht nur in jeden Bereich meines Lebens und in die kleinsten Ritzen meiner Existenz vordringt, sondern gleichzeitig auch dabei ist weltumspannend und allumfassend zu werden oder bereits zu sein. Und im Zentrum dieses mörderischen und faschistischen Systems steht die Arbeit. Genauer gesagt die Lohnarbeit. Durch sie erhalten wir unsere Legitimation zu leben. Oder anders gesagt, nur durch Lohnarbeit können wir überhaupt erst an dieser Gesellschaft teilnehmen. Ohne den Verkauf unserer Arbeitskraft ist Leben nicht mehr möglich. Arbeit macht also tatsächlich frei.

Sollten Sie den Spruch wiedererkannt haben, so war das durchaus gewünscht. Es sind nämlich Nazis und Faschisten, die ihre Systeme nachjustiert und sich die Lehren eines Friedrich August von Hayek und eines Milton Friedmann zu Eigen gemacht haben. Es wurden ein paar Begriffe ausgetauscht, die einfach nicht mehr up to date waren, und die ganze Welt wurde in ein Arbeitslager verwandelt, mit dem Zweck, dass ganz Wenige, Elitäre alles besitzen sollten. Armeen und Geheimdienste helfen den Verbrechern ihre Regime zu errichten. Diesmal allerdings nicht unter dem Deckmantel absurden Rassenwahns und mit organisationsaufwendigen Konzentrationslagern, nein, die heutigen Faschisten kamen drauf, dass es doch wesentlich nützlicher sei die Untermenschen und Menschen, die ohnehin kein Leben verdienen würden, für sich arbeiten zu lassen, anstatt sie zu vernichten.

Strukturelle Nazis und Faschisten regieren also in Europa. Strukturelle Nazis und Faschisten regieren die USA. Strukturelle Nazis und Faschisten regieren heute nahezu die ganze Welt. Unser Planet befindet sich in der Geiselhaft von gesetzlich legitimierten Kriminellen. Selbst im kleinen Österreich wird die Ideologie der Leistungsgesellschaft jedem kleinen Staatsbürger schon seit dem Kindergarten eingehämmert. Menschen, die aus den verschiedensten Gründen nicht mitkönnen, bezeichnen diese Leute als Kolaterlaschaden. Es hätte ja jeder die gleiche Chance gehabt.

Und sie machen das vor unseren allen Augen und nicht im Geheimen. Sie sagen was sie uns zumuten werden und wir nicken brav und verstehen. Sie ziehen ihr System so clever auf, dass ich es jahrzehntelang nicht mitbekam, was mit mir und meinen Mitmenschen geschieht. Und wenn ich mich oft mit Menschen über unsere Gesellschaft unterhalte, dann kommen 2 Sätze immer wieder vor. Der eine lautet: „Ich habe davon nix gewusst.“ Ich habe gar nicht gewusst, dass alle 5 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt auf dieser Welt, ich habe es ja nicht gewusst, dass auf der ganzen Welt gefoltert wird und Menschen nicht nur ausgebeutet, sondern im Namen des Kapitalismus getötet werden. Ich habe ja nicht gewusst, dass Afrika verhungert. Ich habe ja nicht gewusst, das Menschen versklavt und Babys zum tot ficken verkauft werden. Ich habe ja nicht gewusst, dass wir eigentlich auf Kosten der 3. Welt leben und unser Luxusleben auf dem Elend der Massen aufgebaut ist. Und wenn ich dann jemanden finde, der von den ganzen Grauslichkeiten etwas gewusst hat, dann kommt ein lockeres und alles entschuldigendes „Was hätte ich denn machen sollen?“ zum Einsatz. Übertroffen wird das Nichtwissen in seinem Zynismus nur noch durch den 2. Satz, der mir in diesem Zusammenhang quasi als Rechtfertigung für das verbrecherische kapitalistische System immer angeboten wird. Er lautet: „Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte es halt ein anderer getan.“ Zwei Universalantworten, die übrigens nicht erst seit heute bekannt und bequem sind.

