2004-11-28
Hotel Imperial, Wien
Was für eine Woche.
Ich komme heute am Samstag das erste Mal nach all dem Stress und der Aufregung dazu, mich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. Lege mich mit der Donna Leon und dem 11. Brunetti in die Badewanne und schalte den Sprudel ein.
Tausend Gedanken. In meinem Hirn wetterleuchten die Ereignisse, die sich in Wien, Villach und vor allem in meinem Kopf abgespielt haben. Ans Lesen ist nicht zu denken.
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Zu frisch ist noch der Eindruck, den die Verleihung des Anerkennungspreises beim diesjährigen Maecaenas, bei mir hinterlassen hat. Immer und immer wieder versuche ich nochmals das Gefühl zu finden und nachzuempfinden, das ich hatte, als ich 30 Minuten vorm Auftritt mit der Frau Dr. Rett stand. Ich würde es salopp gesagt, als Nahtoderfahrung empfinden.
Hotel Imperial, Wien. 19:40.
Wir, der Stephan Jank, der Tillo Smolliner und ich gehen die paar Schritte vom Cafe Schwarzenberg, wo wir noch einen kleinen Schwarzen getrunken haben, den wievielten eigentlich schon heute?, über die Ringstraße zum Imperial. Ich verkleidet, mit Smoking, der, wie der Stephan meint, eigentlich für den Frank Sinatra erfunden wurde, die beiden Kollegen wie immer ganz in schwarz. Ein merkwürdiges Trio. Ich kann meine nackte Angst nur mit aberwitzigem Humor überspielen, sonst würde ich mir in die Hosen scheißen. Ich fühle mich wie ein Schwein, das dumm genug ist freiwillig zur Schlachtbank zu marschieren. Und obwohl wir bereits vormittags einen Termin mit der Presse im Imperial hatten, und ich mich schon mit dem räumlichen Gegebenheiten vertraut machen konnte, erleide ich beim Betreten des Hotels einen Schock. Es ist alles völlig irreal. Und zwar nicht so irreal, wie ich es mir ohnehin in meinen schlimmsten Fantasien vorzustellen versucht habe. Nein, wirklich irreal. Nichts was auf normales menschliches Leben hindeuten könnte, findet hier statt. Ich betrete das Paralleluniversum, der Kranken und Entseelten, dessen Existenz ich zwar vage vermutet hatte, aber eigentlich nicht auf meinem Planeten. Ich hätte nichts dagegen jetzt zu sterben und schließe mit meinem Leben ab. Da fällt mir das Telefongespräch ein, das ich nachmittags, in der endlosen Wartezeit von 4 Stunden im Hotel mit meiner 6 jährigen Tochter Maria geführt habe. Sie hat mir nochmals gute Tipps für meinen Auftritt gegeben und mir versichert wie sehr ich ihr fehle und wie sehr sie mich liebt.
Und gerade diese Liebe brachte mich in die Zwickmühle. Sterben geht nicht, die Maria braucht mich noch, aber auf die Bühne geht auch nicht, da wartet die Rett und das Licht und ca. 1 Million Leute im Saal und 2 Milliarden zu Hause an den Fernsehgeräten. Da kannst du mit der gestrichen vollen Hose nicht hinauf. Was also tun?
Endlich eine Idee.
Ich bildete mir aus den verschiedensten Gründen plötzlich ein, dass ich gar nicht mehr auf die Bühne müsste, weil wir ja doch „nur“ einen Anerkennungspreis gewonnen hatten. Ich war beruhigt. Die Rett kam auf die Bühne und begann ihre Moderation mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie gerade beim Fleischhacker ums Eck eine Extrawurstsemmel bestellen. Aber bitte mit Gurkerln.
