2004-05-10
Bildung als Ware?
Wenn die Marktwirtschaft in den Schulen Einzug hält
„Bildung ist keine Ware! Gemeinsam gegen Bildungs- und Sozialabbau!“ – das war der zentrale Slogan am 2. April 2004, als in Wien zahlreicher SchülerInnen und LehrerInnen einem Aufruf des Europäischen Sozialforums (ESF) und des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) gefolgt sind.
Einer der Hintergründe dazu ist, dass vor gut einem Jahr einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, dass über das „GATS“ (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) quasi von oben eine zwangsweise Vermarktwirtschaftlichung („Liberalisierung“) von Bildung verordnet werden soll. Das bedeutet in seiner konsequenten Durchführung in naher oder fernerer Zukunft, dass die öffentliche Hand verpflichtet ist, die „Leistung Bildung“ für die SchülerInnen in einer bestimmten Region für alle „An-bieter“ auszuschreiben und die Bildungsfirma X oder die Gemeinde Y käme als Bestbieter zum Zug. Diese Auseinandersetzung um das GATS als zentrale Säule der Welthandelsorganisation WTO machte auf einmal klar, dass das, was uns allen bisher so selbstverständlich schien, nämlich ein gut ausgebauter und dem Gemein-wohl verpflichteter öffentlicher Bereich an Daseinsvorsorge (Wasser, Gesundheit, Bildung ...), massiv bedroht ist: So sagt das Investmenthaus Merrill Lynch voraus, dass „in den nächsten 10 Jahren die öffentliche Bildung weltweit privatisiert wird und dass unsagbare Gewinne in diesem Prozess gemacht werden können.“
Solche durchgreifenden offensichtlichen „Liberalisierungen“ wie die über das GATS könnten von den Regierungen zwar jederzeit beschlossen werden, sie würden aber selbst bei konservativsten FCGlern zur Zeit wahrscheinlich zu einem Aufstand führen. Viel gefährlicher, weil subtiler sind parallele Weichenstellungen, die z.T. mit positiv besetzten Schlagworten daherkommen: Evaluierungen, Leistungsstandards, Abschaffung der Pragmatisierung, Teamentwicklung, Eigenverantwortung, Qualitätssicherung, mehr Autonomie ...
Nun fragt man sich, was denn daran schlecht sein soll, wenn man z.B. evaluiert? Warum soll man nicht darüber nachdenken, was man besser machen könnte? Warum soll man sich nicht weiterentwickeln?
Und schon ist man in der Falle, denn solch „positives Denken“ blendet den Gesamtzusammenhang aus: Es wird nämlich nicht mehr – wie noch in den 70er Jahren – das Gesamtsystem verbessert. Eine solche Herangehensweise wird von der Zukunftskommission abgelehnt. Vielmehr soll sich die einzelne Schule, die einzelne Lehrkraft in ihrem Verhalten optimieren. Und um dies durchzusetzen, sollen auch im Bildungsbereich alle Beziehungen als Konkurrenzbeziehungen organisiert werden.
Evaluierungen, Leistungsstandards, Schulprofile, Abschaffung der Pragmatisierung, Total Quality Management ... sind zwar prinzipiell auch in einem anderen Kontext denkbar, aber als Instrumente einer umfassenden Vermarktwirtschaftlichung sind sie unverzichtbar. So hat wohl jede Lehrkraft bereits über ihren Unterricht nachgedacht und insofern Evaluierung betrieben. Um etwas ganz anderes aber geht es, wenn nur mehr das Verhalten des Einzelnen ins Visier genommen und das Gesamtsystem damit tabuisiert wird – etwa die schlechter werdende materielle Ausstattung. Motto: „Hätte sich das Kollegium der Hauptschule Z halt mehr angestrengt!“ Das bedeu-tet nun nicht, dass der Staat „verschwindet“, sondern er bleibt mit seinen Leistungsstandards ganz massiv als Regulierungsbehörde vorhanden, aber nicht mehr als für die Durchführung Verantwortlicher, sondern nun immer mehr als Einrichtung, die kontrolliert und zur Verantwortung zieht.
Es stellen sich nun einige Fragen: Verbessern wir mit dem Einzug von Marktwirtschaft das Schulsystem? Wird mit dem in der Privatwirtschaft oft üblichen „Hire und fire“ des Personals ein „pädagogischerer Umgang“ erzwungen? Oder damit, dass Eltern als „Konsumenten“ Druck auf den „Dienstleister“ Schule (etwa durch Schulwechsel) ausüben?
