2003-03-15
 Die blaue Wand - Teil IV
 Eisblumen - Kristalle am Fenster
 
Die Badehütte am See hatte keinen Kamin. Das kleine Fenster, das sich zum See hin öffnete 
ließ sich nur mangelhaft schließen. Ein Ofenrohr ragte durch die dünne Bretterwand neben 
dem Fenster nach draußen. Das Kind erfreute sich an den Rauchschwaden, verfolgte mit 
Ausdauer und Vergnügen die weißen Rauchringe, die sich zum See hin verflogen. 
Manchmal setze sich der Rauch im Zimmer fest und nahm allen den Atem. Die Flucht in die
 kalte Morgenluft, eingehüllt in die kratzige Kotze, schütze es das Kind  vor der eisigen 
Kälte, wurde bald kein Spiel mehr. Warum zitterte die Stimmer der Mutter so? Der wiegende 
Gesang sollte nicht aufhören. Eine schöne, feine Stimme, weich und samtige Stimme hatte 
sie. Wehmütig und schwer legte sich das Kinderlied auf das Herz des Kindes. Es fing zu
weinen an, wollte so gerne in den Armen der jungen Frau verweilen, die selbst nach Zuflucht
 Ausschau hielt, nach einem Menschen, der ihr ein wenig Sicherheit und Wärme geben konnte. 
Der Zornausbruch der Frau erfolgte unerwartet als der Mann spät, erschöpft zur Tür, die 
Holzstiege hoch kroch, sich auf den frisch gebohnerten Schieferboden erbrach hilflos 
jammerte, bemuttert werden wollte, da sein Innerstes vom Krieg verletzt, sich nach außen
 kehrte. 
Das schreiende Kind fiel bald in einen Erschöpfungsschlaf und fühlte nur mehr die gnädige
 Wärme von Vater und Mutter zu seiner rechten und linken Seite. 
Das Wunder der süßen Muttermilch ließ nachts den Schmerz vergessen, ließ nur den warmen 
Bauch fühlen. Der warme Strahl zwischen den Beinen, der kurzfristig den lustigen Mund 
benetzte, der sich ganz von selbst öffnete und wieder schloss, anschwoll und wieder 
erkaltete, erzeugte dennoch ein Unbehagen, hervorgerufen durch schrille Schreie, die dem 
kleinen Kind orkanartig die Ohren verblies, das Ausatmen zu einem anstrengenden 
angsterregenden Zustand werden ließ und die Sehnsucht nach dem warmen Mutterschoß, 
wo Schreie nur gedämpft an sein Ohr drangen, damals als sich die junge Frau dem 
krampfartigen Weinen hingab, über diese Schuld, diese übergroße Schuld, die der Vater 
im Himmel, geheiligt ist sein Name, nicht vergab .
Wie sonst konnte das Leben in ihrem Bauch sich so wehren, sich nicht ihrem Wunsche, der 
doch berechtigt war, fügen, dem Wunsch: es möge sich doch im heißen Wasser wieder 
auflösen war sie ja selbst, mit ihren 17 Jahren, unwissend sehnsüchtig in diese Falle 
getappt, in die Falle vom Leben der Reichen, die 2 Räume für 3 Personen hatten, einen 
Herd der wärmte und sogar ein Klo am Gang, das man sich nur mit 8 anderen Parteien teilen
 musste, eine Werkarbeiterwohnung mit Hühnerstall verbunden mit dem Glück eine wirkliche 
Arbeit in der Fabrik zu haben, vor Augen, die Chancen Vorarbeiter zu werden. 
Dieses Glück von der Gnädigen gebraucht zu werden, denn Wäsche waschen und bügeln, das 
konnte die Sally gut, wenn sie auch lieber den Schweinen und Kälbern  zur Welt verhalf, 
dieses Glück wollte die Sally für ihren Sohn horten, ihm damit ein besseres Leben 
verschaffen und nur deshalb wollte sie diese junge Dirne der Ohrringelstecherin 
anvertrauen um diesen Keim der Sünde zu ersticken. 
Die Wellen der unbekannten Welt da draußen schlugen immer wieder hart gegen den weichen 
Körper des Föten und gaben ihm eine Ahnung von dem Sein und Nichtsein, ließen in ihm daher 
Kräfte wachsen, dem Leben entgegen, mit den Füssen den abwehrenden Signalen der jungen Frau 
ein Zeichen gebend, sich im nächsten Augenblick wieder in das dunkle warme Wasser flüchtend, 
nahe dem Abgrund, in die unendliche Weite des Universums eintauchen wollend, sich ganz klein 
und unbedeutend gebend, um im nächsten Augenblick wieder aufbegehrend das Leben fordern, in der
Ungewissheit der Welle als Frucht treibend, immer wieder erschöpft in einen ruhelosen Zustand 
gleitend aber mit dem heftigen Wunsch nach Licht, dem Bombenecho des verlorenen Krieges trotzend,
 der jungen Frau den Mut einflössend auf einer orgastischen Welle der Kraft durch folgsames sich 
Wenden mit dem Kopf, die blaue Wand durchbrechend, ins gleißende Licht des Lebens geboren, 
schreiend vor Jubel und Freude, sogleich wieder in ein Wechselbad der Gefühle, der durch den 
kalten Wasserstrahl den Schrei, zur Zufriedenheit aller, in Schrecken und Angst umwandelte um 
endlich ermattet den ersten tiefen Schlaf, traumhaft versinkend in den weichen Armen, ganz nahe 
dem vertrauten Rhythmus des Herzschlags, die getrennte Verbindung wieder herstellend, auf der Welt 
sein.