2005-02-27
Würden Sie sich patentieren lassen?
Unmoralische Thesen zu einer moralisch gestellten Frage
1) Forschung ist zu einem enorm wichtigen Faktor im Leben unserer Gesellschaft geworden.
2) Aus der Logik des Systems heraus ist klar: Patente sind die Übertragung des Eigentumsbegriffes aus der Wirtschaft auf die Forschung - nur durch Patente ist garantiert, dass der die Forschung Finanzierende auch davon profitiert. Der Mechanismus dabei ist der des üblichen Eigentumsbegriffes: Eigentum bzw. Patente schließen andere aus.
3) Auf einem gesellschaftlichen Entwicklungsgrad wie dem unseren ist klar: Forschung ist kein Privatvergnügen mehr, in dem ein einzelner Genius / Spinner irgendwo im finsteren Kämmerlein sitzt und für sich Forschung betreibt. Forschung am Ende des 20. Jahrhunderts bedeutet: Ein Teil des gesellschaftlichen Überschusses muss reinvestiert werden. Forschung erfolgt meist in komplexen, arbeitsteiligen Gebilden.
4) Es geht um einen zentralen Widerspruch: Die Forderung nach Patentierung von Forschungsergebnissen ist nicht ein böses, “unmoralisches Angebot”, sondern logisches Ergebnis in einer Situation, in der die gesamte ökonomische Potential in privaten Händen konzentriert ist und damit auch das Potential zur Forschung. (Anmerkung: dazu kommt noch, dass Privatwirtschaft zunehmend auf die letzten verbliebenen Töpfe öffentlicher Forschung übergreift - Drittmittelproblematik ...) Der andre Teil des Widerspruchs: Dieser privaten Organisationsform von F&ampE steht die Tatsache gegenüber, dass dieses gesellschaftliche Mehrprodukt für die Forschung ja nicht von ihren Besitzern selbst produziert, sondern von der gesamten Gesellschaft erwirtschaftet wird - diese aber keinerlei Einfluss in Forschungsrichtung und -verwertung hat.
Noch einmal: a) Patentierung bedeutet Ausschluss, b) Private Forschung und Entwicklung ist nicht Privatvergnügen Einzelner (falls sie es jemals war), sondern Ergebnis komplexer gesellschaftlicher Prozesse. Diese Gesellschaft wird aber ausgeschlossen von den Entscheidungen, in welche Richtung geforscht wird.
5) Zugespitzt wird diese Situation dadurch, dass auch der konkrete Inhalt von Forschung in sich eine enormes Destruktivitätspotential entwickelt hat (Günther ANDERS), die möglichen negativen Folgen aber sozialisiert würden.
Verschärft wird die Situation durch die Tendenz, dass der Konkurrenzdruck zu einer derartigen Beschleunigung führt, dass für Folgenabschätzung im Sinne einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Diskussion (“Können und wollen wir uns angesichts möglicher Risiken uns überhaupt in eine derartige Richtung bewegen?”) keine Zeit mehr ist.
6) Eine Aufhebung dieses Widerspruches muss also beinhalten:
- eine Demokratisierung von Forschung im Sinne der Richtungsfestlegung
- eine tiefgreifende Folgenanalyse
- als Voraussetzung für a und b eine Entschleunigung.
Welche Maßnahmen in diese Richtung wären notwendig? Ein paar reformistische Ideen:
7) Aktive statt passive F&ampE-Politik wie überhaupt aktive statt passive Industrie / Wirtschafts - ..politik. Dabei steht der Begriff “Passiv” für Überlassung der Forschung dem Markt. Die Rolle des Staates besteht nur darin, durch möglichst niedrige Besteuerung passiv die notwendigen Mittel für die Privatinteressen zur Verfügung zu überlassen. “Aktiv” heißt demgegenüber: Privatwirtschaftliche Mittel werden zuerst einmal abgeschöpft und dann nach politischen Richtungsentscheidungen vergeben. Und zwar nicht bedingungslos. Bedingungen müssen die Richtung, aber auch die anschließende Verfügbarkeit betreffen.
8) Eine solche aktive F&ampE-Politik darf nicht erst wieder hinter verschlossenen Türen erfolgen, sonst tauscht man nur einen Teil der ökonomischen Eliten durch bürokratische Eliten aus. Forschung und Entwicklung ist eine öffentliche Angelegenheit und muss unbedingt öffentlich diskutiert und bestimmt werden.
9) Die solchermaßen eingetretene Entschleunigung muss auch ökonomisch verkraftbar sein - d.h. der Weltmarktdruck muss herausgenommen werden - man braucht eine Weltwirtschaftsordnung, die den Nachhaltigkeitskriterien gerecht wird. Maßnahmen wie der freie EU-Markt, das MAI und was auch immer sind das Gegenteil davon.
Walther Schütz, 29.3.1998
Nachbemerkung 2005: Das Gesagte gilt nur sehr bedingt für den Software-Bereich: Hier kann tatsächlich noch Vieles ohne große Vorausinvestitionen entwickelt werden. Ich denke dabei an freie Software wie Linux. Hier muss "Demokratisierung" anders aussehen bzw. hier zeigt sich, dass der Begriff "Demokratie" wohl zu kurz greift.