Schulen als Unternehmen und die Folgen
Wie am Beispiel der Universitätsreform sichtbar ist, ändert sich mit der Umwandlung von Institutionen in einzel-ne, untereinander in Konkurrenz befindliche Wirtschaftseinheiten [Stichwort: Autonomie!!!!] deren gesamte inne-re Funktionslogik. Und zwar unabhängig, ob sie in privatem oder öffentlichem Besitz sind! Schlüsselelemente sind der Übergang von der bisherigen Art der Finanzierung zur Finanzierung über Leistungsvereinbarungen und Globalbudgets[1].
Die Folgen:
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Die individuelle Konkurrenz unter KollegInnen blüht auf: „Wir werden uns verändern: Aus der gemütlichen, selbstzufriedenen Person mittleren Alters wird ein aggressiver Jugendlicher, wettbewerbsorientiert, kampfbereit und voller Energie. Wir werden unsere Ressourcen verteidigen, Mitbewerber ausstechen und uns selbst reflektieren müssen. Schmerz und Leidensdruck werden diesen Veränderungsprozess begleiten.“ Soweit Paolo Rondo-Provetto, der als Verfechter des "New Public Management" eine Vermarktwirtschaftlichung der Universitäten freudig begrüßt, im O-Ton.[2].
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Die Nachbarschule als Feind: Jeder kennt das mittlerweile – praktisch jede Schule erstellt ihren Folder, erarbeitet sich ihr eigenes Logo, versucht durch immer früher stattfindende Tage der offenen Tür SchülerInnen zu „keilen“. Da wird z.T. irre viel gearbeitet, aber nicht um die Qualität des Unterrichtes zu verbessern, sondern das Mehr an Energie verpufft im Gegeneinander der Schulen. Nur mal ein Gedankenexperiment: Was würde es unter diesen Konkurrenzverhältnissen bedeuten, wenn eine Schule einen pädagogischen „Stein der Weisen“ entdecken würde? Selbstverständlich würde sie diese Kenntnisse nicht den anderen Schulen weitergeben, sondern als Konkurrenzvorteil für sich behalten (oder teuer verscherbeln).
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Zunahme an Hierarchie: Aus der Schulleitung als bürokratische Ebene werden ManagerInnen. Die Macht des Direktors / der Direktorin steigt damit. Dazu wieder ein Zitat aus der Sicht von Befürwortern dieses Prozesses: „Die Funktion des Rektors wird durch die volle Budgetautonomie und das Wegfallen des Konzepts der Planstellen im Vergleich zu heute noch bedeutender.".[3] Und zum Thema der eigentlich im Verfassungsrang garantierten Lehr- und Methodenfreiheit erfolgt eine bedeutsame Uminterpretation: Wesentlich sind nicht mehr „die Wissenschaft, die Gesellschaft, die Person selbst [in übertragenem Sinn: Die Pädagogik, die SchülerInnen ...] und auch nicht deren Kollegen, sondern vorwiegend die Institution. Und dies ist der richtige Ausdruck der "akademischen Freiheit": jeder kann tun, was er will, forschen, lehren ... solange sie oder er beweisen kann, dass die Institution davon profitiert.“
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Die „Dienstleistung Bildung als Lockmittel für „Kundschaft“: Eine beträchtliche Veränderung erfährt die Bildung selbst. Vieles ist noch unklar, indes lässt sich Problematisches erwarten. Vergleicht man z.B. mit anderen wirtschaftlichen Bereichen, etwa dem neu entstandenen Getränkewassermarkt, so zeigt sich, dass der Anbieter einer Ware mit allen Tricks – z.B. irrationalen Versprechungen - die Kundschaft abhängig machen will. Da werden etwa Wässerchen angeboten, die „30% mehr Wellness“ garantieren wollen, nur weil sie schmecken wie ein verwässerter Almdudler. Vermutlich sind wir uns noch gar nicht darüber klar, was dies für eine Bildung bedeuten wird, deren Zweck die Hinführung zu Selbständigkeit sein soll und nicht die Existenz als belieferungsbedürftige Mängelwesen. Was werden sich die „Anbieter von Bildung“ da in Zukunft alles einfallen lassen müssen, um Kunden zu lukrieren? War es nicht bisher die Aufgabe von uns LehrerInnen, z.B. die Manipulation durch Werbung für die SchülerInnen durchschaubar zu machen? Und jetzt sollen wir selbst als Werbeobjekte fungieren? So verschiebt sich die Hauptmotivation von uns pragmatisierten Bildungsbeamten, die einen Eid auf die demokratische Verfassung leisten mussten: Einmal auf einen ökonomischen Wettkampf festgelegt ist das wichtigste Ziel eine möglichst hohe Zahl von angepassten SchülerInnen, die bei den standardisierten Tests eine hohe Punktezahl erreichen, zu ergattern. Indikatoren wie z.B. fragwürdige Rankings nehmen jetzt schon an Bedeutung zu. Der Trend zum Ausschluss von „schwierigen“ Kindern wird sich verstärken. Diese versauen ja den Schnitt und erhöhen den Personalaufwand. Und die Motivation der „DienstleisterInnen“ zum Erfinden immer neuer „Schwerpunkte“ und medienwirksamer Attraktionen zu reinen Werbezwecken wird noch massiv steigen.
