2011-03-30
„Braindrain“
Identität. Was tun mit Kärnten? Als „Kärntner“ im Sinne einer Herkunftsbeziehung ist man im österreichischen „Ausland“ stets gemischten Gefühlen ausgesetzt.
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Von Nostalgiegefühlen in Bezug auf den mausetoten Landes“führer“ Haider bis hin zu Mitleidsgefühlen für den Zufall des leidigen Geburtsortes ist alles dabei. Gerade dass bei politisch links stehenden Menschen die Bandbreite an Meinungen derart gestreut ist; dass einem Menschen aufgrund seiner Herkunft unterschiedliche Interpretationen zufliegen, gibt zu denken. Für einen in Kärnten geborenen Menschen geht es dabei – wie generell bei herkunftsbezogenen Zugehörigkeitsfragen – um nichts weniger als die Identität. Identität steht niemals allein im Raum, bei ihr handelt es sich gleichermaßen wie bei sozioökonomischen Lagen um eine soziale Relationierung, das heißt, dass die Identitätsfrage stets nur im Austausch mit anderen Menschen, die offenbar nicht in den eigenen Identitätskreis fallen, schlagend wird.
Diskriminierung. Gerade als Kärntner scheint mir dabei eine andere Rolle als einem aus einem anderen österreichischen Bundesland stammenden Menschen zuzukommen; nicht nur weil, aber zumal auch weil in der Steiermark lebend. Diskriminierung ist am Werk. Ist es meistens eher nervig, ständig die gleichen Lächerlichkeiten und Witze in Bezug auf die eigene Herkunft zu erhalten, muss dies konsequent weiter gedacht gefühlsmäßig eine Qual für stärker diskriminierte Randgruppen in unserer Gesellschaft sein. Allerdings folgt nicht automatisch eine solidarisierende Haltung aus diesem diffusen Gefühl der Diskriminierung, eher führt dies noch zu stärkeren Zugehörigkeitsgefühlen und gleichzeitig Abgrenzungsreaktionen. Ausnahme: Man bildet eine eigene Identität jenseits der Herkunftsbeziehung und eines platten Patriotismus heraus, etwa eine politische. Fühle ich mich der Arbeiterklasse zugehörig, also dem proletarischen Internationalismus verpflichtet, so bin ich auf meine Herkunft als Stifterin sozialer Identität nicht mehr in umfangreichem Ausmaß angewiesen.
Stellung beziehen. Trotzdem muss ich eine Haltung zu meiner Herkunft herausbilden. So wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch nicht keine Meinung haben: Verweigerung des eigenen Herkunftsbezugs kommt einer Verdrängung gleich. Das ist politisch feig. Oder es zeugt von Verdruss. Verdruss in dem Sinn, dass ich nicht mehr mit meiner Kärntner Herkunft „beglückt“ werden will, weil meistens sowieso nur Ratlosigkeit hinsichtlich einer radikalen politischen Veränderung des Bundeslandes vorherrscht. In dem Maß, in dem Straches FPÖ außerhalb Kärntens erstarkt, drängt diese Frage allerdings in den Hintergrund. Die Idiotien seltsamer Zeitgenossen, welche Kärnten von Österreichs Landkarte weggelöscht haben wollen, lösen sich zunehmend in Luft auf, machen sie doch auch sichtbar, dass es sich hierbei um eigene Verdrängungsleistung handelt: Einerseits, weil sie nicht wahr haben wollen, dass Haider seinerzeit auch außerhalb Kärntens politisch erfolgreich war, andererseits weil die erstarkte und nie derart weit rechts stehende FPÖ ihren aktuellen Erfolgskurs nicht dem südlichsten Bundesland Österreichs zu verdanken hat. Ebenso wäre es zu kurz gegriffen, Strache als Wiener Phänomen zu begreifen. Die Keime des Faschismus mögen historische Voraussetzungen benötigen, gedeihen können sie überall, woraus folgt, dass sie auch überall bekämpft werden müssen, nicht nur südlich des Alpenhauptkamms. Jene sich selbst als links definierenden Mitbürger/innen, die in Bezug auf Kärntner/innen jene stereotypen Verhaltensreaktionen zeigen, die sich von typischen diskriminierenden Verhaltensweisen nicht unterscheiden – egal ob positiver oder negativer Natur – sollten sich allerdings ernsthaft einmal die Frage stellen, ob sie mit sich selbst im Reinen sind.
Braindrain. Das Problem Kärntens liegt nicht zuletzt im intellektuellen Braindrain: Wie soll eine politische Veränderung vonstatten gehen, wenn die linke Intelligenzia sich aus dem Staub macht, sich großteils im österreichischen „Ausland“ akademische Würden aneignet und nicht mehr zurückkehrt, weil die beruflichen Aussichten mager sind und das soziale Umfeld karg? Die Frage, wie man als „Auslandskärntner“ mit dem „eigenen“ Bundesland umgeht, bleibt offen. Gerade wenn man in Österreich außerhalb Kärntens ein fruchtbareres politisches Umfeld zur Entfaltung des eigenen politischen Veränderungswillens vorfindet, dürfte die Motivation, das Kärntner Fußvolk auf die Ausbeutung durch die abgewrackte politische Klasse aufmerksam und zum Kampf gegen diese willig zu machen gegen null sinken. Die logische Konsequenz: Wo immer der kommende Aufstand losgetreten wird, Kärnten wird gewiss nicht sein Epizentrum sein.
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Der Beitrag ist zuerst erschienen auf
http://movimentaorg.wordpress.com, verein zur föderung von jugendkultur und meinungsvielfalt.
Dazu auch:
Karnt'n is lei ans? Fragen und Thesen zum intimen Verhältnis von Kärntner/innen und Antikärntner/innen und der Versuch einer Dekonstruktion dieses Beziehungsgeflechts
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