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2006-05-11 Denkblockaden Wir stehen am Rande des Abgrunds - machen wir den entscheidenden Schritt vorwärts Dem Handeln von Einzelnen (etwa als Konsument/in), einzelnen Projekten oder auch Großvorhaben wie dem Global Marshall Plan wird im allgemeinen viel Bedeutung beigemessen. Zu Recht? Oder handelt es sich dabei um eine Falle? Im Folgenden einige Überlegungen als Einstimmung zur Veranstaltung "Der renitente Konsument" mit Heinz Högelsberger am Mittwoch, den 17. Mai 06: Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle darauf eingehen, warum der bei vielen wohlmeinenden Menschen so beliebte Global Marshall Plan (GMP) aus meiner Sicht ein gefährlicher Irrweg sei. Das werde ich aber bleiben lassen, denn die Absurdität eines Ansatzes, der in einer schon weit übernutzten Welt auf ein Weltwirtschaftswunder setzt, sollte ja offensichtlich sein ... nachzulesen ist dies alles übrigens schon auf dieser Homepage unter "Der Global Marshall Plan. Ich zitiere hir nur die offiziellen Ziele des Global Marshall Plans: „Weltwirtschaftswunder und Wachstumsschub durch Investitionsimpulse sowie steigende Kaufkraft“; „Etablierung einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitisches Konzept für die Globalisierung“ Die Absurdität sollte offensichtlich sein – wie gesagt! Denn interessanter ist die Frage, WARUM eine Öko-Szene, die ja sonst sehr rührig ist, nicht mit einem Proteststurm auf den Global Marshall Plan reagiert, sondern diesen teilweise sogar begrüßt. Unsere „Szene“ – also jene Menschen, die nicht die Augen vor den weltweiten Ungeheuerlichkeiten (Hunger in einer Welt mit genug Nahrungsmitteln, wachsender ökologischer Raubbau …) verschließt – hat meines Erachtens ein entscheidendes Defizit: Die Gesetzmäßigkeiten unseres Gesellschaftssystems bleiben meist unhinterfragt. Zwar werden Fehlentwicklungen beklagt, die Schweinereien einzelner Konzerne skandalisiert …, aber kaum einmal wird nachgefragt, ob dahinter nicht systembedingte Ursachen stehen könnten. Wachstumszwang: Dass wir ein System haben, in dem das Kapital entweder wächst oder wir eine ökonomische Krise haben, wird einfach ignoriert oder – siehe GMP – als scheinbar unveränderbar / „naturgegeben“ hingenommen. Der „Erfolg“ und die „Attraktivität“ des Kapitalismus beruhen ja tatsächlich darauf, dass den einzelnen (exakter: den vereinzelten !!!) Wirtschaftsakteur/innen ein ganz einfaches Richtig/Falsch-Signal für wirtschaftliches Handeln gegeben wird: Profit oder Untergang! Das ist logisch in einem System, das nicht auf Absprache, Ausreden … beruht, sondern in dem die Koordination der gesellschaftlichen Arbeitsteilung „blind“ – also über die „heilige Kuh“ Markt bzw. das Medium Geld – erfolgt. Selbstverständlich ist da nicht der einzelne „Profiteur“ in einem moralischen Sinn schuld, wenn auch noch das letzte Fleckchen Erde vernutzt wird, sondern wenn da überhaupt von Schuld gesprochen wird, dann ist es die Schuld des Systems „Kapitalismus“. Auf den Punkt gebracht hat dies der an der Universität für Bodenkultur lehrende Ökonom Jürg Minsch im Rahmen des Symposiums von SOL am 30. September 05 in der Diskussion seines Vortrages: Ein Geldmodell sei ohne Wirtschaftswachstum nicht denkbar, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gebe es aber auf Dauer nicht. Wirtschaftskrieger/innen