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2008-11-03

Kriegsweihnacht

Da ist keine Krise. Oder?

Da ist keine Krise. Die Krise ist nicht so schlimm. Wenn schon Krise, dann nur in den USA. Oder nur Finanzkrise. Oder nur Immobilienkrise. Oder nur Börsenkrise. Welche Krise eigentlich? Alles nur blöde Panikmache. Lassen Sie sich nicht anstecken. Rezession? Arbeitslosigkeit? Weltwirtschaftskrise? Alles marxistisches Wunschdenken einiger ewiggestriger, im 19. Jahrhundert verwurzelter Linker. Aber nicht mit uns und schon gar nicht hier.

Die tägliche Parade, zu der unserer selbsternannten Führer und Experten in den Medien ausrücken, ist verdächtig, denke ich mir. Da treten jeden Tag im Fernsehen Figuren auf, die uns die Situation in ihrem Sinn erklären, sie schönreden und uns anflehen, unser Geld ja auf der Bank oder in den Investments zu belassen, weil die sind in Österreich und auf Österreichs Banken sicher wie in Fort Knox.

Ja wenn das so ist, warum wird denn dann die Botschaft „Alles OK“ gebetsmühlenartig mehrmals am Tag wiederholt. Und jeden Tag kommt ein weiteres Gsatzl dazu. Der ORF hat jedoch dankenswerterweise die Aussagen unserer Politiker, allen voran Altbundeskanzler Gusenbauer i.D. und Finanzminister Molterer, archiviert, und sie quasi täglich einer neuen Lüge, pardon einer neuen Interpretation der Lage zur Nation überführt:

(Nur nebenbei und unter uns gefragt: Wer von uns hat schon Geld auf der Bank? Ich meine richtiges Geld. Für Investments und Fonds und so weiter. Im Wesentlichen haben die Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, maximal ihr negatives Eigenkapital auf der Bank liegen. Und wenn das weg ist, halten sich der Schaden und das Entsetzen eh in Grenzen. Bei uns. Aber eben nicht bei den Menschen, die richtiges Geld haben. Und die unseren Arbeitszyklus im Takt halten. Damit sie nicht nur richtig Geld auf der Bank liegen haben, sondern dass das auch mehr wird.)

Anfang September 2008:
Die riesigen Finanzinstitute Freddie Mac und Fannie Mae müssen von Bush in einer dramatischen Aktion gerettet werden. Lehman Brothers und Merryll Lynch sind überhaupt pleite und werden auch nicht gerettet.

Kommentar der österreichischen Politik:
„Ja, in Amerika gibt es eine Bankenkrise, weil die haben eine Menge faule Immobilienkredite, und denen da drüben wird ihre neoliberale Marktwirtschaft ganz schön um die Ohrwaschl fliegen. Aber bei uns in Europa ist alles sicher. In Österreich sowieso. Wir haben mit dem Rest der Welt nix zu tun.“

Mitte September 2008:
Die Börsen brechen massiv ein, der Versicherungsriese AIG, die Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley, die größte US-Sparkasse Washington Mutual müssen mit unvorstellbaren Summen vom Staat gerettet werden.

Kommentar der österreichischen Politik:
„Ja, es wird auch in Europa das eine oder andere Institut in Probleme kommen, aber für die Masse der Banken in good old Europe wird es kein Problem werden. Und in Österreich ist ihr Geld sowieso sicher, weil wir unsere Investments hauptsächlich im Osten getätigt haben. Und dort hält der Boom nach wie vor an.“

Ende September 2008:
Für den deutschen Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate und für den Finanzkonzern Fortis müssen mehrere Staaten einspringen, um sie vor der Pleite zu retten. Die Iren beschließen als erste eine totale Garantie für alle Spareinlagen, Island warnt vor dem Staatsbankrott. Alle großen europäischen Staaten verstaatlichen de facto ihre Problembanken.

Kommentar der österreichischen Politik:
„Es ist klar und liegt auf der Hand, dass auch europäische Geldinstitute Probleme kriegen, wenn in Amerika das System so unter Druck gerät. Für österreichische Banken stellt das aber kein großes Problem dar. Wir haben unsere Geschäftsfelder im Osten und in sicheren Inlandsgeschäften. Trotzdem stellen wir den Banken 15 Milliarden Euro zur Kapitalaufstockung und 85 Milliarden Euro als Garantiesumme zur Verfügung. Es wird zwar keine Bank brauchen, aber es trägt zur Beruhigung bei. Eine Schutzimpfung, sozusagen.“

Mitte Oktober 2008:
Ungarn steht vor dem Staatsbankrott.

