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2007-09-02

Einfach deutsch sprechen?

Einfach deutsch sprechen?

Es hat den Anschein, als machte sich im öffentlichen Bewusstsein Verdruss über den "gefühlten" Verfall der deutschen Sprache breit. Davon zeugen nicht allein Kolumnisten einschlägiger Zeitschriften, sondern auch der gemeine Mensch, der nicht bloß der neuesten Rechtschreibung wegen verunsichert ist. Wie etwas recht schreiben (auseinander oder zusammen) und wie einen Gedanken zu Papier bringen oder eintippen? Das Regelwerk, dessen wir uns zum rechten Schreiben bedienen sollen, ist überbestimmt und nicht immer schlüssig. Es ringt uns beim Schreiben derart viel Aufmerksamkeit für die Regeln und deren Ausnahmen ab, dass wir nicht die Zeit erübrigen, sorgfältig darauf zu achten, wie wir es sagen wollen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Hauptsache, der Form sei genüge getan und dass der Inhalt auf einem anderen Blatt stehe.

Aber auch der Blick auf die Form verliert sich gleich bei näherem Hinsehen, ja manche Menschen, die sich schriftlich oder gar literarisch zu äußern versuchen, geben sogar vor, auf den Mangel an dieser stolz zu sein. Vor allem sind dies jene, die ihre Ergüsse im Internet veröffentlichen. Der moderne Mensch will sich - scheinbar oder anscheinend? - der sprachlichen Form ebensowenig noch verpflichtet wissen wie er auch keinen Anstand mehr wahren und keine Rücksicht mehr nehmen will. Weil die Privatsphäre allenthalben zurückgedrängt wird, vom Staat wie von jenen, die ihn machen und solchen, die das nachwachsende Volk bilden, das weder von den Schulen noch von den Eltern erzogen wurde, hat er keine Chance mehr auf seine Kinderstube (übrigens ein ähnlich absonderliches Wort wie "Frauenzimmer").

Stand diese noch in den frühen 60er Jahren für das Inventar an Verhaltensregeln, das einem Menschen zur Verfügung stehen musste, um sich in der Welt zurechtzufinden und ohne brachialen Einsatz der Ellenbogen voranzukommen, so war die Fähigkeit, sich schriftlich und mündlich gut auszudrücken, die conditio sine qua gar nichts ging. Aber weil ihn, den Nach-68er, die Schule nicht mehr Deutsch lehrte, obwohl er es gelegentlich und euphemistisch noch seine Muttersprache nennt, kann er kaum mehr schreiben, wenig besser reden und vorwiegend nur noch formelhaft oder banal denken.

Da zudem und unterdessen alles egalitär und vieles beliebig (vulgo "egal") geworden ist und sich ein jeder, der beim Schreiben und Reden auf seinen Stil achtet, der Gefahr aussetzt, als Sonderling zu gelten, tut er gut daran, nicht zu hoch hinauszuwollen. Denn die Masse von Emporkömmlingen gleich welcher Couleur erträgt dies nur schlecht: Weil sie in der Geste dessen, was ihnen erhaben dünkt, an das gemahnt wird, was sie selbst nicht ist, verdammt ihre Ranküne auch jene, die gar nicht Mahner sein, sondern durch sprachliche Askese oder Pracht angemessenen Ausdruck finden oder bloß künstliche Schönheit sich erhalten wollen, zu Randfiguren.

Dies sozialpsychologische Moment halte ich für die eigentliche Ursache fehlender Eliten. Zwar sind sie in aller Munde, aber in den wenigsten Fällen wird unter "Elite" etwas anderes verstanden als eben die Menge von Leuten, welche zu gesellschaftlicher Anerkennung, Geld und insbesondere zu Macht gelangt ist. Sie stellt eine Auslese primitivsten Darwinschen Sinnes dar, denn es "überleben" bloß die materiell bestens Angepassten. Gerade weil Auslese für sich genommen aber noch keinen guten Wein macht, versteht der traditionelle Begriff die "Elite" noch als "Auslese der Besten".

