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2007-09-12

Bells, I can hear bells!

Under heavy manners

DWA2 Replik auf Diana Wolschner

Text: Under Heavy Manners

Ein Denkmal zielt aufs Erinnern, die Farbe aufs Entäußern. Es ist sicher dynamisch, wenn man solch ein Denkmal zerstört oder sich mit Farbe übergießt. Es muss aber doch die Frage erlaubt sein, wenn man schon eine gesellschaftliche Zielvorstellung mit all dem verbindet, wozu diese Dynamik dienen soll? Dynamik ist blind und damit per se keinen Pfifferling wert, bedeutet das Wort ja nichts weiter als "mächtig" oder "wirksam". Mächtig war auch Hitler und wirksam leider auch.

Dass solch ein Denkmal als Denkmal und selbst als geschädigtes mahnt, passt für solche, die nicht nur denken, sondern auch nach-denken, zurück-denken, um im Denken und Tun voranzukommen. Es passt nicht, und da beißt sich deine Argumentation, in Bezug auf die Pariser racaille. Denn wo du jenen dort und ihrer Wut keine Besinnung zugestehst, insofern sie zum passiven Widerstand zu aufgebracht seien, forderst du sie hier jedoch - implizit - bei den falschen Adressaten ein. Oder glaubst du, die rechten Villacher Denkmalschänder wären psychisch wesentlich anders disponiert als die Underdogs der Pariser Vorstädte?

Kunst ist stets politisch: sie stützt das System, weil sie dessen Ausdruck ist. Was an ihr individuell wäre, soll mir erst mal jemand plausibel machen. Du führst Beuys an. Kunst sei Leben, Leben Kunst! Ja, wenn es eines dezidiert ideologischen Überbaus der Kunst bedarf, kann einem dergleichen sehr wohl einfallen.

Wenn ich an Beuys denke, sehe ich mich als 23jährigen Studenten im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Es führt ein Herr Dr. "Wagner", der Famulus, durch die Ausstellung und macht mir damit sich selbst und seinen Meister verhasst und die Putzfrau, die angeblich seine beschmierte Badewanne säuberte, zur Sudelfrau von Lichtenberg ("Es kann nicht alles ganz richtig sein in der Welt, weil die Menschen noch mit Betrügereien regiert werden müssen"), zu einer veritablen Lichtgestalt. Man müsse das Leben und die Ideen von Beuys genauestens kennen, um seine Kunst zu begreifen. Einen Dreck muss man. Den Beuys begreift man sofort: er ist der pseudokünstlerische Ausdruck eines Menschen, der sich auf irgendein esoterisches Konstrukt einschießt, das ihn zum Hilflosen stilisieren und ihm zugleich die Macht in die Hand spielen soll, auf die seine Kunst eigentlich aus ist. Ich finde jede Kunst abscheulich, die zum Behufe ihrer Vermarktung sich der Theorie bedient: Honig, Kupfer, Filz, Fett, "Folksverdummung"! Wenn es trivial wäre, wäre es mir auch egal, aber es ist schlimmer.

Wenn Kunst Leben ist und Leben Kunst, dann spricht daraus nur das Schizoide unserer Existenz, das der Mensch Beuys erkannt haben mag, dass nämlich er und seine Kunst so sehr doppelt vermittelt sind durch die Gesellschaft (als äußeres Wesen und nochmals in der Seele), dass sie etwas wie das Rohe, Authentische, Echte eben gerade nicht entdecken und daher auch nicht liefern, sondern das, was sie liefern bereits im - meinetwegen benebelten - Bewusstsein liefern, dass es bloß Ware ist, die beworben werden muss, um vermarktet zu sein. Er machte eine Ideologie aus seinen sicher sehr leidvollen Erfahrungen und verriet sie damit an das System, dem er sie "ver-dankte". Menschlich ist das, aber nicht minder abstoßend, weil es vom Verrat an sich selbst nichts wissen, ja nicht einmal etwas ahnen will. Weil es verdrängt, was es nur zu genau wissen müsste.

Warhol war ehrlicher, insofern er die maschinelle Reproduktion sich zu Nutze machte, die er zu persiflieren vorgab, auf der sein Ruhm aber zugleich beruht. Josef war der Lügner, denn er machte aus dem Markt einen esoterischen Schwindel: er überhöht, ja er heiligt ihn zugleich, indem er so tut, als sei seine Kunst eine, die sich dem Markt durch Theorie und die "Ur-Materialien" seiner Praxis entzöge. Deshalb ist der Famulus nicht bloß Famulus, sondern einer seiner Stellvertreter auf Erden. Andy hingegen lässt keinen Zweifel an der Kopie. Beide sind indes keinen Deut individuell. sie haben nur jeder auf seine Weise ihr Ding gemacht und genug Leute gefunden, die so dumm waren, es anzubeten. Aber die sind ja stets willfährig zur Stelle, wenn sie Macht riechen, so wie die emanzipierten Heterofrauen das Alphamännchen, das sie ideologisch verdammen, um im selben Moment vor ihm in und auf die Knie zu gehen: mundgeblasenes böhmisches Kristalldorf mit allen Facettchen weiblicher Unfreiheit, die sich als frei bloß imaginiert. Objektiv falsches Bewusstsein, so dezidiert selbstbewusst es auch daherkommen mag.

