2005-01-14
Wenn geistiges Eigentum mordet
Annäherung 2 an das Thema Eigentum
Wenn in diesen Wochen angesichts der Flutkatastrophe rund um den Indischen Ozean sehr viel von Solidarität, von Hilfe für die Ärmsten etc. die Rede ist, wenn davon die Rede ist, dass eine Welle der Hilfsbereitschaft etwa durch Europa ginge, dann wird oft übersehen, dass Jahr für Jahr ein Vielfaches der Zahl der Flutopfer im Rahmen der „Internationalen Gemeinschaft“ zu Tode kommt. Und damit sind nicht allein die Millionen Hungertoten gemeint, die in einer Welt, die vor Lebensmitteln überquillt, quasi per „Naturgesetz“ verrecken. Nein, die Rede ist von einem oft ausgeblendeten Zusammenhang, auf dem auf der einen Seite unsere uns „Arbeit“ gebenden und Profit nehmenden Unternehmen wie BASF, Hoechst, Hoffmann La Roche etc. stehen und an deren anderem Ende sich Kranke und Sterbende befinden, die nicht genesen können, weil sie wegen hochpreisiger Medikamente nicht geheilt werden können. Zwischen diesen beiden Polen besteht eine Verbindung – und das ist das weltweiten Patent(un)wesen. Studieren lässt sich dies alles im Großraum Südasien.
Indien hat eine – gemessen an unseren Standards - relativ gut ausgebaute pharmazeutische Industrie mit im internationalen Vergleich billigen Medikamenten. Dies im Gegensatz zum benachbarten Pakistan, dort kosten wirkungsgleiche Medikamente ein Vielfaches (siehe Grafik gemäß UNDP-Angaben). Eine Studie der Weltbank von Mitte der 90er Jahre bestätigt diese Angaben: Danach kosteten 4 typische Medikamente in Pakistan das 10-fache, in Großbritannien das 17-fache und in den USA gar das 37-fache des Preises in Indien.
Möglich sind – exakter: waren – diese im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtigen Preisunterschiede auf Grund einer einfachen Tatsache: Bislang galt in Indien ein Gesetz namens „India Patents Act“ aus dem Jahr 1970. Dieses Gesetz beinhaltete Sicherungen sowohl für die Erfinder/innen wie die Nutzer/innen, wobei zwar die produktbezogenen Patente anerkannt, aber prozessbezogene Patente (also die Methode, wie etwas hergestellt wird) nicht akzeptiert werden. Mit anderen Worten: Das internationale Patentwesen wurde nur z.T. anerkannt. Ergebnis dieser indischen Herangehensweise war eine erstaunlich rasche Entwicklung einer indischen pharmazeutischen Industrie, die die UN-Unterorganisation UNCTAD (=United Nations Council for Trade and Development) als Modell für die Entwicklungsländer bezeichnete.[1]
Ähnliche Erfahrungen wurden auch in anderen Brasilien gemacht – besonders spektakulär im Zusammenhang mit Aids: Während in den USA die Therapie mit antiretroviralen Medikamenten rund 15.000 Dollar pro Person und Jahr kostet, sind es in Brasilien nur 3.000 Dollar. Die Folgen: Gemeinsam mit vorbeugenden Maßnahmen konnte der Vormarsch der Seuche in Brasilien gestoppt werden. ... Und auch hier liegt wie in Indien die Ursache des Erfolges im teilweisen Ignorieren des internationalen Patentwesens. In Zahlen: Das Gesundheitsministerium in Brasilia schätzt, dass sich durch die Verwendung von Generika [2] Privatpatienten und staatliche Krankenhäuser jährlich 1,3 Milliarden Dollar für Medikamente ersparen.[3]
GATT, GATS, TRIPS
Doch nun soll mit dieser positiven Entwicklung Schluss sein: Mit einer der drei Säulen der seit 1995 bestehenden WTO, dem TRIPS (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) sollen ein weltweit einheitliches Regime im Bereich des geistigen Eigentums eingeführt werden. Im Prinzip bedeutet dies, dass für Wissen die klassische kapitalistische Regel gelten soll: Eigentum schließt alle Nichteigentümer aus, der Eigentümer kann sein Eigentum weiter verkaufen, kann es brach liegen lassen, kann es verwerten wie es ihm gefällt. Erst 20 Jahre nach Anmeldung eines Patentes erlischt der Patentschutz, erst dann dürfen Generika nach bisherigem Rechtsstand auf den Markt gebracht werden.