2004-12-21
spaziergang
keine aussicht, keiner mag mit mir im nebel wandern. begleitumstände, wie: ausflüchte, krankheit, resignation, weltanschauung verhindern die begleitung. ich raffe meinen kittel, nehme laufstöcke, klappere genervt und lustlos die teerstraße entlang. ein älterer herr beschneidet am wegrand obszöne obstbäume . er erklärt mir willig die sinnhaftigkeit der spreizzweige, die er zur formung des apfelbaumes einklemmt. die stöcke treiben mich weiter. plötzlich bin ich nicht mehr allein, höre das rhythmische klappern der stöcke, sehe die gefrosteten bäume, den blauen himmel, spüre die unebenheiten der feuchten glitschigen grasbüschel unter meinen füßen, blinzle geblendet der untergehenden sonne entgegen. krähenschreie dringen mir wehmütig ins eingeweide. aus der ferne mildert beruhigendes bellen meinen herzschlag, die schotterstraße bremst meinen schritt, der bach erzählt wassergeschichten, meine rastlosen gedanken kreisen um viele themen, stören meinen schritt. geübt strecke ich vorschriftsmäßig meine brustwirbelsäule, spanne beim ausatmen meine schließmuskel und den geraden bauchmuskel an, halte sie gespannt, atme und gehe ruhig weiter. wilde gedankenflut droht mich weiterhin zu überschwemmen. im wald achte ich schritt für schritt auf den weg, vermodertes laub und geäst verströmen tod und künden neues leben. ich fühle fichtenzweige im haar, die mich zärtlich streichen und rieche den harzigen duft, der mich an weihnachten erinnert. ich beginne laut, ungeordnet, selbst textend und komponierend meine lieder auszuspeien, schrecke damit die waldtiere, fürchte mich vor der kugel des jägers, vertreibe den bösen mann hinter den bäumen, laufe lachend, ohne auf den weg zu achten, wieder aus dem wald und erinnere mich an einen satz aus einem patientenprotokoll : "herr x liebt die natur, wie alle neurotiker"! der autor dieser textpassage, herr professor dr. med. xxx, der mit 56 jahren noch bei seiner mutter lebte, liebte auch seinen hund abgöttisch.