2005-02-25
Chancengleichheit & Gerechtigkeit als Falle für rosa und grünliche Politiker/-innen!
Kommentar zur laufenden Bildungsdiskussion am Beispiel eines Artrikels aus der Wiener Zeitschrift
Den Falterartikel
"Die kleine Chance", auf den dieser Beitrag reagiert, finden Sie auf
www.falter.at.
Chancengleichheit, Gerechtigkeit - wie toll das alles klingt. Und seit der 2. Pisastudie haben Grüne und Sozialdemokrat/-innen Aufwind: Endlich ist schwarz auf weiß nachgewiesen, dass mit unser Bildungssystem keine gleiche Chancen gewährt werden. Wenn man davon ausgeht, dass unser Leben immer härter wird, dass die Konkurrenz immer stärker wird, dass es immer wichtiger ist, dass man bereits von Anfang an beim Lebensstart in der richtigen Position ist, dann - und nur dann - ist tatsächlich die Ungerechtigkeit des Bildungssystems ein Skandal. Aber sind da die rosa-grünlichen Freund/-innen nicht bereits freudig in die Falle getappt?
Da können sich Sozis und Grün(lich)e, die sich ansonsten mit dem Kapitalismus (und nicht nur das: auch mit dem Kapitalismus in seiner neoliberalen hard-core-Variante) abgefunden haben, so richtig abarbeiten. Aber sollte die Frage nicht anders lauten: Ist es nicht der wirkliche Skandal, dass das Leben immer mehr zur Hölle wird, dass "der Mensch dem Menschen immer mehr zum Wolfe wird", wie der Dichter sagt und dabei die Wolfsgemeinschaft massiv beleidigt. Obwohl rein stofflich immer mehr Wohlstand zur Verfügung stehen könnte, wird der Wettbewerb immer mehr verschärft und geht es uns seit Mitte der 70er der Wohlstand schlechter - Konkurrenz, Angst um den Arbeitsmarkt ... (Zukunftsforscher Rolf Kreibich, Lebensqualität nimmt seit 30 Jahren ab. Institut für Technologiebewertung)
Und in diese Situation platzt nun die Bildungsdiskussion. Aber da wird nicht etwa eine Bildung gefordert, die den Menschen aus seiner selbsterrichteten Unmündigkeit befreit (Bildung als Prozess verstanden, durch den der Mensch sich ...
"[...] als sein eigener Urheber [begreift, und] versteht, dass ihm die Ketten, die das Fleisch aufschneiden, vom Menschen angelegt sind und dass es eine Aussicht gibt, sie zu zerreißen".
(zit. nach Erich Ribolits, Bildung und Bildungspolitik für eine menschenwürdige Gesellschaft. Vortrag beim Zukunftsforum Gewerkschaften Nov. 2001, zum Download unter
www.streifzüge.org),
Nein. Statt dessen fordert man "Chancengleichheit". Und damit macht Rosa-Grünlich nicht nur einen taktischen Fehler, sondern begeht darüber hinaus noch eine veritable Sauerei: Sie legitimieren nämlich die sozialdarwinistische Auslese auch noch! Hauptsache Gerechtigkeit. Das ist schamlos billig. Anstatt sich in die mühevollen Auseinandersetzungen zu begeben um Standortwahn, Globalisierung, Neoliberalismus, etc... werden die Zustände durch den Bildungs-Hype auch noch schöngeredet: Wenn nur die unteren Schichten auch mitmachen könnten. Man erinnere sich etwa an die kurz aufgeflammte Diskussion um ein SP-Steuerpapier, wo so etwas wie Umverteilung kurz angedacht wurde und wie rasch daraufhin unser selbsternannter Oberbildungsexperte Gusenbauer den Polit-Schwanz eingezogen hatte.
Ich war ja immer für die Gesamtschule, für Bildung, aber wenn man dann Sachen liest wie: "Im Gegensatz zu Skandinavien, das beim Schülervergleichtest Pisa deutlich besser abschnitt als Österreich, gibt es hierzulande keine Vorschulpflicht. Wächst das Kind in einem Arbeiter-Wohnsilo auf, geht es höchstens in einen öffentlichen Kindergarten, wo es neben Malen, Zeichnen, Formen vielleicht noch seinen eigenen Vornamen schreiben lernt. Der Nachwuchs der Nobelvororte dagegen bekommt zur selben Zeit meist schon seine ersten Stunden in Ballett, Flöte oder Englisch. Die Eltern können sich das leisten. Am Abend üben sie mit den Kleinen dann Lesen. Denn sie wissen, dass ihre Sprösslinge mit vier, fünf Jahren ruhig schon gefördert und gefordert werden dürfen. Damit haben die Kinder der Ober- und oberen Mittelschicht den anderen schon einiges voraus, wenn sie ab sechs - gemeinsam - die Schulbank drücken. ..." (Eva Weißenberger/Nina Weißensteiner, Die kleine Chance. in: Falter, Hervorhebungen durch den Autor) ...
... dann - ja dann - denke ich mir: Wer hilft endlich den armen Kindern, die da von ihren ehrgeizzerfressenen, karrierewütigen Eltern "gefördert" werden? Da kommt man ja wirklich auf den Gedanken, dass die Ganztagsschule etwas Gute hätte, aber nicht damit die Kinder mehr lernen, sondern damit sie WENIGER LERNEN, damit sie einmal in Ruhe spielen können ... Aber das ist eben ein Traum, denn in der Realität droht halt nur die totalitäre Ausweitung des Leistungswahns. Wie gesagt, ich war immer für mehr Bildung, für eine Gesamtschule, Integration ... aber das was unter Verwendung eben dieser Begriffe im Moment läuft und von der Rosa-Grünlichen Ecke massiv mitgepusht wird hat mit Humanismus nichts zu tun.
PS: Brigitte Ederer ist für mich ein ziemlich abschreckendes Beispiel, würde mir nicht wünschen, dass meine Kinder eine ähnliche Kariere machen würden.