Wenn Menschen bloß Kunst sind, dann ist der Mensch kein Mensch mehr. Aktionskunst, Performance mag ja lustig sein und hat sicher oft einen ästhetischen Schwung, etwas unmittelbar Sinnliches. Aber, die Provokation, zu der sie einst antrat, bewirkt sie sozusagen bloß noch bei den Honoratioren eines sich als Hinterwelt (und als letzte Aufrechte) stilisierenden Kleinbürgertums, die einmal wieder ob der Obszönität der Vorderwelt entrüstet die Anständigen mimen (die Islamisten sind übrigens aus demselben Schrot, nur womöglich noch Schauspieler aus Devotion). Damit spiegeln sie die Performance, gegen die sie sich wenden und machen ein ebenso lächerliches Spielchen draus wie die Aktion es war, die sie aufs Korn nehmen.

Du schreibst von dem, was wir alles kompensieren, um die Misshandlungen unserer Kindheit zu verdrängen. Die Analyse scheint mir richtig, aber der Schluss, dass dies bei den Pariser Vorstadtjugendlichen oder überhaupt das Ausleben von Aggression rechtfertige, widerspricht dem auf das Schärfste, denn es ist just das, was du anprangerst: der ewige Widerschein desselben Prinzips, nach dem ich das eigene Leid dazu nutze, mich selbst und/oder andere leiden zu lassen.

In diesem Widerspruch zeugst du von deinem objektiv falschen Bewusstsein: weil du ihn offenbar nicht erkennst, aber in deinem Leben mitschleifst. Weil du die Idee des misshandelten Kinds für deine Zwecke, also ideologisch, instrumentalisierst, wenn es dir in den Kram passt. Verortest du dich aber gefühlsmäßig und wütend auf der Seite der Unterdrückten und fungierst einmal nicht als ihr mitleidiger Sachwalter, dann ist das, wogegen du zuvor eifertest, plötzlich Makulatur, denn "nur durch ausgelebte aggression fühlt man sich entladen". Dieser Satz scheint mir der eigentliche Kernsatz deines Aufsatzes. Er ist untrügerisches Zeichen dafür, dass du selbst nicht glaubst, was du predigst. Dem sei hinzugefügt, dass es nichts zur Sache tut, wie man sich bei etwas subjektiv fühlt, sondern was das, was man tut, mit einem selbst und den anderen objektiv macht. Wenn es nur um das Gefühl ginge, brauchen wir Kommunikation gar nicht erst zu versuchen.

Ich habe übrigens nicht von Spendern geredet in Bezug auf Kinderarbeit in anderen Ländern, sondern davon, wie wir unser Leben kategorisieren. Als ich jung war, gab es gerade noch so etwas wie Muße und Zeit, um die Jugend als Zeit der Erfahrung und des Aufbruchs empfinden zu können: letztes Aufglimmen des liberalen Bürgertums vielleicht. Die heutige Jugend heißt zwar noch so, aber sie ist (fast) keine mehr. Das, was ihr bleibt, ist ein überwiegend undefiniertes Gefühl, aktionistisch sein, irgendwas schnell und effizient tun zu müssen, um dahin zu kommen, wo sie hinwill (wohin will sie denn?). Privates ist zur Nebensache verkommen oder wird durch Diskreditierung und Diskriminierung dort zu ihr gemacht, wo es sich gegen den Einbruch der Öffentlichkeit noch zur Wehr setzt: der gesamte Nachwuchs ist bereits in Windeln hauptsächlich nicht nur potenzielles, sondern faktisches Opfer der Warenwelt, der er sich unterzuordnen hat im Gefühl der Freiheit, das ihm schwanen soll, wenn er das tut, wozu er verdammt ist. "Erlösung" ist nicht in Sicht, eher noch weitere Verkrampfung!

Um dir zu zeigen, dass das mit dem Alter nicht anders ist, stellte ich die Frage, wann denn der Greis ein Greis sei? Nun, ganz einfach: er ist dann ein Greis, wenn er nicht mehr mithalten kann. Wem der Warenfetisch an Zauber verliert, weil er der Warenwelt nicht mehr gewachsen ist, wer seine Arbeitskraft nicht mehr verkaufen oder wenigstens von dem leben kann, was ihm diese jenseits der Renteneintrittsgrenze an Gnadenbrot gewährt, der gehört nicht mehr dazu. Es gibt einfach keine Refugien mehr, in welchen du Kind, Greis, Mann, Frau sein dürftest. All dies sind Benennungen des Menschen, die uns so vorkommen als seien sie a priori da. In Wahrheit sind sie als Abstraktionen von Erfahrung dem Wandel unterworfen. Dieser Wandel muss aber, um ein freier zu sein, bewusst gesellschaftlich bestimmt werden.

