2006-09-16
Der Papst vor Wien
Oder Benedikt in Regensburg
Der Papst vor Wien
Nun kriegt also Papst Benedikt auch sein Fett weg. Weil er aus dem Gespräch eines Kaisers des 14. Jahrhunderts mit einem gelehrten Perser zitiert, in dem jener sich dagegen ausspricht, den Glauben mit dem Schwert durchzusetzen. Das sei nicht vernunftgemäß und daher dem Wesen Gottes zuwider. Weil er, der Kaiser, aber in "für uns unannehmbar schroffer Form" sagt: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten", und der Papst das anführt, ist er nun den Anwürfen von Muslimen und u.a. auch des Grünen Volker Beck ausgesetzt, während die Kanzlerin ihn in Schutz nimmt.
Wer die Vorlesung nachliest, wird feststellen, dass der Papst so etwas unternimmt wie eine Kritik der Aufklärung, auf deren Dialektik er sich bezieht. Die Vernunft sei nicht zu reduzieren auf Wissenschaft, die in ihrer hellenistisch geprägten europäischen Form die Subjektivität des Menschen zum alleinigen Maßstab erhebt: "Das Subjekt entscheidet mit seinen Erfahrungen, was ihm religiös tragbar erscheint, und das subjektive "Gewissen" wird zur letztlich einzigen ethischen Instanz. So aber verlieren Ethos und Religion ihre gemeinschaftsbildende Kraft und verfallen der Beliebigkeit".
Ferner ergreift er die Partei der Kritiker westlicher Zivilisation, wenn er sagt: "In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluß des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen. Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen".
Ist schon eigenartig, dass nun die aufschreien, die ihm eigentlich Recht geben sollten und jene ihn verteidigen, gegen die er - auch - gesprochen hat. Aber wo kommen wir eigentlich hin, was passiert denn da? Da kreischen irgendwelche Gruppen auf und reden vom Öl, das ins Feuer gekippt wurde, ohne dass sie nur im Geringsten ein Bemühen erkennen lassen, das zu verstehen, was gesagt wurde und geschrieben steht (zur Regensburger Vorlesung).
Und dieses Verhalten ist beileibe keine Ausnahme, sondern es scheint urbs und orbs zu betreffen: die Leute hören einfach nicht mehr zu, und sie lesen nicht mehr hin! Sie schreien gleich, macht wohl mehr Spaß als sich der Mühe der Lektüre zu unterziehen. Nein, das ist nicht bloß eigenartig, sondern es ist das Symptom einer Epidemie. Es verweist auf die fatale Übereinstimmung von fundamentalistischem Gedankengut religiöser Prägung mit Herrn und Frau Ottonormalverbraucher westlicher Provenienz.
Die Gefühle der Muslime habe der Papst verletzt. Wenn sie diese feinsinnige Auseinandersetzung des Herrn Ratzinger zur Frage, was im Sinne Gottes Vernunft genannt werden kann, nicht einmal aushalten (obwohl die Antwort nach menschlichem Ermessen in ihrem Sinne ist), dann zeigt das vor allem, wie verletzt sie sind.
Nun, als einzelner Mensch habe ich natürlich keine Lobby, die meine eigene Verletztheit zum Thema machen könnte. Welches Recht haben Gruppen, sich auf ihre Empfindlichkeit zu berufen? Keines mehr und keines weniger als der Einzelne. Wer sich bei dieser Farce auf die Seite der sich beleidigt Fühlenden schlägt, der macht sich zum Anwalt eines Fundamentalismus, der allen den Mund verbietet, die nicht reden wie von oben verordnet.