Julia Balatka, 2005-03-06, Nr. 1847
Hallo!
Im Artikel "Der Griff nach dem Leben" wird behauptet, dass privatisieren vom lat. privare kommt, was rauben bedeutet.
Dass privare rauben heißt stimmt ja, aber das sich privat davon ableitet glaube ich trotzdem nicht. Wer hat diese Behauptung aufgestellt und wo kann ich nachschauen, ob das stimmt. Mein Fremdwörterlexikon stimmt dieser Behauptung jedenfalls nicht wirklich zu.
Grüße aus Wien
Julia
Bündnis für Eine Welt /ÖIE, 2005-03-06, Nr. 1848
Liebe Julia Balatka,
du findest diesen Hinweis auf die Herkunft von "Priviatisierung" z.b. unter dem Artikel
"Eigentum anders. Unsere Strategie und unser Handeln. Österreichische Entwicklungstagung 2005"
auf der Homepage www.pfz.at (Paulo-Freire-Zentrum) unter dem Button Entwicklungstagung 2005. Dass du in gängigen Werken (Fremdwörterlexika) nichts findet, bestätigt ja überhaupt nichts, ganz anders herum sollte man es sehen: über die Herkunft der eigenen Ökonomie wird schamhaft der Mantel des Schweigens gestülpt.
walther schütz
Stephan Jank, 2005-03-06, Nr. 1849
Tatsächlich verhält es sich so, dass man in deutschen Lexika zur Herkunft des Wortes "privat" meist im Unklaren gelassen wird. Ich befürchte wie Walther Schütz, dass diese Verschleierung bewusst erfolgt So liest man oft (vgl. www.lexikonia.de), dass es sich bei "privat" um nichts anderes als das Gegenteil von "öffentlich" handeln würde. Jeder Hinweis auf einen vorangegangenen Akt der Beraubung wird dabei geflissentlich unterdrückt. Ganz andere Informationen zum Thema gibt's aber, wenn man einen Blick in ein Etymologie-Wörterbuch wirft: wwww.etimo.it. Dort heißt es etwa: privare: togliere a uno cio che ha; impedire che altri abbia una cosa desiderata. Oder auf gut Deutsch: wegnehmen von jemandem, der es hat; verhindern, dass andere eine gewünschte Sache haben. Aber selbst im Latein-Langenscheidt meiner langen und traurigen Mittelschulzeit findet sich: privare: berauben. Damit ist klar, was dann das Partizip Perfekt privat(us) zu bedeuten hat: beraubt. Und zwar der Möglichkeit des öffentlichen Zugriffes.
rVk, 2005-03-06, Nr. 1850
Hier muß ich mich zu Wort melden, da ich nur in schlechten Romanen ein Anhänger von Verschwörungstheorien bin. Meine Rechere ergab:
pri|vat
(persönlich; nicht öffentlich; vertraulich; vertraut)
Kleinschreibung K72:
eine private Meinung, Angelegenheit; die private Wirtschaft
Verkauf an privat [alte Schreibung Privat]; Kauf von privat [alte Schreibung Privat]
Getrenntschreibung:
sich privat versichern; eine privat versicherte [alte Schreibung privatversicherte] Patientin
Vgl. auch Private
© 2000 Dudenverlag
Und der kleine Stowasser berichtet:
privatus 3: 1. einer Einzelperson gehörig, 2. gewöhnlich, gemein.
Substantiv: privatum -i, das Eigene
privatus -i, Privatmann, Mann ohne Amt, Untertan
Der Wortstamm ist privo 1. Ich bitte hier bei allem ideologischem Eifer die zwei Bedeutungen des Wortes zu betrachten: 1. berauben 2. befreien
Ich hoffe, ich konnte ein bisschen helfen.
Liebe Grüße
Robert Kravanja
homo criticus, 2005-03-06, Nr. 1852
Als Diskussionsbeitrag eine Fußnote von Ernst Lohoff zu seinem Aufsatz "Zur Dialektik von Mangel und Überfluss" http://www.krisis.org/e-lohoff_dialektik-mangel-ueberfluss_k21.html):
[...] »Privatus«, das Partizip Perfekt des Verbs »privare« (rauben), bezeichnet im Lateinischen, substantiviert verwendet, »das Beraubte«. Der Privatier, der freie Bürger, dessen Dasein sich nur um die Erfordernis des Erwerbs dreht, führt dem antiken Verständnis nach eine beraubte, ihres wesentlichen Inhalts entkleidete, durch und durch erbärmliche Existenz. Das Altgriechische bringt das übrigens noch etwas härter auf den Punkt. Der Begriff des homo privatus hat in dieser Sprache seine Entsprechung im »Idioten«, ein Ausdruck, von dem bei der Übernahme in die modernen Sprachen leider nur mehr die pejorative Besetzung übrig geblieben ist. Vom Standpunkt der Kritik bietet sich die Rückkehr zum ursprünglichen Sprachgebrauch an. Eine ungesellschaftliche Gesellschaft, die sich ihrem Wesen nach in die allgemeine Konkurrenz privater Interessenstandpunkte auflöst, verdient in der Tat, als vollidiotisierte Gesellschaft bezeichnet zu werden.