Was ist das aber für eine Elite, deren Zugehörigkeit zu den Besten sich an der heimlichen Rachsucht der Parvenüs messen lassen muss, die nur jenen die Auserwähltheit verbrieft, die dem eigenen, wiewohl oktroyierten Maßstab gemäß erfolgreich sind, es also nur geschafft haben, insofern sie trotz ihres Mittelmaßes - oder gerade seinetwegen - durch Zufall, Beziehungen oder (Lotto)-Glück nach oben gespült wurden? Und wie kann eine solche Elite, die im Wesentlichen Hautevolee ist, also aus Menschen besteht, die vornehm tun und sich wichtig nehmen und hierdurch bereits von dem Problem künden, das sie mit dem Bewusstsein von sich selbst haben - wie kann eine solche Elite die gesellschaftlichen Prozesse vorantreiben, wozu sie als Auslese der Besten recht eigentlich nicht einmal aufgefordert zu werden bräuchte?

Nun, sie kann es schon dem Grunde nach nicht, weil sie eben keine Elite ist. Denn die Auslese der Besten ist weder mit der Ernte abgeschlossen noch bestünde sie überhaupt in einer solchen. Die Auslese der Besten müsste vielmehr von einer Dynamik sein, die kein Zeitgeist mit seinen Kriterien dafür, was als Elite gilt, zu bestimmen hätte.

Damit wäre sie in Wahrheit keine Auslese mehr, aber wozu bräuchte denn auch ein Staat, in dem die Freiheit des Menschen angebrochen wäre, ein wie immer geartetes Zugpferd? Und wozu sollte es nutzen, wenn auf dem Weg zur Freiheit die haves gegen die have nots gestellt werden, als zur begrifflichen Zementierung eines Sachverhalts (wenige gemachte Männer stehen vielen kleinen entgegen), der in der feierlichen Rede von Elite vergöttlicht und verabsolutiert wird?

Weil die Bildung von Eliten aber nicht dynamisch und deren Begriff kapitalistisch bestimmt ist, geht nichts (mehr) voran, sondern dreht sich im Kreis und tritt sprachlich in Erscheinung in einer ewigen Wiederkehr von Phrasen, die sich einzig in der Verwendung neuer Modewörter unterscheiden, welche über die Ideenlosigkeit ihrer Autoren hinwegtäuschen sollen.

Wir haben uns vom Begriff entfernt. Der Sinn einer Aussage klebt nicht mehr am Wort und seiner Stellung im Satz. Er ist unverbindlich geworden, hat sich verflüchtigt und hängt, wenn überhaupt nur noch lose, verbalen Versatzstücken an, die zudem auf Mimik und Intonation angewiesen sind, um sich den Sinn zu "machen", der ihnen für sich genommen abhanden gekommen ist.

Wir wollen nicht mehr überzeugen, sondern überreden. Aus diesem Grund ist das Schreiben ebenso schwierig geworden wie das Lesen von Pamphleten, die als Informationsmaterial, Dokumentation etc. daherkommen. Man muss ja sprachlich geradezu mit allen Wassern gewaschen sein, wenn man den beabsichtigen Sinn noch irgend in das Machwerk "hineinzuinterpretieren" vermag. Ebenso oft ist es gleichermaßen unmöglich, den unbeabsichtigten Unsinn des Machwerks zu exorzieren. Im Wiederkäuen der Versatzstücke erscheint uns aufs Neue das Gespenst der Gleichmacherei, das gerade vor der Sprache als vorrangigem sinnstiftendem Werkzeug des Menschen nicht halt machen kann und sich folglich anschickt, alles auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen.

Die Entwürdigung der Sprache trägt sich aber nicht allein auf der Wortebene zu oder wäre bloß in der Verarmung der Syntax zu sehen. Sie wird vielmehr flankiert vom gemeinhin als außersprachlich vorgestellten großen Gestus des Banalen und der guten Laune, beides narzisstische Reflexe, die sich das schwanend Problematische der eigenen Existenz vernebeln, indem sie kräftig auf die "Kacke hauen": Alles ist wundervoll oder besser: "geil". Wir haben es mit Mimesis zu tun, der einzig noch die standardisierten Gesten und Gebärden als angemessen gelten und die sich in der selbstverordneten Beschränkung ihres Inventars über die Angst hinwegtäuscht, die all jenes macht, was diesem Standard zuwider ist. Soweit ist der Einbruch der Warenwelt in die menschliche Psyche bereits gediehen.

