2006-12-01
Zum Vorwurf des Determinismus
Einer der Beiträge, die in letzter Zeit sehr kontrovers diskutiert wurde, ist Stephan Janks Ansprache zur 4. Denkmalerweiterung. Ein sehr gewichtiger Vorwurf lautet, der Beitrag sei deterministisch - und daher falsch bzw. zumindest stark verkürzt. Allerdings wäre dieser Vorwurf auf mindestens zwei weitere Beiträge der letzten Zeit zu erweitern: Den Beitrag Kriterien für eine zukunftsfähige Entwicklung sowie Neue Fairness braucht das Land????.
Allen drei Beiträgen ist eines gemein: Sie versuchen, im Gefolge marx'scher Theoriebildung die Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Gesellschaften zu berücksichtigen. Das nun ist etwas, was in den meisten politischen Artikeln der letzten Jahrzehnte (seit Ende der 70erJahre) ziemlich unüblich geworden ist. Moderne (oder sollte man sagen: Postmoderne?) Beiträge versuchen, das Handlungspotenzial Einzelner (Individuen, Gruppen) in den Mittelpunkt zu stellen und daraus Chancen und Risken abzuschätzen. Ist ja durchaus spannend und kann ja auch Erkenntnisgewinne bringen. Dennoch besteht ein entscheidendes Defizit solch "leichter", von - und das ist der entscheidende Zusatz: gesellschaftlicher - Analyse nicht angekränkelter Beiträge: Die Grundgesetzmäßigkeiten unserer Gesellschaft werden ausgeblendet. Dazu ein bildlicher Vergleich:
Die Naturbeobachtung zeigt eines: Manche Dinge fallen langsam, manche schnell zu Boden. Blätter und Staubkörner bewegen sich manchmal sogar nach oben, und die Vögel segeln nur so dahin, als gäbe es kein Herunterfallen. Kann man nun daraus den Schluss ziehen, dass es die Schwerkraft nicht gibt? Dass man hinter die Erkenntnisse eines Newton zurückfallen könne? Dass das Gesetz der Schwerkraft angesichts des Vogelfluges Determinismus sei? Natürlich nicht, nur gibt es halt Anstrengungen (Vogelflug), Zusatzfaktoren wie Luftwiderstand etc., die das Naturgesetz Schwerkraft nicht so ohne weiteres beobachten lassen.
Karl Marx hat nun mit seiner Analyse des Wertes das in einer kapitalistischen Gesellschaft wirkende Instrumentarium entwickelt. Wolf Wagner beschreibt sehr anschaulich in seinem Büchlein "Verelendungstheorie - die hilflose Kapitalismuskritik" (Frankfurt am Main 1976) dies am Beispiel der sehr oft fehlinterpretierten Aussage, wonach es im Kapitalismus eine absolutes Gesetz zur Verelendung gäbe:
Im Hegelschen und Marxschen Sprachgebrauch heißt 'absolut' soviel wie 'abstrakt', und abstrakt heißt wiederum anders als in unserem alltäglichen Sprachgebrauch: isoliert betrachtet. (Wagner S. 79)
Und das nun ist eben das Verdienst von Marx: Herausgefunden zu haben, welchen Bewegungsgesetzen das Kapital als sich selbst verwertender Wert gehorcht. Moishe Postone sowie der darauf aufbauende Beitrag von Stephan Jank haben nichts anderes gemacht, als die Basisstruktur unserer Gesellschaft, die ja permanent ausgeblendet wird, in Erinnerung zu rufen und den Bezug zum antisemitischen Wahn herzustellen.
Dabei ist im Kampf gegen die permanent drohende Barbarei selbstverständlich nicht stehenzubleiben. Es gilt, Bündnisse zu bilden, Kräfte zu bündeln, Lücken und Risse im System zu orten und zu nutzen, widerständig, subversiv, witzig ...
Umgekehrt darf aber ein soziales, ökologisches, friedensbewegtes Engagement, ein Einsetzen für die Menschen des Südens etc. nicht blind sein gegenüber den in unserer Gesellschaft wirkenden Gesetzmäßigkeiten. Diese zu ignorieren bedeutet, innerhalb kürzester Zeit blind das System zu denken und dessen Peristaltik als Erfolg der eigenen Bewegung fehlzuinterpretieren - ohne zu Bemerken, dass man nur den nützlichen Verdauungssaft des Systems bildet. Beispiele dafür gibt es leider genug.
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