Kommentar der österreichischen Politik:
„Das Ungarn Probleme bekommt ist klar, die liegen halt außerhalb der Eurozone (aber blöderweise halt im Osten, wo, glaube ich gehört zu haben, österreichische Banken ihre Hauptbetätigungsfelder haben). Aber auch, wenn österreichische Banken die Eigenkapitalaufstockung in Anspruch nehmen müssen, ist das kein Problem, weil der Staat sich daran eine goldene Nase verdienen wird. Und die 85 Milliarden Euro Garantiesumme steht ja nur zur Sicherheit im Raum.“

Ende Oktober 2008:
Die Erste Group nimmt 2,7 Milliarden Euro zur Kernkapitalaufstockung in Anspruch. Praktisch alle Staaten der EU und viele Staaten der Welt verstaatlichen de facto ihre Banken.

Kommentar der österreichischen Politik:
„Ja, die Erste hat als Erste tatsächlich richtiges Geld vom Staat gebraucht. Und wahrscheinlich auch nicht als die Letzte (Bank). Aber die 85 Milliarden für die der österreichische Staat garantiert, sind ja keine budgetrelevanten 85 Milliarden. Die werden ja erst schlagend und würden dann natürlich als Defizit im Staatshaushalt aufscheinen, wenn die Banken das Geld der Steuerzahler auch noch verspielen würden. Das ist aber nicht denkbar. Derweil ist in Österreich alles in Ordnung und überhaupt kein Grund zur Panik.“

Soweit der Stand der Stellungnahmen bis 31. Oktober 2008. Wenn es allerdings in dem Tempo weitergeht, in dem die obenstehenden Statements der österreichischen Politik abgegeben wurden, dann dauert es eh nur noch ein halbes Jahr, bis in Österreich und auf der ganzen Welt nix mehr geht. Und es deutet alles darauf hin. Je öfter diese unappetitlichen Menschen nämlich ihr kapitalistisches Maul zur Beschwichtigung aufmachen, desto mehr stinkt es auf diesem Planeten. Desto sicherer kommt der ganz große Knall. Weil wer muss schon jeden Tag zur Beruhigung der Menschen ausrücken, wenn er eh weiß, dass nix passieren kann und eh alles in Ordnung ist?

Somit könnten wir heuer also die ersten Kriegsweihnachten seit langem feiern. Aber im Vergleich zu dem, was uns dank unserer politischer Eliten die näxten Jahre erwartet, werden wir noch in Freude und Dankbarkeit an die Weihnacht 2008 zurückdenken.

Reaktionen Auf den Beitrag reagieren

Stephan jank, 2008-11-03, Nr. 4235

Ingeborg Bachmanns hat schon recht, wenn sie sagt: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar". Denn in der Tat ist die Wahrheit im Kapitalismus eine Zumutung. Das wissen zwar alle, aber keiner will's wissen. Jedenfalls "net so genau". Ich halte diesen Beitrag für eine hervorragende Illustration dieses zentralen kapitalistischen Moments.

Vielleicht sollte man ihn gerade deshalb um ein Detail ergänzen. Etwa um die Tatsache, dass Andreas Treichl, Chef der Erste Group, bei seinem letzten Auftritt im Zentrum der Hofmoderatorin Thurnher sinngemäß gesagt hat: "Dem österreichischen Bankwesen kann diese Krise nichts anhaben. Das sieht man allein daran, dass wir weder im ersten Weltkrieg noch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 und auch nicht während des 2. Weltkriegs irgendeine Hilfe vom Staat benötigt haben." Die vermeintlich dummdreiste Realitätsverweigerung, die dem Mann bereits zum Zeitpunkt dieses Zitats ins (zynisch lächelnde) Gesicht geschrieben zu stehen schien, erscheint nach dem jetzigen 2,7 Milliarden-Zuschuß plötzlich in einem ganz anderen Licht. Nach meinem Wissensstand war nämlich das "Maßnahmenpaket" der Regierung damals bei weitem noch nicht von allen Gremien abgesegnet. Wusste Treichl zu diesem Zeitpunkt etwa schon, dass sein damaliger Mitdiskutant Ewald Nowotny, Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, nach Absegnung des Pakets die Banken lautstark dazu auffordern würde, von den "Maßnahmen" des Staates doch endlich Gebrach zu machen? Wenn ja, dann war die aktuelle Krise bereits zum Zeitpunkt des Zitats schon viel schlimmer als angenommen (bzw. zugegeben). Wenn nein, dann ist sie halt erst jetzt viel schlimmer als angenommen (bzw. zugegeben). Oba so genau wol ma's eh net wissn.

Lustig ist es auch zu beobachten, wie in diesen immer kleinlauteren "Diskussionen" die diversen Aufsichtrats- bzw. Vorstandsvorsitzenden von "realwirtschaflichen" Unternehmungen immer öfter lautstark "auf Holz klopfen", da ja gerade ihre Unternehmung von den akuten Vergabeproblemen bei Krediten "überhaupt" nicht betroffen ist. So gut, wie die österreichischen Unternehmungen zur Zeit aufgestellt sind, waren sie seit Jahrzehnten noch nie. Da sind plötzlich Liquiditätsreserven aufgebaut worden und Cash-Flows vorhanden, dass man sich als Beobachter fragen muss: "Warum hat es überhaupt jemals Kredite gegeben?" Oba so genau wol ma's eh net wissn.

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