2006-04-10
Emanzipatorische Entwicklungspolitische Bildung
Grundlagen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit von ÖIE-Kärnten
Denken ist etwas, das auf Widersprüche folgt und dem Handeln vorausgeht
Bert Brecht
Unter dem Dach des Vereines Bündnis für Eine Welt vereinigen sich die verschiedensten Tätigkeitsbereiche. Nach außen wirkt daher unser Verein oft wie eine „eierlegende Wollmilchsau“ erlebt. Alle Bereiche haben ihre eigene Dynamik, ihre eigene Logik. Was richtig und was falsch ist, kann nur im Zusammenhang mit den Zielen des jeweiligen Bereiches und dessen Rahmenbedingungen beurteilt werden. Das hier vorliegende Grundsatzpapier gilt für den Tätigkeitsbereich des ÖIE-Kärnten (Österr. Interessensgemeinschaft für Emanzipatorische Entwicklungspolitische Bildung) als eine Bildungseinrichtung [!]. Zur Veranschaulichung eine Gegenüberstellung zu einem anderen Typ, der Kampagneorganisation:
die Kampagneorganisation (Beispiel: Greenpeace) |
Die emanzipatorische Bildungsorganisation |
so zentral wie möglich, so dezentral wie unbedingt nötig |
so dezentral wie möglich, so zentral wie unbedingt nötig |
so professionell wie möglich, so ehrenamtlich wie unbedingt nötig |
so ehrenamtlich wie möglich, so professionell wie unbedingt nötig |
so schnell wie möglich, so reflektiert wie unbedingt notwendig |
so reflektiert wie möglich, so schnell wie unbedingt notwendig |
so hierarchisch wie möglich, so demokratisch wie unbedingt notwendig |
so demokratisch wie möglich, so hierarchisch wie unbedingt notwendig |
inhaltlich so eng wie möglich und so breit wie unbedingt notwendig |
inhaltlich so breit möglich und so eng wie unbedingt notwendig |
Institutionalisierter Teil als organisationspolitisches Zentrum, Bewegung als Mittel zum Institutionszweck |
Bewegung als organisationspolitisches Zentrum, Institutionalisierter Teil als Mittel für die Bewegung |
Politik für Menschen |
Politik durch Menschen |
Kampagne als Zweck, Bildungsarbeit unterstützt |
Kampagne hat unterstützenden Charakter für Bildungsarbeit, dient der Veranschaulichung und als Lernfeld |
soviel Eigenprofilierung wie möglich, |
so bescheiden wie möglich |
soviel Konkurrenz wie möglich, soviel Kooperation wie halt unbedingt notwendig |
soviel Kooperation wie möglich, soviel Konkurrenz wie halt unbedingt zum Erhalt der Organisation notwendig |
Weiter ist zu beachten, dass es sich bei unserem Grundlagenpapier um ein Ziel handelt, das unser Handeln als Leitbild begleitet, dem wir uns annähern wollen. Dennoch ist uns aber auch bewusst, dass wir im Alltag sehr oft dagegen verstoßen.
Unsere Prinzipien regionaler entwicklungspolitischer Bildungsarbeit
Kernelement 1 – Prinzipien des Globalen Lernens: Das Bf1W/ÖIE ist dem Ansatz „Globales Lernen“ verpflichtet. Zentrale didaktische Elemente Globalen Lernens sind - in Anlehnung an Helmuth Hartmeyers Thesen zu Globalem Lernen:
- die Fähigkeit, sich selbst (gemeinsam mit anderen) auf wachsender Komplexitätsstufe in politische Prozesse einzubringen;
- das Erkennen und differenziertes Erfassen von gesellschaftlich bedingten Ungleichheits- und Herrschaftsstrukturen;
- es geht in hohem Maße um die (selbst-)kritische Auseinandersetzungen mit Anliegen und Haltungen
- diese Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt umfasst auch die Hinterfragung von Tabus wie Wachstum und Eigentum;
- all dies ist das Ergebnis eines offenen Prozesses, der auf den (lebensgeschichtlichen) Erfahrungen und Bedürfnissen der Lernenden beruht.
Kernelement 2 – das regionale Tätigkeitsprofil: Die Konkretisierung des Konzeptes „Globales Lernen“ erfolgt über zwei Schritte:
1. Über einen anderen Bildungsbegriff: Wir definieren Bildung nicht über Maßnahmen / die Methodik, sondern über Ziele: Ziel unserer Tätigkeit ist PRIMÄR Bildung, Reflexion, Schaffung von Bewusstsein. Das bedeutet, dass im Rahmen der Bildungsarbeit auch Maßnahmen gesetzt werden, die sonst eher anderen Bereichen (dem Lobbying, der Kampagnearbeit) zugeordnet werden.
2. Über ein regional angepasstes, integrales Arbeitsprogramm zum Zwecke der Bildung, bestehend aus den ineinander greifenden Elementen schulischer Bildungsarbeit, Erwachsenenbildung i.e.S., regionaler Öffentlichkeitsarbeit und deren Voraussetzungen, der Netzwerksarbeit und der Weiterentwicklung / Reflexion durch Grundlagenarbeit.
