2006-09-15
Schindluder
Die Freiheit der Kunst ist in Österreich, verfassungsrechtlich verankert, wie sämtliche Kultursprecher der österreichischen neoliberalistischen Parteienlandschaft unisono versichern und erwähnen sie zumindest in ihren, gegenüber den sehr ausführlichen kapitalistischen Wirtschaftsprogrammen, sehr kurz gefassten Kunst- und Kulturprogrammen, fast stereotyp. Trotzdem scheinen gerade jene, die mit der Sprache „Schindluder“ treiben, Panikattacken und schlaflose Nächte zu bekommen, wenn Künstler über dem Mittagskogel einen goldenen Halbmond projizieren. Den Künstlern solle doch endlich per Gesetz verboten werden, mit der Freiheit der Kunst Schindluder zu treiben fordern gerade jene, die die unter die Arbeitsgrenze gefallen Bevölkerung mit gekürzten Brotrationen schinden und mit versumpften Wasserspielen zur Stimmabgabe verführen wollen.
Treibt die Kunst, die Künstlerin Karin Rettl mit ihren fotografischen und lyrischen Werken Schindluder mit der Wahrnehmung der Bevölkerung?
Ich behaupte: Ja!
Jedoch sicher nicht in der Konnotation des „Bündnisses Zersetzung Österreichs“. Ihre fotografischen Kompositionen und lyrischen Texte sind im ursprünglichen Sinne des Wortes „luderhaft“, das heißt sie verführen, verlocken den Betrachter, den Zuhörer zum ausschweifenden Wahrnehmen, bisweilen zur sinnlichen Schlemmerei. Durch die sensible Reduzierung und scheinbare Abstrahierung in ihrem künstlerischen Ausdruck „schindet“ sie aber auch unsere Wahrnehmung, das heißt, sie „enthäutet“ unsere Betrachtungs- und Interpretationsweise und „verführt“ uns damit wieder zur Freiheit des Perspektivenwechsels.
Ich nehme mir jetzt die einzige Freiheit der Kunst, die des Perspektivenwechsels, um mit eine einem kurzen Zitat aus einen der Texte von Karin Rettl zu ihrer Lesung und ihrem Konzert – Karin Rettl wird übrigens nur Eigenkompositionen darbringen - überzuleiten:
„manchmal
besuchen meine wörter
dich
ohne zu fragen
schlüpfen
unter deine decke
und
bilden
tagelange sätze“
Schönen guten Abend