[4]. Die Ausnahmen, die diese Eigentums-Regel bestätigen: Theoretisch können im Falle von Epidemien Staaten Zwangslizenzen erlassen (und damit die Generika herstellen) oder aus Ländern wie Indien einführen, wo Medikamente billiger sind. Doch wer auch immer im Süden versucht, diese für die Gesundheitsversorgung elementaren Schutzmaßnahmen in die Gesetzgebung aufzunehmen, wird von den Staaten des Nordens und von der Pharmalobby massiv unter Druck gesetzt.[5] So wurde die Republik Südafrika im Jahr 2001 von den Herstellern von AIDS-Medikamenten wegen des Nachbaus von AIDS-Medikamenten verklagt. Erst unter dem Druck einer internationalen Kampagne zogen die Konzerne ihre Klage im April 2001 zurück. [6]
Die Wirkungen des TRIPS beurteilen Entwicklungsexpert/inn/en entsprechend negativ. Für die international bekannte Medikamentenexpertin Mira Shiva von der Voluntary Health Association of India (VHAI) ist das TRIPS-Regelwerk eines der übelsten internationalen Handelsregimes. „Widerstand dagegen formiert sich innerhalb der Entwicklungsländer unter Bauern, Menschenrechtsorganisationen sowie unter Gesundheitsaktivist/inn/en.“ Und Martin Khor vom Third World Network aus Malaysia meint: „Der durch das TRIPS erzwungene exzessiv hohe Level des Schutzes an geistigem Eigentum hat das Gleichgewicht zu Ungunsten des öffentlichen Interesses und zum Vorteil der monopolistischen Priviliegien der Besitzer von geistigem Eigentum verschoben. Dies untergräbt die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung, bei der es ja um die Ausrottung der Armut, die Förderung der Bedürfnisse eines öffentlichen Gesundheitswesens, den Schutz der Artenvielfalt, den Schutz der Umwelt sowie die Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte geht.“[7]
Im Jahr 2005 – 10 Jahre nach Gründung der WTO mit ihrem TRIPS – droht die Situation für die Pharmazeutikindustrien in Indien, Brasilien und Thailand bedrohlich zu werden – und damit vor allem einmal auch z.B. für die 5,1 Millionen HIV-Positiven in Indien!!! Die dominanten Firmen (v.a. des Nordens) drängen auf die endgültige Durchsetzung des TRIPS, erwartet wird eine Flut an Klagen. Die Hersteller von Generika praktizieren angesichts dieser Bedrohung vorauseilenden Gehorsam: Drei wichtige indische Produzenten von Aids-Medikamente haben ihre Produkte bereits vom Markt genommen.[8]
[1] India: Goodbye to cheap drugs? by Ranjit Devraj NEW DELHI (IPS) – Nov. 2004
[2] Nachahmer-Produkte enthalten die gleichen Wirkstoffe wie die teuren Ursprungsmedikamente. Sie können also genauso angewandt werden wie die Originalpräparate, kosten den Patienten beziehungsweise seine Krankenkasse aber deutlich weniger.
[3] Diese Zahl bezieht sich nicht nur auf den Kampf gegen Aids! Bartholomäus Grill, Billiger Segen. Brasilien bricht die Patente der Pharmakonzerne und rettet so vielen tausend Aids-Kranken das Leben. In: Die Zeit 28.08.2003 Nr.36 Eine Hochrechnung aus dem Jahr 1997 besagte, dass bereits 2000 rund 1,2 Millionen Bürger infiziert sein würden; tatsächlich waren es 2001 540.000, also nicht einmal halb so viele. Die Todesrate von Aids-Kranken ist landesweit um 50 Prozent gesunken.
[4] APA vom 13.11.2001: Generika als billige Nachahmer-Produkte von Arzneien . Gleich gut, aber nicht so teuer. Allerdings gilt er vom Tag der Patentanmeldung an. Da bis zur Markteinführung nach Angaben des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in der Regel bis zu 14 Jahre vergehen, hat der Hersteller nur wenige Jahre, in denen er auf Grund seines Monopols den Preis diktieren kann. Daher fordern die Medikamentenhersteller sogar eine Ausweitung der Patentzeit.
[5] Philippe Demenet, Die Schlacht um Pillen und Patente Le Monde diplomatique Nr. 6398 vom 16.3.2001
[6] BUKO Pharma-Kampagne, Südafrika: Pharmaindustrie gibt nach. PA vom 24.April 2001
[7] India: Goodbye to cheap drugs? by Ranjit Devraj NEW DELHI (IPS) – Nov. 2004
[8] ebd.
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