2005-07-06
Frankreichausflug - 6
Tag für die Außenseiter ?
So, liebe Leute die Muskeln sind einigermassen ausgeschüttelt und gelockert, das Wetter in Völkendorf ist wieder einigermaßen sommerlich, das Mittagessen befindet sich schon im Verdauungstrakt und die Strecke von Chambord über 183 Kilometer nach Montargis liegt wie eine Schlange in der Sonne vor uns. Es geht flach dahin und das einzige Problem wird werden, dass die Fahrer ab voraussichtlich 15 Uhr im Regen fahren werden.
Was heißt das für die heutige Etappe: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich recht früh wieder eine Fluchtgruppe bilden wird, die heute gute Chancen hat ins Ziel zu kommen. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens werden die Stars und die an aussichtsreicher Position liegenden Fahrer heute ein bisschen die Beine heben, um das gestrige Zeitfahren aus den Oberschenkeln raus zu bringen. Zweitens haben die Herrn Stars natürlich im Regen nicht den ganz großen Bock, das ganz dicke Blatt zu drücken. Gute Voraussetzungen also für Leute wie unseren Paco Wrolich, der ja ein ausgezeichneter Rolleur ist, heute mit einer Gruppe raus zu fahren und den großen Wurf zu landen und die Etappe abzuschießen. Zutrauen tu ichs ihm. Ob die Kollegen aus den anderen Teams mitspielen, ist eine andere Frage.
Einen besonderen Reiz hätte es natürlich, wenn der Jens Voigt was probieren würde, der ja Dritter im Gesamtklassement ist, und General Armstrong so bereits heute von mehreren Seiten attackiert werden würde. Das halte ich übrigens auf Sicht gesehen, für die einzige Methode, wie man den Texaner aus den Schuhen fahren kann. Nämlich täglich von mehreren Mannschaften aus anzugreifen und ihn so durch viele kleine Nadelstiche an den Rand eines schlechten Tages zu bringen. Denn, ob dieser nahezu unmenschlich fahrende Bursche jemals in eine Krise gefahren werden kann, wage ich zu bezweifeln. Vor allem ist er, aus meiner Sicht, nicht an einen einzelnen Tag in den Bergen zu erwischen. Weil die Karte wird der Cowboy sich ja auch angeschaut haben, damit er weiß, an welchen Tagen die Schnitzel paniert werden. Meine Empfehlung für diese Situation: Treten, nix aufschauen und wieder treten. Denn wenn du in der Milch schwimmst, ist es allemal besser zu strampeln bis du auf der Butter sitzt, als abzusaufen.
Sofort nach dem Start beginnen die ersten Attacken. Es wird jetzt sicherlich einige Zeit dauern, bis sich die richtige Gruppe gefunden hat. Mit Leuten drin, die vor allem General Armstrong genehm sein müssen.
Wie Sie sehen, geneigter Leser, ist nicht einmal das Leben, eines auf französischen Landstraßen vagabundierenden Radfahrers, selbstbestimmt. Was soll man da noch machen?
Endlich hat es eine Gruppe geschafft Gnade vor den Augen des Herrn Armstrong zu finden. Mit dabei Flecha, Carlström, Commesso und wieder der Ungar Bodrogi, der sich bei der heurigen Tour super präsentiert und virtuell jetzt sogar in Gelb fährt. Vorsprung 3´14". Noch hält das Wetter, nur der Wind stört die heutige Party ein bisschen. Und von wegen Bummeletappe und Beine ausschütteln. Der Rennschnitt nach 2 Stunden Fahrzeit beträgt 49,2 km/h. No bumsti.
Im Hauptfeld legt sich Ivan Basso auf den Asphalt. Ja, darf das wahr sein! Meiner Meinung nach wird es dem Armstrong von den Kollegen schon sehr leicht gemacht. Weil treffen tut das Pech immer die Anderen. So könnte der Außerirdische noch bis 2017 die Tour gewinnen.
Die Mannschaft von CSC fährt Basso wieder ran.
Jetzt 65 Kilometer vor dem Ziel setzt auch der Regen ein. Der Vorsprung der 4 Ausreißer, der zwischenzeitlich über 5 Minuten betragen hat, schmilzt auf unter drei zusammen. Wieder stehen die Zeichen auf Massensprint. Und wenn die Tour weiter mit dieser Durchschnittsgeschwindigkeit gefahren wird, dann kann ich Ihnen versichern, dass es heuer keine einzige Fluchtgruppe schaffen wird, das Etappenziel zu erreichen. Eigentlich schade. Aber so ist das halt, wenn so viel Geld im Spiel ist, und die Aufführung auf einer solch großen Bühne stattfindet. Der Spaß kommt zu kurz und der Radsport wird eine einzige Ernsthaftigkeit. Fast schon wie das richtige Leben. Vorbei die romantische Vorstellung, dass ein Außenseiter sich wenigstens für einen Tag in der wohlig, warmen Sonne des Ruhms räkeln könnte.