Für Sie, werte Leser, werden diese 2 Ausreden in Zukunft allerdings zum Problem. Sie können nicht mehr sagen, es hätte Sie niemand auf die Verbrechen der Diktatur des Kapitalismus hingewiesen.

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mimenda, 2008-11-23, Nr. 4272

für mich sind das keine menschen, die das machen, sondern diese sind rädchen im system, die, wenn sie nicht funktionieren, durch andere ersetzt werden. das system, das wohl einmal von menschen selbst angestoßen wurde, differenziert sich selbst aus, seinen gesetzmäßigkeiten zufolge.

wenn du es nicht machst, macht es ein anderer, und du hast keine macht, etwas umfassend anders zu machen, du kannst nur etwas anderes machen, was dann aber im grunde dasselbe ist.

aber ist es nicht schon der erste schritt zur besserung, wenn du das erkennst? das problem an dem arbeitswahn ist doch nicht, dass der mensch arbeit zum leben sucht, sondern dass ihm die arbeit an sich schon das leben bedeutet (und ein arbeitgeber ist ja kein kapitalist, solange er sich nicht den mehrwert in die eigene tasche steckt).

eine enorme ängstlichkeit, die ich da am werk sehe. als ob man nicht von hartz4 - oder wie auch immer das bei euch heißt - leben könnte, wenn man mental stark genug dazu ist. das materielle scheint mir da weniger das problem als vielmehr die psychische verwahrlosung, die mit dem verlust der arbeit und der angewiesenheit auf staatliche "wohlfahrt" einhergeht. und diese psychische verwahrlosung findet ihr pendant in der angst der arbeitsbesitzer, welchen solche ohne arbeit geradezu aussätzige sind: eben jene, die wir nicht einmal als unser potentielles spiegelbild dulden wollen.

dass die sonst allenthalben grassierende psychische verwahrlosung fröhliche urständ feiert, wird indes kaum wahrgenommen. und wenn, dann in den extremfällen kampusch, mutterbabymörder etc., über die sich die anderen psychisch verwahrlosten dann in biedermannmanier herzallerliebst entrüsten dürfen, zum luft(druck)ablassen.

in einer zeit, in der scheinbar alles erlaubt ist, scheint die häme und ranküne den "versagern" gegenüber (weil das versagen keine freiheit ist?) um so stärker zu werden, je weniger mut man aufbringt, vor der eigenen haustür zu kehren.

dass sich die menschen des drucks, der auf ihnen lastet, in unkenntnis desselben, erfreuen und ihn in müdem, nicht enden dürfendem spaß und in der herabwürdigung anderer entladen, ist diktat des systems:

wir sollen tun dürfen, was wir wollen. was wir wollen, bestimmt aber das geld, das wir haben, gemeinsamen mit den anderen freiheiten, die wir zu haben glauben. das ideal der freiheit ist in seine fratze umgeschlagen. und genau die scheint mir der bann, der auf der mehrheit liegt. er kann nur durch innehalten und reflexion gebrochen werden.

stell dir vor, all würden dem von herzen zustimmen können, was du geschrieben hast...

Jaxon, 2008-11-26, Nr. 4274

lieber V,
der superlativ an zynismus ist das bloße hinweisen auf verbrechen - welcher art auch immer! dieses, argumentativ, gut hinterlegte hinweisen ist die universalausrede der informierten und wissenden, quasi die gewissensbereinigung und das sich selbst herausnehmen aus der hinweisimplizierten kollektivschuld der untätigen masse. wissen und verbreiten von informationen über verbrechen entbindet nicht vom aktiven engagement gegen die bekannten "legalkriminellen". doch worte, flugblätter, infobroschüren, pamphlete, netzwerkarbeit, friedvolle demonstrationen tangieren die verbrecher nicht einmal peripher! die geschichte hat uns gezeigt, dass nur aktiver kampf gegen die "arbeit macht frei -lobby" nachhaltige veränderung bringt, auch wenn dabei kolateralschäden unausweichlich sind!
daher: arbeiter aller länder und kontinente vereinigt euch !
hasta la victoria siempre!

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