Als Leitlinien gelten:
Wir setzen an bei den aus weltweiten Entwicklungen (Globalisierungsprozesse in der Wirtschaft, weltweite ökologische Probleme ...) resultierenden Widersprüchen und Problembereichen, wie sie bei uns in den Regionen auftreten. Dieses inhaltliche Ansetzen (!) an hier im Norden wirksam werdenden Widersprüchen und den hier vorliegenden Interessen zu ihrer Bewältigung mag im ersten Moment als Abweichen von einer Solidarität mit den Menschen in der 3. Welt erscheinen. Es wird aber bewusst gewählt: Wir versuchen damit, aus dem Umfeld der „like-minded“ Personen auszubrechen. Bei einem „konventionellen“ Ansetzen unmittelbar bei „den Problemen des Südens“ erreicht man sonst eher nur die in den 80er Jahren entstandene Solidaritätsbewegung oder man forciert möglicherweise eine caritativ-paternalistische Gesinnung . Wir hingegen wollen versuchen, Entwicklungspolitik als gesellschaftliche Gesamtaufgabe zu verankern.
Bei Menschen, die auf diese Widersprüche mit Passivität / Resignation / Rückzug und /oder der Suche nach Feindbildern reagieren oder bei Menschen, denen die genannten Probleme noch nicht einmal bewusst sind, soll eine regionale Öffentlichkeitsarbeit (und schulische Bildungsarbeit – Workshops) wirksam werden. Als inhaltliches Konzept soll gelten: Die (auch) HIER im Norden wirksam werdenden Probleme auf ihre weltweite Bedingtheit zu hinterfragen, Wirkungen im Süden aufzuzeigen und Ansätze zur Lösung unter Berücksichtigung der globalen Perspektive zu skizzieren.
Menschen, die bereits zur Bewältigung der Probleme aktiv geworden sind (in ihrem beruflichen Engagement etwa als Beamt/in, als Privatpersonen oder in zivilgesellschaftlichen Gruppen) und mit denen wir bereits über Netzwerksarbeit verbunden sind oder wo eine solche Vernetzung erst anzubahnen ist, muss – sofern gegeben – die globale Dimension sowohl bei den Ursachenbündeln als auch bei den Lösungsstrategien vermittelt werden. Eine solche (Erwachsenen-)Bildung ist in dem Sinne „emanzipatorisch“ und den Forderungen globalen Lernens entsprechend, in dem sie dort ansetzt, wo Menschen sich bereits „in politische Prozesse einbringen“ („offener Prozess, der auf den Erfahrungen und Bedürfnissen der Lernenden beruht“), durch „Reflexion“ oder „reflektierte Kommunikation“ das Erreichen einer „wachsenden Komplexitätsstufe“ unterstützt, das „Erkennen und differenzierte Erfassen von gesellschaftlich bedingten Ungleichheits- und Herrschaftsstrukturen“ fördert, insbesondere bei der Diskussion vom Lösungsstrategien „Anliegen und Haltungen, die eigene Lebenswelt und Tabus (selbst-)kritisch ... mit all den lebensgeschichtlichen Erfahrungen der Beteiligten ... hinterfragt“. Ein solcher Prozess ist nur möglich, wo man in der entwicklungspolitischen Arbeit nahe ist – und dies ist die regionale Ebene.
Für das Verhältnis „(Erwachsenen-)Bildner/in“ – „Klient“ bedeutet dies: Prinzip der entwicklungspolitischen (Erwachsenen-) Bildung muss sein, Leute beim Bearbeiten der gesellschaftlichen Widersprüche zu begleiten. Begleiten heißt nicht, die Welt zu erklären, sondern in der Reflexion Impulse unterzubringen (Schleifenbewegung aus Praxis – reflektierender Theorie – erneuter Praxis – erneuter reflektierender Theorie ....).
Eine so verstandene regionale emanzipatorische Bildungsarbeit bezieht sich dabei auf Einzelindividuen und Gruppen bis hin zu Netzwerken und Dialogforen (z.B. Klimabündnisarbeitskreise). Die Tätigkeitsfelder einer solchen „Bildungswerkstatt“ umfassen dabei sowohl unterstützende Elemente [Begleitung von Sitzungen, Moderation von Sitzungen, Workshops anbieten / vermitteln, Materialienverleih, Beratung, Referent/innen / Ausstellungen vermitteln, Veranstaltungen organisieren für ..., Öffentlichkeitsarbeit für... (über Freie Radios, Zeitschriften etc.), Pressearbeit für ... , Aussendungen / Protokolle betreffend Arbeitskreise ..., Adressverwaltung für...] als auch inhaltlich wirksam werdenden Maßnahmen („mit anderen Zugängen in Kontakt bringen“, „Inputs liefern, Reflexion geben, Weiterbildungsmaßnahmen“, „Impulse setzen durch eigene Veranstaltungen, Aussendungen ...“].
Voraussetzung ist eine gute Einbindung in die regionalen politischen Gegebenheiten (was persönliche und institutionelle Kontinuität sowie eine entsprechend intensive Vernetzung voraussetzt).