Die Komplexreduktion auf sprachlicher Ebene sekundiert daher dem Sinnverfall genauso gut oder schlecht wie die banale gute Laune. Der angemessene oder ästhetische Satz wird daher als erhabener ebensosehr zum "Juden" wie die trauernde oder am Warenleben absterbende Per-Son zum "Aussätzigen".

Einfach deutsch sprechen? Nein, wir müssen zweifach und mehrfach deutsch sprechen. Wir müssen uns in allen Registern üben, die uns zur Verfügung stehen. Die Grundschule müsste Wert auf den Sinn des Wortes legen, nicht auf die Schönheit oder die Vermeidung von Wortwiederholungen. Die weiterführenden Schulen müssten ein Schulfach einführen, das man - so Peter Sloterdijk - Rhetorik nennen könnte und das die Schüler lehrt, verständlich, aber vor allem angemessen auszudrücken, was sie sagen wollen, indem sie bei den Dingen bleiben, über die sie schreiben und reden, statt über diese sich zu erheben oder sich erhaben zu fühlen. Die Universitäten müssten die Ideen, die aus derart gebildetem Nachwuchs heraussprudelten, in ihrer Forschung Gehör schenken und der sogenannten Geisteswissenschaft einen zentralen Stellenwert einräumen.

Wer diese Forderungen für den Ausdruck eines sozialromantisch infizierten Hirns hält, der wäre auf seinen Demokratiebegriff zu befragen. Denn eine Gesellschaft, der es darum zu tun ist, eben jene Komplexität für den Einzelnen zu mindern, von der sie andererseits in zunehmendem Maße allgemein bestimmt wird, kann dem Leitmotiv, vom Volk, das sie selbst ist (und nicht etwa bloß stellt), bestimmt und regiert zu werden, nur dann folgen, wenn sie mit den verfügbaren Mitteln dem aus ihrer eigenen Mitte vorgetragenen schändlichen Versuch begegnet, es an der Nase herumzuführen.

Beliebigkeit und Gleichmacherei sind demokratiefeindlich, ebenso wie der Antisemitismus, der in seiner Rachsucht gegen angeblich insgeheim Herrschende oder sich besser Dünkende alles, was er nicht kleinzukriegen oder als Götzen anzubeten vermag, auf das eigene kleinbürgerliche Maß herabmindert. Ein Kollektivismus, der die Entfaltung des Individuums behindert, ist nicht nur menschenverachtend, sondern er widerspricht seinem ersten Prinzip, dem gemäß das Gemeinwohl über dem des Individuums zu stehen habe. Dass ihn die wenigsten bemerken, hat mehr mit dem oben beschriebenen Prinzip zu tun als mit seiner Nichtexistenz.

Aber gerade weil weder die Entfaltung noch das Gemeinwohl im Kalkül des Systems liegen, dem es allein um den Profit geht, müssen wir uns wohl oder übel vorerst ins Unvermeidliche schicken und dagegen "andenken", warum jedweder frische Schwung, sei es der utopische oder auch bloß derjenige, welcher sich mit der Besserung des Naheliegenden zufrieden gibt, dazu verurteilt ist, an Kraft einzubüßen und sich letztlich in die Frustration dessen zu verlieren, der seines Enthusiasmus und Optimismus und damit auch seiner Tatkraft verlustig geht (noch der euphorische Aktionismus legt davon in seiner "Hysterie" Zeugnis ab).

Die heilsame Genugtuung des solcherart zur Neurose verdammten "Kranken" kann folglich allein dort dem banalen "Gesunden" gegenüber sich entwickeln, wo er sich dem einfach deutsch Sprechenden in der vielfachen Gebrochenheit seiner ihm eigen gewordenen und errungenen deutschen Sprache möglichst fröhlich und kämpferisch widersetzt. Das ist indes alles andere als eine leichte Aufgabe, denn selbst die Fröhlichkeit, die - nicht nur zur Weihnachtszeit - noch von der Ergriffenheit des Menschen tönt, muss sich zumindest dem Takt beugen, den der oberflächliche Glücksrhythmus im Schlag der Galeerentrommel vorgibt.

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