2004-06-21
Gentech 4: Wirtschaft im Dienst des Lebens???
Ein Kommentar über die EU-Landwirtschaftspolitik
Eigentlich wäre die Sache mit der Gentechnik in der Landwirtschaft ganz einfach: Da gibt es ein weltweites Übereinkommen über die biologische Sicherheit - das “Cartagena-Protokoll”. Dieses sieht vor, dass Staaten unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip Importverbote verhängen können, wenn Zweifel an der Sicherheit für die Umwelt bestehen. So gesehen wäre es eigentlich leicht, die Einfuhr und den Anbau von gentechnisch veränderter Nahrung zu verbieten. Soweit die Theorie.
Wie aber war es dann möglich, dass die USA die EU vor das Schiedsgericht der WTO zerren konnten, weil sie die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft behindere? Wäre das nicht das gute Recht der EU - noch dazu, wo dies dem Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung entspricht?
Das alles ist möglich, weil Globalisierung nach anderen Prinzipien als dem Vorsorgeprinzip von Umwelt-abkommen geregelt wird: Priorität hat das Freihandelsprinzip. Vorsorge sei - so diese Logik - Ausdruck von Unwissenschaftlichkeit und damit ein anderes Wort für Protektionismus (= Schutz). Die Beweislast für die Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) liegt demnach nicht bei den Herstellern bzw. Exporteuren von GVO. Vielmehr hat das Empfängerland nachzuweisen, dass eine Gefährdung besteht. WTO-Recht entscheidet also unter Hintanstellung internationaler Umweltschutzabkommen über weitreichende Fragen der Landwirtschaft, der Ernährung und des Verbraucherschutzes einzelner Staaten.
Absurd, könnte man meinen. Aber was hier zur Geltung kommt, ist meines Erachtens mehr als bloß ein “Betriebsunfall” der weltweiten Diplomatie. Es ist - wie es der Befreiungstheologe Ulrich Duchrow beschreibt - die Durchsetzung des uneingeschränkten Verfügungsrechtes des Eigentümers über sein Eigentum. Er kann es gebrauchen, missbrauchen ... Einzige Einschränkung: Das Verfügungsrecht anderer Eigentümer über deren Eigentum darf nicht eingeschränkt werden.
Nun ist dieser Umgang mit Eigentum ja als Tendenz im Kapitalismus angelegt. Allerdings hatte bislang der Kapitalismus nur für Teile des gesellschaftlichen Lebens Gültigkeit (so war ja bis vor einer Generation noch ein großer Teil der Bevölkerung zumindest mit einem Fuß in der Selbstversorgungslandwirtschaft). Und dort, wo der Markt als Prinzip gültig war, hat es immer wieder Phasen seiner Einschränkung gegeben: Es war klar, dass die Gesellschaft regulierend eingreifen muss(!), der Begriff der “Sozialpflichtigkeit” von Eigentum ist etwa in der BRD sogar im Verfassungsrang festgeschrieben.
Dass alles und jedes als Eigentum definiert wird, zeigt sich auch an anderer Stelle: Durchsetzbar ist Gentechnik nur, weil jede genmani-pulierte Pflanze als „Erfindung“ patentierbar ist. Damit wird die Kategorie “Eigentum” auf immer weitere Bereiche des Lebens aus-gedehnt.
Böse WTO? Böse USA?
Es ist genau dieser “liberale” Um-gang mit Eigentum, der auch erklärt, warum die EU nicht korrigierendes Element der WTO, sondern genauso zentraler Akteur im Prozess der Globalisierung ist.
✘ Der harte Kern der EU ist der Binnenmarkt mit seinen Freiheiten für den Waren- und Kapitalverkehr. Als Oberösterreich im vorigen Jahr das ganze Bundesland zur gentechnikfreien Zone erklären wollte, wurde dies von der EU abgelehnt, weil dies mit den Prinzipien des Binnen-marktes nicht vereinbar sei.
✘ Im EU-Verfassungsentwurf sucht man im Abschnitt über die Land-wirtschaft (III.121ff.) vergeblich nach Hinweisen auf Verträglichkeitsmaß-nahmen hinsichtlich Ökologie und "Dritte Welt". Als oberstes Ziel wird nach wie vor angegeben: "die Produktivität ... durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern".
So weit, so schlimm. Aber all diese Versuche, Eigentum absolut zu setzen, haben auch ihre Grenzen. Die Grenzen sind dort, wo Menschen erkennen, dass all diese Regeln von Menschen gemacht sind und daher auch wieder geändert werden können.
Walther Schütz