und Belieferungsbedürftige Mängelwesen Weitere Kennzeichen dieses Marktsystem sind Konkurrenz / Verdrängung und das permanente Herauskitzeln von immer neuen Bedürfnissen – aber selbstverständlich nur bei denen, die Geld haben! Ganz klar hat das ja Marianne Gronemeyer herausgearbeitet: Marktteilnehmer/innen müssen notgedrungen zu „belieferungsbedürftigen Mängelwesen“ werden! Bedürfnisse DÜRFEN gar nicht „nachhaltig“ befriedigt werden, denn dann würde ja die Kette der Tauschakte reißen. Nur über den Kauf-Verkaufsakt können ansonsten „private“ Wesen[1] ihre Isolation überwinden – im Unterschied etwa zu einer Solidarökonomie, bei der ausgeredet wird, was man braucht und wie man dazu mit geringstmöglichem Aufwand kommt. Wie wenig diese Grundkonstellation unseres System kritisch hinterfragt wird, möchte ich an Wolfgang Sachs und Franz Fischler thematisieren, die beide in der Nachhaltigkeitsdiskussion eine wichtige Rolle spielen. Der Ökologe und Theologe Wolfgang Sachs vom Wuppertaler Institut nennt als Kriterien für Nachhaltigkeit neben Klugheit und Lebenskunst „Fairness“. … „Fairness“, was heißt, den Schwachen nicht zu treten, „denn sonst hört er zum Mitspielen auf“. In der komplexen Weltgesellschaft wechselseitiger Verletzbarkeit sei, so Sachs, Kooperation zur Grundkonstante geworden, Gerechtigkeit daher ein Imperativ für „Realisten“.[2] Klingt im ersten Moment sehr humanistisch und kritisch, ist aber bei genauerem Hinsehen nur die Bejahung des Kapitalismus: Denn wenn Sachs davon spricht, dass „Kooperation zur Grundkonstante“ geworden sei, dann kann er damit nur die kapitalistische Form der „Kooperation“ meinen, die eben nur eine indirekte über Tauschakte / Geld ist.[3]Zu dieser real existierenden entfremdeten Form der „Kooperation“ über Konkurrenz und Profitmaximierung passt nun aber genau der ebenfalls von Sachs verwendete Begriff der „Fairness“. Damit nennt Sachs ein Schlagwort, das überall, wo es nicht neoliberal-brutal hergehen soll, Furore macht. Im letzten Beitrag auf Kärnöl Alles nur ein faires Spiel? bin ich bereits ausführlich darauf eingegangen, hier nur soviel: Erich Fromm hat aber schon in seinem vor genau 50 Jahren erschienenen Buch darauf aufmerksam gemacht, dass Fairness ein zutiefst kapitalistischer Ausdruck ist: „Fairness bedeutet, beim Austausch von Waren und Dienstleistungen keinen Betrug und keine Gaunerei zu begehen, und dasselbe gilt für den Austausch von Gefühlen. "Was du mir gibst, gebe ich dir", lautet in der kapitalistischen Gesellschaft die vorherrschende ethische Maxime sowohl für die Waren als auch für die Liebe. ... Die Gründe für diese Tatsache liegen im Wesen der kapitalistischen Gesellschaft begründet. ... Sie [die Nächstenliebe] bedeutet, den Nächsten zu lieben, das heißt sich für ihn verantwortlich und mit ihm eins zu fühlen; die Moral der Fairness dagegen bedeutet, sich nicht verantwortlich und eins zu fühlen, sondern als getrennt - also die Rechte der Nächsten zwar zu respektieren, nicht jedoch ihn zu lieben."