Stephan Jank, 2005-03-06, Nr. 1853
Nachdem uns alle hier jemand (h. c.) ziemlich alt aussehen läßt, stehe ich hier nicht an, einen guten Verlierer abzugeben. Denn tatsächlich ergeben auch bei mir weitere Recherchen, dass es sich im Wortstamm von "privare" nicht um einen vordergründigen Akt der Beraubung, sondern eher um einen Akt der Absonderung handelt. So meint etwa auch Prof. Dr. Bodo Zeuner in seinem Vortrag zum vorjährigen Berliner Perspektivenkongress (nachzulesen auf www.perspektivenkongress.de):
"Hier sei kurz auf die ursprüngliche Wortbedeutung von ?privat? eingegangen. Im Lateinischen kommt es von ?privare? ? berauben. Gemeint ist der des sozialen Zusammenhangs Beraubte, der Ausgegrenzte. Im (Alt- und Neu-)Griechischen ist das noch deutlicher: Dasselbe Wort, Idiotis, steht für ?Privatmann? und ?Geisteskranker?. Der Private, der Idiot, ist also derjenige, der sich nur auf sich selbst zu beziehen vermag und der sich damit aus sozialen Zusammenhängen ausschließt ? oder aus ihnen ausgeschlossen wird."
Clemens Kuhn, 2006-10-31, Nr. 2994
Das private Recht ist seines öffentlichen charakter beraubt. Ursprünglich kommt die Unterscheidung aus der Canoistik. Privatisierung also mit berauben in dem Sinne, dass anderen etwas weggenommen wird, ist daher Unsinn. Vielmehr wird etwa dem privaten Recht zugeordnet. Geraubt wird, ich wiederhole mich, der öffentliche Charakter.
Mimenda, 2006-10-31, Nr. 2995
Die Berliner TAZ schreibt am 2.2.04 in der Rubrik "Lexikon der Globalisierung" (http://www.taz.de/pt/2004/02/02/a0171.1/text) zum Stichwort "Privatisierung":
"Privatisierung ist die Einführung gewinnorientierter Steuerung in Bereiche, die bisher an Kriterien des Gemeinwohls ausgerichtet waren".
Mal abgesehen davon, dass die Ausrichtung an den Privatinteressen einzelner statt am Wohl aller diesen etwas wegnimmt, was sie jenen ganz öffentlich und ohne Scham übereignet, ist es sicher alles andere als Unsinn, die Etymologie des Wortes mit "berauben" in Verbindung bringen zu wollen (und dies nicht nur, weil privatus auf privus zurückgeht, was u.a. eben "einer Sache beraubt" heißt). Und als ob nicht jede Form des Privateigentums auf Raub beruhte!?
Insofern sie materiell in der Lage sind, sich abzusondern, treffen sich der Private und der Idiot. Etymologisch tun sie dies im Grunde ebenso: der Private als Römer, der Idiot als Grieche. Und beider Nachkommen schauen heuer Privatfernsehen (alias Idiotelevision), weil das so hübsch unöffentlich und persönlich ist. Das Private ist längst nicht mehr des Öffentlichen beraubt, es ist selbst öffentlich geworden. Möglicherweise findet daher kaum jemand mehr etwas Eigentümliches daran, private Interessen öffentlich kundzutun und durchzusetzen.
PRIVAT, adj. und adv., amtlos, besonder, geheim, unöffentlich, persönlich, häuslich, überhaupt dem amtlichen, öffentlichen, allgemeinen, gemeinsamen entgegengesetzt; im 16. jahrh. entlehnt aus lat. privatus (vom staat abgesondert, ohne amt für sich lebend; eine einzelne person betreffend): private angelegenheiten (oder angelegenheiten privater natur), händel, mittheilungen; einem etwas privat (nur für seine person) mittheilen u. s. w.
(Grimmsches Wörterbuch Online: http://germazope.uni-trier.de/Projects/DWB)
Privat, ein aus dem Lat. privatus entlehntes und in verschiedenen Zusammensetzungen übliches Wort, solche Dinge zu bezeichnen, welche den öffentlichen eben dieser Art entgegen gesetzet werden, und wofür sich im Ganzen noch kein schicklicher Deutscher Ausdruck hat wollen finden lassen, indem geheim in den meisten Fällen zu viel saget. Indessen hat man doch in vielen einzelnen Fällen gute Deutsche Wörter, die man dafür gebrauchen kann. Die Privat-Beicht, die geheime Beicht, von welcher die Ohrenbeicht der Römischen Kirche eine Unterart ist. Der Privat-Gottesdienst, ein Gottesdienst, welcher sich von dem öffentlichen Gottesdienste durch den Mangel des Geläutes und der öffentlichen Aufzüge auf den Gassen unterscheidet, von dem Hausgottesdienste aber noch verschieden ist, S. Gottesdienst. Der Privat-Nutzen, der eigene, besondere Nutzen, im Gegensatze des allgemeinen Nutzens oder des Nutzens des gemeinen Wesens. Die Privat-Wirthschaft, die Wirthschaft oder Haushaltung einzelner Glieder eines gemeinen Wesens, zum Unterschiede von der Staatswirthschaft. Die Privat-Stunde, eine Stunde oder ein nach Stunden eingetheilter Unterricht auf Schulen, welcher besonders bezahlt, und den öffentlichen Lehrstunden entgegen gesetzet wird. Die Privat-Person, eigentlich eine in keinem öffentlichen Amte stehende Person; als eine Privat-Person leben, welches man auch privatisiren nennet. Nach einer andern Einschränkung ist die Privat-Person der befehlenden Person in einem gemeinen Wesen entgegen gesetzt, und da sind alle zum Gehorchen verbundene Glieder eines Staates in dieser Rücksicht Privat-Personen.
(Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch: Privat, GKW Bd. 3, S. 840)