2007-09-16
Er hat Jehova gesagt!
Kardinale Degeneration
Er hat Jehova gesagt
Kardinal Meisner hat wieder einmal die Gemüter erregt, als der bei der Einweihung des Diözesanmuseums in Köln sagte:
Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.
Die Kritiker stören sich am Verb "entartet". Meisner gebrauche ein Wort der Nazis. Ein Blick ins Grimmsche Wörterbuch genügt, um dies zu entkräften, denn schon Schiller und Klopstock machten es sich zu Nutze. Aber natürlich gibt es gewisse Signalwörter aus der Nazi-Diktion, die nimmt man nicht gänzlich ungestraft in den Mund. Und "entartet" fällt da sicher genauso darunter wie etwa die "Endlösung". Wahrscheinlich tut sich noch die ärztliche Rede keinen Gefallen, wenn sie von einer entarteten Geschwulst spricht. Aber für dergleichen haben die Damen und Herren in Weiß sicher auch einen geläufigen Fachterminus parat.
Dass Meisner von "entarteter Kultur" spricht, ist schon verwunderlich. Wäre ihm bloß "degeneriert" statt "entartet" über den Gedankenweg gelaufen, hätte wohl kaum ein Hahn oder eine Henne sich zum Krähen bemüßigt gesehen. Es stellt sich mir daher die Frage: ist dieser hohe Würdenträger bloß so naiv oder einfach zu interniert in seine Kirchenwelt, dass er das Gespür dafür nicht aufbringt, wie die Rede von der entarteten Kultur in einer Welt ankommen muss, die pflichtschuldigst und postwendend auch nur den geringsten Verdacht entrüstet von sich weist, ihr Denken könnte (noch) etwas mit den Nazis zu tun haben?
Die künstliche Aufregung vermag ich hingegen nicht nachzuvollziehen. Wir sollten unsere Pappenheimer doch mittlerweile besser kennen! Meisner sieht die Welt als auf Gott hin ausgerichtete und damit alles, was sich von ihm in Gedanken und Werken entfernt als der Bestimmung des Menschen zuwider. Insofern steht er auch diametral gegen das Neuheidentum der Nazis, anders gesagt: er ist ein Antifaschist. Da er indes den Zweck des Menschen in seinem Weg zu Gott sieht, kann er auch seinen Kunstbegriff dem nur unterordnen. Aus besagter Rede dieses Zitat:
In den Werken der Schöpfung dem Schöpfer auf die Spur zu kommen, ist Sache und Berufung der Künstler. Darum hat die Kunst auch immer mit Gott zu tun, und wenn es auch rein profane Kunst ist. Wenn sie den Namen "Kunst" verdient, ist sie immer von der Wirklichkeit der Welt abgedeckt, und damit hat sie eine theologische Dimension. Darum sind Künstler so etwas Ähnliches wie Wünschelrutenläufer. Sie spüren die verborgenen Wasseradern dessen auf, der sich in der Schöpfung selbst entäußert und in seinen Werken verinnerlicht hat. Der Künstler zieht das Verborgene wieder ans Licht.
Dass er sich dabei anheischig macht, darüber zu entscheiden, was Kunst denn sei, muss ihm den Vorwurf einbringen, er teile die Kunst in artige und entartete ein. Ich würde hingegen das Problem mit diesem Satz eher darin sehen, dass er nicht selbst entscheiden will (das wäre sein gutes Recht), sondern mittelbar an irgendeine nicht näher benannte Instanz appelliert, die darüber zu Gericht zu sitzen hätte, was den Namen "Kunst" verdiene oder eben nicht.
In dieser Wendung wird somit in der Tat etwas Totalitäres offenbar. Denn die Kunst muss notwendig eine theologische Dimension haben, wenn sie denn Kunst sein will und darf. Jene, die gegen Gott stehen und auch ihre Kunst gegen ihn ins Feld führen, opponieren nur gegen ihn und werden daher zu Verirrten umgedeutet und somit theologisch dimensioniert und heimgeholt. Oder sie fallen durch das nicht näher bezeichnete Raster, das für die wahrhaft Gottlosen bestimmt ist. Das sind in Meisners Augen die Nazis (über die heutigen wahrhaften Götzendiener schweigt er sich wohlweislich aus). Um deren Fundamentalopposition gegen Gott zu beleuchten, zitiert er aus der Birkenauer Rede von Benedikt XVI. aus dem letzten Jahr:
Im tiefsten wollten jene Gewalttäter [die Nazis, d. Verf.] mit dem Austilgen dieses Volkes [die Juden, d. Verf.] den Gott töten, der Abraham berufen, der am Sinai gesprochen und dort die bleibend gültigen Maße des Menschseins aufgerichtet hat. Wenn dieses Volk einfach durch sein Dasein Zeugnis von dem Gott ist, der zum Menschen gesprochen hat und ihn in Verantwortung nimmt, so sollte dieser Gott endlich tot sein und die Herrschaft nur noch dem Menschen gehören - ihnen selber, die sich für die Starken hielten, die es verstanden hatten, die Welt an sich zu reißen.