[4] Die Bejahung des bestehenden Systems bei gleichzeitiger völliger Ignoranz gegenüber dessen inneren Gesetzmäßigkeiten geht aber in einem zweiten Punkt weiter, dort nämlich, wo Wolfgang Sachs und Franz Fischler ein bescheidenes Leben einfordern. Sachs: „Nicht Mangel, sondern Überfluss sei unser Hauptproblem. Dieser erfordere die Kraft der Orientierung in der Vielzahl der Angebote, die Fähigkeit zum Nein-Sagen. So wie Musik nicht bedeute, möglichst viele Töne zu erzeugen, sondern ein bestimmtes Set an Tönen in wohl gestalteter Form zum Klingen zu bringen, bestehe Lebenskunst im „Finden des richtigen Maßes. …“ „Franz Fischler, langjähriger EU-Kommissar und nun Präsident des Ökosozialen Forums Europa, unterstrich, dass „unser bisheriges Verständnis von Wohlstand zu kurz gegriffen“ sei. „Mehr Wohlstand durch weniger Konsum“ schaffe hingegen Platz für Sinnliches, für Zwischenmenschliches. Die Menge vorhandener Arbeit auf alle zu verteilen, überwinde den Zeitstress der einen und die Existenzsorge der anderen. …“ Klingt das alles nicht toll? Könnte das nicht direkt aus Öko-Feder stammen? Aber denken wir uns das mal durch, was die beiden Herren da vorschlagen. Was würde INNERHALB des bestehenden, von ihnen als GEGEBEN hingenommenen Systems passieren, wenn etwa die Menschen bei uns zu 90% aus innerer Einsicht auf die Autos verzichten würden? Wenn zusätzlich in China nicht mehr der westliche Entwicklungsweg Leitbild sein würde, sondern wenn auch dort die Schlussfolgerung gezogen werden würde, dass hunderte Millionen Fahrräder im Wesentlichen ausreichen würden? Würde dann nicht der sinnvolle Verzicht der Einen zur Not der Anderen werden (Verlust von Arbeitsplätzen) und dieser dann wiederum auf alle zurückschlagen? Würde dann nicht ganz einfach eine Wirtschaftskrise ausbrechen, Arbeitslosigkeit, soziale Verelendung und und und …? (Ausführlicher wird darauf im Beitrag Nachhaltige Abhängigkeit garantiert eingegangen!) Die Frage, die Fischler rhetorisch stellt, nämlich „ob wir als Menschheit lernfähig und zur Umsteuerung bereit sind“ ist gleichzeitig zu bejahen und zu verneinen, und zwar in mehrerlei Hinsicht:
Ein Nachsatz nun zur Veranstaltung Der renitente Konsument: - - - - - - - - - - - - - Anmerkungen[1]Ein Kärnöl-Leser hat uns auf folgendes Zitat aufmerksam gemacht: [...] »Privatus«, das Partizip Perfekt des Verbs »privare« (rauben), bezeichnet im Lateinischen, substantiviert verwendet, »das Beraubte«. Der Privatier, der freie Bürger, dessen Dasein sich nur um die Erfordernis des Erwerbs dreht, führt dem antiken Verständnis nach eine beraubte, ihres wesentlichen Inhalts entkleidete, durch und durch erbärmliche Existenz. Das Altgriechische bringt das übrigens noch etwas härter auf den Punkt. Der Begriff des homo privatus hat in dieser Sprache seine Entsprechung im »Idioten«, ein Ausdruck, von dem bei der Übernahme in die modernen Sprachen leider nur mehr die pejorative Besetzung übrig geblieben ist. Vom Standpunkt der Kritik bietet sich die Rückkehr zum ursprünglichen Sprachgebrauch an. Eine ungesellschaftliche Gesellschaft, die sich ihrem Wesen nach in die allgemeine Konkurrenz privater Interessenstandpunkte auflöst, verdient in der Tat, als vollidiotisierte Gesellschaft bezeichnet zu werden. [2]Zitiert nach einer Aussendung von Hans Holzinger „Das Gegenteil von Einfachheit ist nicht Fülle, sondern Zerfaserung.“ vom 1. März 06, Bericht über „Sustainable Mozart“ ... zurück [3]Andernfalls hätte er ja sagen müssen: „Wir sollten zu einer Kooperation kommen ….“. ... zurück [4]Erich Fromm, Die Kunst des Liebens (Frankfurt/M - Berlin - Wien 1979), S. 166 f. ... zurück
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