2004-08-14
magersüchtig
die süße stimme
Seit ihrer kindheit ist Annemarie Hermines freundin, ihre innigste freundin.
Sie hatte sie in der 1.klasse volksschule lieben gelernt.
Annemarie war so ganz anders als Hermine.
Sie war kleiner, zarter, ängstlicher als Hermine, liebenswert und schien sehr schutzbedürftig zu sein. So gelang es Hermine, manchmal Annemarie nachhause zu begleiten. Hermine allein mit Annemarie. Da gehörte sie ihr, auf sie allein stützte sich Annemaries hilflosigkeit. Ihre bauchschmerzen vertrieb Hermine gekonnt mit ihren späßen.
Bauchschmerzen kannte Hermine nicht.
Ihr Wunsch von daheim weg zu sein, überwog ihre ängste. Neben Annemarie fühlte sich Hermine stark. Wenn sie beide, bei Annemarie daheim angekommen waren und ihre mutter Annemarie besorgt empfing, berührte Hermine dieser, für sie, gewaltige gefühlsausbruch sehr.
Das kannte Hermine nicht.
Ihre mutter erwartete sie meist, nach einigen stunden verzögerung, mit lauten vorwürfen, die oftmals in kräftige schläge oder stumme strafen ausarteten. Daher beneidete Hermine Annemarie um diese überschwengliche liebe und besorgte zuwendung. Doch Annemarie schien darüber nicht glücklich zu sein. Sie verweigerte, das für Hermine zwar fremde doch so liebevoll zubereitete nahrungsangebot.
Das kannte Hermine nicht.
Ihre mutter enthielt ihr das essen, weil sie nicht zur rechten zeit nachhause gekommen war.
Annemarie hatte noch eine ältere schwester und einen älteren bruder, die Hermine scheu einflösten, sie unsicher im umgang mit ihrer freundin werden ließ, die sich plötzlich, daheim, ihrem zugriff entzog, sie unbeachtet ließ um sich den eigenen wünschen hinzugeben. Unter der obhut der süssen mutterstimme, die Hermine nicht nur wegen des fremdlländischen akzentes, unbehagen verursachte, sondern ihr , einen verzehrenden mangel bewußt machte, den sie damals nicht zu deuten wusste, wurde Annemarie ihr fremd.
Das kannte Hermine.
Wenn ihre mutter ihr lieder vorsang, ihr erlaubte, ohne aufsichtspflichten gegenüber ihres jüngeren bruders, der doch keine echte puppe geworden war, in den hof spielen zu gehen, fühlte sie manchmal ähnliches, das ihre freundin Annemarie täglich in überfülle, zu haben schien.
Hermine war sich sicher, dass nur ein mädchen , wie Annemarie, solch einer liebe würdig war; sie also mit ihrem groben wesen dieser fremden frau in keiner weise gerecht und schon gar nicht von ihr geliebt werden konnte.
Deshalb mochte Hermine Annemaries mutter nicht.
Annemarie wurde magersüchtig.
Das kannte Hermine nicht.