Du willst Gedanken, die sich offen präsentieren, ohne Arroganz und Adel!? Und damit betest du nichts anderes nach als die Gleichmacherei, die das System dir auferlegt und wodurch du, indem du implizit auf sie pochst, als williges Lämmchen wie als reißender Wolf dich enttarnst. Muss ich mich "herablassen"? Musst du "hinaufklettern" (ja, bist du denn Rapunzel?)? Das sind doch die Gedanken im Hintergrund. Aber wir sind nicht oben und unten, wir stehen im Diskurs und nicht für die intellektuelle Ausformung des ewigen Prinzips von Unterdrücker und Unterdrücktem. Jedenfalls sollten wir das nicht. Aber "man" wäre diese nervtötenden Intellektuellen mit ihren "schlauen" Sprüchen ja schon gern los oder zöge sie zumindest gern da hinein, wo man sich selbst gerade befindet!? Oder "man" sieht Einvernehmen, wo es nicht ist. Ob wir daher auf derselben Wellenlänge reiten (wir sitzen aber gewiss im selben Boot)? Da habe ich doch so meine leichten Zweifel :-). Müssen wir ja auch nicht. Entscheidend ist, dass das Zwiegespräch zu denken gibt. Denn nur das ist - Watzlawik hin oder her - Kommunikation.

Ich sprach von Zeichnung, nicht von Prägung. Denn ein jeder ist beschädigt. Das entbindet ihn aber nicht von der Aufgabe, das zu durchschauen, was sein beschädigtes Leben in allen Facetten desselben mit ihm macht. Dieser Anstrengung des Gedankens willst du dich nicht unterziehen!? Oder doch? Dein Recht und deine Sache, wenn du nicht willst, aber warum hältst du das anderen ziemlich unverblümt vor? Mir riecht das nach Ranküne.

Offen ist nicht frei, offen ist beliebig, beliebig ist egal. Wer im Gedanken nicht die hermetische Verbindlichkeit meint, die bis zur Unverständlichkeit des Gedanken selbst gehen kann, der denkt nicht, jedenfalls nichts Wahres oder Falsches. Kampf ist das Wesen des Gedankens, Krampf die Unverbindlichkeit, die aus ihm eine Performance macht. Wir lassen denken und rühmen uns der Toleranz und sind doch noch zu träge dazu, uns zu einer Meinung, die diesen Namen verdiente, überhaupt nur aufzuraffen, geschweige denn durchzuringen. Das offene System winkt in seinem Kern mit dem totalitären Zaunpfahl, an den zur Verschleierung seines Wesens hübsche bunte Luftballons gebunden sind.

Mitleid, da sind wir vielleicht einig, ist die Bedingung der Möglichkeit einer besseren Welt. Und da dies so ist, ist es verpönt, wird herabgewürdigt zum heuchlerischen Ausdruck des "kapitalistischen-katholischen-religiösen-verkappten-antisexuellen" Systems (das übrigens weder katholisch, noch antisexuell ist) und zugleich in jämmerlichen Spendenaktionen gefeiert, wenn es auf dessen Verordnung sich dazu instrumentalisieren lässt, Ventil zu sein für das schlechte Gewissen, das die Menschen als Schatten ihres Aber- und Afterglaubens noch mit sich schleifen.

Wirkliches Mitleid ist das unmittelbare Gefühl, das sich angesichts fremden Leids einstellt. Es ist das Gefühl, das wir uns gegenseitig aberziehen sollen und daher wollen, weil wir insgeheim fürchten, dass uns selbst niemand bemitleiden wird, wenn es uns dreckig geht, weil wir dem Leid gegenüber auch nur Alibimitleid heuchelten. Auch hier Tauschgeschäft. Alles, selbst dieses unmittelbarste aller Gefühle, wird Teil der Ökonomie. Nur der Hass sei phylogenetisch früher!? Nun, unser verwirtschaftlichtes Mitleid ist Hass, der sich in der abergläubisch-mildtätigen Gabe die Hoffnung darauf erkauft, vom Schicksal verschont zu bleiben, das er den anderen wünscht und das er beim Namen nennen könnte: ein wahrer neuzeitlicher Ablasshandel, der insofern bloß Kuhhandel ist. Ohne wahre penitencia keine misericordia und nirgends caritas. Wer nicht umkehren will und weder im Denken noch im Tun damit beginnt, der hat das gewählt, was er schon hat und ist. Wie kehren wir aber um, wenn wir doch auf unserem Weg immer weiter nur voran wollen und drängen?

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