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Fragwürdigkeit der Schulwahlfreiheit und Aufhebung der Schulsprengel: Gita Steiner-Kamshi stellt an Untersuchungen in den USA fest, dass sich das Bildungsangebot dadurch inhaltlich nivelliert: Sich selbst überlassen geht die Wahl in Richtung technisch-mathematischer Schwerpunkte, Computer und Sprachen[4]. Das ist ja auch logisch - vor die Wahl gestellt werden 99% der Eltern sich für das entscheiden, was ihren Kindern einen Wettbewerbsvorteil im beruflichen Existenzkampf garantiert, da ist das „Hemd näher als der Rock“. Der / die Einzelne kann nicht im Sinne des Allgemeinwohls wählen (Ökologie, Politische Bildung, Soziales Lernen, musische Bildung...). Solches kann nur gemeinsam und öffentlich für alle festgelegt werden!
Perspektiven?
Eine attraktive öffentliche Schule muss nicht das Rad neu erfinden. Vielmehr gilt es den Reformweg der 60er und 70erJahre in Erinnerung zu rufen: „Alle
Bereiche mit Demokratie durchfluten.“
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Demokratie und Selbstverwaltung in den Schulen leben lernen. Wir sollten uns bewusst machen, dass unsere Schulen lt. SCHUG im Gegensatz zu jedem privatwirtschaftlichen Unternehmen sehr demokratisch organisiert sind, wo LehrerInnen über Konferenzen echte Mitspracherechte.[5] haben. Auch die Bezirks- und Landesschulräte sind eigentlich (viel zu wenig wahrgenommene) demokratische Planungsgremien.
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Priorität für das Gemeinwohl: Statt Profit- und Konkurrenzlogik eine gute Bildung für alle, auch für die einkommensschwachen Schichten. Und es gilt, durch gesicherte Rahmenbedingungen den Mut zu Experimenten und Innovationen zu fördern.
[1] |
UNISONO, Zeitschrift der Universität Klagenfurt, Nr. 55, S. 7 |
[2] |
UNISONO, ebd. |
[3] |
Ebd. |
[4] |
Gita Steiner-Kamshi, Von der lokalen Schulentwicklung zur Bildungsindustrie. In: Schulheft 90: Macht in der Schule (edd. Barbara Falkinger / Michael Sertl) Wien 1998 |
[5] |
Aus SCHUG § 57: (4) Die Lehrerkonferenzen sind zur Erfüllung der ihnen durch die Rechtsvorschriften übertragenen Auf-gaben oder zur Beratung gemeinsamer Fragen der Unterrichts- und Erziehungsarbeit oder zur beruflichen Fortbildung der Lehrer durchzuführen. (6) Der Schulleiter ... ist verpflichtet, Lehrerkonferenzen einzuberufen, wenn dies ein Drittel ... ver-langt. ... Der Schulleiter ist ferner verpflichtet, in den Lehrerkonferenzen jene Angelegenheiten zu beraten, deren Beratung von einem Drittel ... verlangt wird. (7) Für einen Beschluss einer Lehrerkonferenz ist die Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln ihrer Mitglieder und die unbedingte Mehrheit der abgegeben Stimmen erforderlich. Dem Vorsitzenden und jedem Mitglied kommt eine Stimme zu. |