Grundsätzlich bedenklich finde ich daran, dass Gott dieser Argumentation mittel- oder unmittelbar als einzig wahres Korrektiv menschenverachtenden Handelns gilt. Schlimmer noch scheint mir, wenn ich einmal davon absehe, dass wir es mit katholischen Kirchenmännern zu tun haben, dass Gott geradewegs zu einer bloßen Hilfskonstruktion "entartet", der man nur zu folgen hätte, um nicht die Hölle schon auf Erden anzufachen (jenseitig wird sie ja noch früh genug brennen).
Denn wenn die Gottesebenbildlichkeit des Menschen eine theologische Wahrheit ist, dann muss die Wahrheit der Menschheit sich daran messen lassen, dass sie den Wert des einzelnen Menschen auch ohne Rekurs auf Gott zu bestimmen vermag, woraus alles andere zu folgen hätte. Das scheint mir Ernst Bloch anzusprechen, wenn er in Atheismus im Christentum sinngemäß schreibt, dass nur ein Atheist ein guter Christ und nur ein Christ ein guter Atheist sein könne.
Der Glaube ist meinetwegen als Gnade aufzufassen, die man sich zusätzlich gewährt, sich fundamentalistisch erzwingt oder eintrichtert, oder die einem geschenkt ist. Aber aus ihm allein ohne dialektischen Antagonismus dessen, was wider das Gottsein sich im Menschsein zu erkennen gibt, ist die Theologie ebenso totalitär wie ihr ärgster Antipode und damit jeglicher Missetat ebenso wie dieser verdächtig (die Geschichte fängt ja nicht bei den Nazis an).
Dass sie, die Theologie, ihr eigenes Diktum von Jesus als "wahrem Gott" und "wahrem Menschen" nicht ernster nimmt, ist meines Erachtens nur daraus zu erklären, dass sie die Freiheit des Menschen nicht will oder kein Vertrauen in sie hat. Entartet wäre eine solche Theologie, weil sie schon im Denken dem zuwiderhandelt, was sie durch die Absage an selbiges im Ergreifen der alles bestimmenden Gottesausrichtung zu bereiten vorgibt, nämlich die freie Ausrichtung des menschlichen Willens am Willen Gottes.
Angesichts dessen sind die fortwährenden Invektiven des Papstes gegen die Beliebigkeit in der Welt, so sehr sie auch Wasser auf die Mühlen jener irgendwie christlich oder anders motivierten Denker sein mögen, für welche die Welt aus den Fugen geraten ist, Ausdruck des Willens zur freiwilligen Knechtschaft unter Federführung Gottes, nicht jedoch des Willens zur Befreiung von der Knechtschaft unter Federführung der menschlichen Vernunft. Aus freiwilliger Knechtschaft, gleich wer die Feder führt, wird nichts als Gewalt und Grauen gegen die anderen. In ihrer geschwächten Form führt sie bloß zur Neurose, für welche der Herr Kardinal wieder einmal beredtes Zeugnis abgelegt hat. Aber das öffentlich zum Thema zu machen, würde bedeuten, sich auch selbst an die Nase fassen zu müssen.
Dass eine Dialektik der Aufklärung im Denken der katholischen Kirche noch nicht Einlass gefunden hat, liegt daran, dass sie noch immer mit der Apologie der Gegenreformation zu schaffen hat. Das Aggiornamento Johannes XXXIII. ist schon lange wieder dem Schlaf der Vernunft gewichen, der sich den Sand durch christliche Ersatzesoterik aus den Augen zu reiben sucht. In diesem Sinne: Gute Nacht, Eminenz.