2004-05-03
EU-Osterweiterung: Entwicklungschance, neokoloniales Projekt oder was?
Diskussion und Thesen
Europa
Heißt Solidarität, einfach nur zu jubeln, wenn die Menschen der 10 neuen Mitgliedsstaaten der EU in den "gemeinsamen Markt" geworfen werden? Vordergründig könnte man froh sein darüber, dass beim Thema EU-Osterweiterung (die ja eher eine Erweiterung des Westens ist, wie NR. Melitta Trunk richtig erwähnt) eine Welle von Euphorie, von Willkommensbotschaften, Handschütteln, ... ausgelöst hat. Die damit aber verbundene LÜGE: Es wird damit mittransportiert, dass in einem Akt der Solidarität die Menschen der 10 neuen Mitgliedsländer in eine Gemeinschaft der Sozialen Unterstützung, des Umweltschutzes, der wahren Demokratie, der Kooperation zwischen den Regionen und Kommunen, der Abwesenheit von Fremdenhass, Diskriminierung ... aufgenommen werden würden. (z.B. breitgewalzt auf mehr als 9 Seiten "Kleine-Zeitung-Propaganda-Berichterstattung am 1.Mai 04) Das ist die eigentliche Botschaft hinter der ganzen Beitrittseuphorie, an die man nur glauben kann, wenn man davon ausgeht, dass eine hardcore-Marktwirtschaft wie durch ein Zauberwerk alles von selbst zum besten richten würde. Und der gesamte Mainstream bis hinein in ein linksliberales Milieu heult mit. Gegen einen angeblich überkommenen Nationalismus - und wollen dabei nicht bemerken, dass sie einem neuen EU-Nationalismus das Wort reden.
Die Realität ist aber nicht so lustig:
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Die EU ist die rechtliche Festschreibung des freien Marktes über den berühmt-berüchtigten "Binnenmarkt" mit seinen Freiheiten. Was bedeutet ein solcher für schwächere Ökonomien? Nicht umsonst lautete die Schlagzeile des Wirtschaftsblattes vom 16.1.04 „EU killt Ostbetriebe – Chance für Österreichische Wirtschaft“. Sicher, diese Prozesse gibt es auch schon bisher ohne EU-Beitritt, der Punkt aber ist, dass die EU daraus noch ein Recht macht und einen Schutz schwächerer Wirtschaftsteilnehmer als Diskriminierung VERBIETET.
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Bei der Diskussion bzw. Verteidigung der EU gegenüber ihren KritikerInnen wird oft ein Gegensatz zu einer angeblichen überwundenen Staatlichkeit konstruiert. Nichts ist falscher, die EU ist die konsequente Weiterentwicklung des unseligen Paares Markt und Staat, das ja den Kapitalismus ausmacht. Und das Projekt EU wird ja auch deswegen von den herrschenden Eliten so massiv betrieben.
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Mit der EU-Verfassung wird diese rechtliche Festschreibung eines "entbetteten [entfesselten] Kapitalismus" noch in den Verfassungsrang erhoben.
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Solidarität heißt nicht, diesen Charakter der EU zu verdrängen, sondern für eine grundlegend andere Politik einzutreten: Vor dem Hintergrund, dass die prekäre Lage der Peripherieländer in der EU nur Teil einer globalen Misere ist, kann eine Lösung nicht innerhalb einer entfesselten Konkurrenzlogik erfolgen. Ein nachhaltiger Lösungsansatz muss vielmehr dem Prinzip der „Ökonomischen Subsidiarität“ genüge tun. Was das bedeuten könnte, sei im folgenden an ein paar (bei weitem unvollständigen) Beispielen veranschaulicht.
Ansatzpunkte für ein „Anderes Europa“
- So wenig Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum wie möglich! Statt dessen muss der vorhandene Reichtum europaweit nutzbar gemacht werden, indem eine EU-weite einheitliche Besteuerung des Kapitals den Steuerwettlauf nach unten stoppt und Mittel für eine soziale Verwendung zur Verfügung stellt: etwa über Einführung der Wertschöpfungsabgabe („Maschinensteuer“); progressive Besteuerung der Gewinne aus Finanzkapital; Vermögenssteuern ...; Verknappung von Arbeitskraft durch massive Arbeitszeitverkürzung (diese kommen auch benachteiligten Regionen zugute, denn erstens sind die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit nie räumlich gleichmäßig verteilt und zum Zweiten würden so auch die Arbeitskräfte aus peripheren Regionen vermehrt eingebunden werden); EU-weite Grundsicherung auf hohem Niveau, denn gerade untypische Erwerbsbiographien und daraus resultierendes Durchfallen durch das soziale Netz häufen sich in peripheren Regionen ...
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So wenig arbeitsteilig wie möglich und so regional wie möglich, d.h. statt der Forcierung der Trans-Europäischen-Netze die flächendeckende Modernisierung des Bahnnetzes; explizite Möglichkeiten für die Bevorzugung regionaler Produkte in Ausschreibungen; ...
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So gesamtwirtschaftlich effizient wie irgendwie möglich, d.h. der Erhalt und Verbesserung und Ausbau einer qualitativ hochwertigen öffentlichen Daseinsvorsorge statt einer Binnenmarktstrategie, die immer weitere öffentliche Bereiche dem Kapitalverwertungsinteresse zum Fraß vorwerfen will.
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Statt einer Forcierung der Finanzmärkte deren Regulierung und Einschränkung, ein Ansatzpunkt dazu wäre der Erhalt des umlageorientierten Pensionssystems statt der kapitalgedeckten privaten Pensionsvorsorge.
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Abgehen von einer auf Produktivitätssteigerung orientierten Landwirtschaftspolitik, statt dessen Umbau des europäischen Agrarsystem in Richtung ökologischer und sozialer Landwirtschaft. Neben der no-na-net-Tatsache, dass wir alle eine nachhaltige Agrarpolitik brauchen, käme eine solche andere Agrarpolitik unmittelbar vor allem auch den Millionen Bauern und Bäuerinnen im Osten zugute.
Eine solche „Andere Politik“ muss sowohl im Inneren Europas als auch in dessen Außenwirtschaftsbeziehungen durchgesetzt werden. Das heißt, dass ein „Anderes Europa“ auch innerhalb der WTO für eine wirklich solidarische Politik eintreten muss.