2004-09-07
profiterol t1
frau annas weiches herz
"Seid`s ols meine kinda", so liebevoll empfing frau anna "ihre" asylanten und asylantinnen in ihrer pension. Dabei traten tränen in ihre kurzsichtigen augen. Die weitgeöffneten arme wirkten wie zwei schlaffe flügel einer alten krähe. "Mei und so liabe kinda!" stöhnte frau anna mitleidig auf.
Ihr selbst blieben kinder versagt. Mit dem alten aber rüstigen Vater betrieb sie seit dem tod ihrer mutter, deren pflege sie in ihrer jugend übernehmen musste, bevor diese einem schlimmen krebsleiden erlag, glücklos, eine triste Pension ohne stern. Viele hielten frau anna für die ehefrau des gastwirtes. Frau anna musste diese für sie demütigende bemerkung oft erdulden. Das betreiberpaar dieser herberge schien tatsächlich dem bilderbuch einer landehe entstiegen zu sein. So zuckte frau anna nur mehr unmerklich zusammen, wenn sie als ehefrau ihres vaters angesprochen wurde.
Frau anna war schwere arbeit gewohnt. Sie kannte kaum ein vergnügen. Die rauhe stimme ließ ahnen, daß übermäßiger nikotin-und alkoholgenuss ihr das
leben erträglicher machten. Ihre harte rauhe stimme stieß sie, durch die zum schmollmund aufgeworfenen lippen, mädchenhaft, nach anerkennung heischend, wie ein feldwebel hervor. Ihr unterkiefer ragte angespannt, so als wollte sie die worte, die oft unkontrolliert scharf, ihrem mund entflohen, wieder einsaugen, vor. Frau anna spührte ihr weiches herz für die ungerecht leidenden menschen tatsächlich wild pochen, doch jagten extrasystolische schläge ihren puls nach oben, wenn diese erhobenen hauptes, mit klarem blick, ihre wohlgemeinten angebote abschlugen.
Solch schieren undank konnte sie nur mit gottgefälligem zorn begegenen.
Nie, konnte sie sich erinnern, wurde ihr in so vielfältiger weise mitgefühl und anteilnahme entgegen gebracht, wie es ihren, ihr anvertrauten, flüchtlingen zu teil wurde. Frau anna vergaß dabei sogar den finanziellen ertrag, den ihr diese menschen verschafften. Obwohl sie es nicht wirklich verstehen konnte, dass der staat seinen geldsegen, ohne eine gegenleistung zu verlangen, ohne ansehen der person, über, ihrer meinung nach, teilweise, vermutlich zweifelhafte, nicht sonderlich gebildete, unzivilisierte menschen ausschüttete.
Ja, so sah es in frau annas übervollem weichem herzen aus, das sie manchmal ausschütten musste.
Frau anna war dennoch fest entschossen, in gerechter vorbildlicher weise, diesen armseligen menschen, mit ihrer ganzen kraft, disziplin und ordnung beizubringen. Hastig griff frau anna in ihre linke schreibtischlade nach dem kleinen fläschchen jägermeister, dass sie liebevoll in ihren mund einführte, um dieses gierig saugend, gleich einem in atemnot geratenen menschen der nach sauerstoff ringt,bis auf den letzten tropfen zu leeren.
Socher art gestärkt, trat frau anna in den speisesaal.