Gott sei Dank gibt es nur strichweise Regen. Aber halt böigen Wind. 40 Kilometer sind zum Ziel hin noch offen. Der aktuelle Vorsprung der Führungsgruppe beträgt jetzt 1´30“.
Das Feld fliegt mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h über die Straße. Es ist schon atemberaubend anzuschauen, wie 180 Radfahrer in ihren bunten Trikots auf den endlosen Geraden dahertanzen. Fast wie eine Herde Büffel. Nur natürlich hörst du kein Getrampel, sondern nur dieses charakteristische Surren, hervorgerufen von den Ketten, wenn sie über die Radkränze gewirbelt werden.
Dieses enorm hohe Tempo hat jetzt dazu geführt, dass das Hauptfeld die Ausreißer gestellt hat.
Es sind nur noch 5 Kilometer bis zum Ziel. Der Tisch ist wieder gedeckt für die Sprinter. Und die wetzen bereits ihre Messer.
Wer setzt sich durch? Wieder Boonen, oder kann er diesmal geschlagen werden? Und wen, von wem?
Das Feld biegt mit immens hohen Tempo auf die 600 Meter lange Zielgerade ein. Der Express der Mannschaft Fdjeux läuft. Etwa für den Österreicher Eisel? Nein, nein, Irrtum der bricht 150 Meter vorm Strich völlig ein. Die schnellen Männer verbiegen sich die Beine und beschleunigen ihre Räder auf ein irrwitziges Tempo. Boonen gegen McEwen lautet das Duell. Und McEwen zieht schneller. Er zwingt Boonen in die Knie und kehrt den australischen Meister raus.
Eine tolle, immens schnelle Etappe findet einen würdigen Abschluß mit diesen tollen Sprint. Im Gesamtklassement gibt es keine Verschiebungen und auch die Trikots bleiben gleich verteilt, wie schon gestern.
Etappenwertung:
1 MC EWEN Robbie DVL AUS
2 BOONEN Tom QST BEL 00' 00"
3 HUSHOVD Thor C.A NOR 00' 00"
4 O’GRADY Stuart COF AUS 00' 00"
5 FURLAN Angelo DOM ITA 00' 00"
6 DAVIS Allan LSW AUS 00' 00"
7 EISEL Bernhard FDJ AUT 00' 00"
8 COOKE Baden FDJ AUS 00' 00"
9 VOIGT Jens CSC GER 00' 00"
10 FÖRSTER Robert GST GER 00' 00"
Gesamtwertung:
1 ARMSTRONG Lance DSC USA
2 HINCAPIE George DSC USA 00' 55"
3 VOIGT Jens CSC GER 01' 04"
4 JULICH Bobby CSC USA 01' 07"
5 RUBIERA José Luis DSC ESP 01' 14"
6 POPOVYCH Yaroslav DSC UKR 01' 16"
7 VINOKOUROV Alexandre TMO KAZ 01' 21"
8 NOVAL GONZALEZ Benjamin DSC ESP 01' 26"
9 ZABRISKIE David CSC USA 01' 26"
10 BASSO Ivan CSC ITA 01' 26"
Zum Schluß wieder der Blick auf meine Jungs:
Ivan Basso (Italien), Position 10; -1´26”
Santiago Botero (Kolumbien), Position 27; -2´18“
Alexander Vinokourov (Kasachstan), Position 7; -1´21“
Lance Armstrong (USA), Position 1;
Jan Ullrich (Deutschland), Position 14; -1´36“
Iban Mayo (ESP), Position 147; -5´48“
Alejandro Valverde (ESP), Position 55; 3´32“
Roberto Heras (ESP), Poition 37; 2´58“
Levi Leipheimer (USA), Position 28; 2´21“
Yaroslav Popovych (Ukraine), Position 6; 1´16“
Die Trikots sind wie folgt verteilt:
Gelb (Gesamtführender): ARMSTRONG Lance USA
Grün (bester Sprinter): BOONEN Tom BEL
Polka (Bergpreisbester): Dekker Erik NED
Weiß (bester Rookie): POPOVYCH Yaroslav UKR
Team: CSC
Soweit für heute. Keep on cycling.