Es wurden die einzelnen Beiträge, die in unserer Kategorie nominiert waren, und die vom ORF angefertigt worden waren, die wir an diesem Tag schon 2 mal gesehen hatten, auf einen Flatscreen präsentiert. Ich war angetan, weil, wie ich meine, haben die vom ORF eine ordentliche Arbeit geleistet und unser Beitrag bekam dann auch etwas Applaus. Und außerdem musste ich ja ganz sicher nicht mehr auf die Bühne, weil, sie wissen schon... nur Anerkennungspreis usw.
Ungefähr 3,5 Sekunden später höre ich, wie die Rett, diese anmutige und mir bis dahin höchst sympathische Frau, über Lautsprecher, durch den ganzen riesigen Saal mit fester Stimme meinen Namen verkündet und mich gleichzeitig auf die Bühne bittet. Zum Abhauen war es zu spät. Das wusste ich.
Sonst weiß ich von diesem Moment an, bis zum Gruppenbild am Ende der Preisverleihung nichts mehr. Ich habe zwar die anderen gehört, kann mich aber an von mir Gedachtes oder gar Gesprochenes nicht mehr erinnern. Als es dann zum Büffet ging, auf das ich mich nach der durchlittenen Anspannung freute, war die letzte kleine Hoffnung verschwunden an diesem seltsamen Ort irgendetwas normal dimensioniertes zu finden. Der tonnenschwere Anblick, der dort aufgetürmten Lebensmittel vermittelte mir eine so penetrante Dekadenz, dass ich mich nur mehr nach Hause wünschte. Der kleine Strohsack aus Weiz und die Rauch-und-Schallatt, ihres Zeichens Ministerin, taten das Ihrige dazu. Um 00:34 schnurrte der rote Alfa 156, der uns drei nach Wien begleitete, schon wieder auf Höhe Traiskirchen vor sich hin. Zufrieden fuhren wir Richtung Süden.
Weg aus einer Welt, in die ich nicht gehöre.
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Zu frisch ist aber auch noch der Eindruck, den die gestrige kärnöl-Veranstaltung bei mir hinterlassen hat, die Grimmsche/Stenglsche Ausstellungslesungvernissage,
Wie wohltuend anders, mit welch herzlicher Atmosphäre, mit welch hohem Niveau und mit herrlich richtigen Menschen im Raum, fand im Cafe Platzl im verträumten Villach ein Highlight meines Kunstempfindens und Kulturerlebens statt.
Die Schnappschussbilder der Maria Grimm halte ich für genial. Punkt.
Die dazu vorgetragenen Texte der Erika Stengl sind überraschend und anregend und erfrischend, weil mitten aus dem Leben. Das kriegt man heutzutage nicht oft geboten. Gratulation.
Und dann haben die Menschen miteinander geredet, es wurde erzählt und gelacht. Und nachgedacht. Und herumgealbert. Und auch die ganz zotigen Witze kamen vor. Und es wurde geraucht und getrunken. Es gab Profiteroles und Sasakabrote und fast auch noch Pizza.
Es war ein großer Abend, ohne das groß getan werden musste.
Und so kommt es, dass im direkten Vergleich, das Hotel Imperial in Wien am Ring gelegen, gegen das Cafe Platzl in Villach am Freihausplatz ziemlich alt aussieht.
Das ist eine Erkenntnis.
Was für eine Woche.
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Weil ich 2 Sachen beinahe vergessen hätte, die für mich sehr wichtig sind, diesmal ein P.S.:
Erstens: Dem Tillo und dem Stephan und dem lieben Gott möchte ich danken, dass sie mich auf dieser Reise nicht alleine gelassen haben.
Zweitens: Ich bin zwar auf diese Bühne geklettert und habe diesen Preis entgegengenommen. Er gehört und gebührt aber all jenen, die an diesem Projekt mitgearbeitet und ihren Beitrag geleistet haben. Daher gratuliere ich uns allen sehr herzlich. Und ich glaube wir können mit Recht auch ein wenig stolz auf das von uns Erreichte sein.
Und wann immer wieder ein Preis zum Abholen sein wird, wir bringen ihn schon nach Hause.
Es lebe kärnöl.