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Ludwig Roman Fleischer

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2016-06-19

SERENIL FORTE

Das von Alexander Schrammel und Melissa Hugendubel-Kutil entwickelte Präparat Serenil Forte kam in seiner ursprünglichen Form vor zehn Jahren auf den Markt und wurde zunächst als Stimmungsaufheller (Antidepressivum) zum Einsatz gebracht. Auf der Basis der Bestandteile Hypericum perforatum (Johanniskraut), Citalopram, Paroxetin und Agomelatin bestand seine Wirkung primär in jener eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI), wobei vor allem das Septum und die lateralen Habenulae im Epithalamus affiziert wurden. Das Medikament erwies sich als im Allgemeinen gut verträglich und wurde unter anderem gegen neurotische und stressbedingte Depressionssymptome verschrieben.
Danach arbeiteten Schrammel und Hugendubel-Kutil an einer Weiterentwicklung und Optimierung ihres Präparates. In einer langen Reihe von Versuchen fanden sie heraus, dass der Zusatz von Ginseng, Guarana und Tryptamin über Prozesse im limbischen System und im Riechhirn (Rhinencephalon) in besonderem Maß die Qualität der Erinnerungen der Patientinnen und Patienten positiv beeinflusst. Einfach ausgedrückt, kommt es zu einer Erinnerungsaufhellung und als Konsequenz zu einer positiveren Bewertung der je eigenen Vergangenheit. Die Wirkung geht so weit, dass selbst ursprünglich als negativ erinnerte Ereignisse eine positive Färbung erfahren, was wiederum die psychische Gesamtdisposition des oder der Behandelten günstig beeinflusst. Die über längere Zeit (drei bis vier Wochen) mit dem Folgepräparat Serenil Forte therapierten Personen hatten insgesamt eine deutlich positivere Einstellung zu sich selbst und waren rundum optimistischer in Bezug auf ihre Zukunft als die Kontrollgruppe, der ein Placebo verabreicht worden war.
Serenil Forte konnte sich binnen weniger Monate als das in Europa und den Vereinigten Staaten meist verwendete und wirkungsvollste Breitband-Antidepressivum etablieren. Nun aber zeichnet eine soeben publizierte Studie von Artweger, Hellstroem und Fitznorman ein sehr viel differenzierteres Bild der Wirkungen von Serenil Forte und scheint geeignet, ein Umdenken in der Depressionstherapie herbeizuführen. Im Rahmen eines zwanzig Monate dauernden Projektes standen nicht weniger als fünfhundert neue Serenil Forte-Patienten aus sieben verschiedenen Ländern und vierzehn verschiedenen Berufsgruppen freiwillig unter kontinuierlicher Beobachtung im Alltag und es wurde das Verhalten dieser Personen während der regelmäßigen Einnahme des Medikamentes evaluiert, respektive zu derselben in Relation gesetzt. Dabei zeigten sich die folgenden Auffälligkeiten:
1) Alle betroffenen Personen fühlten sich wohler, waren optimistischer und glücklicher als früher und erfreuten sich überhaupt eines deutlich gesteigerten Selbstwertgefühls. Dies zeitigte aber auch völlig unbeabsichtigte, unerwartete und in letzter Konsequenz unerfreuliche Begleiterscheinungen. Es stellte sich heraus, dass das permanente Gefühl der Zufriedenheit mit Erlebtem, Erreichtem und Geschaffenem, sowie das gesteigerte Selbstwertgefühl zu übertriebener Selbstzufriedenheit, ja man möchte beinahe sagen: zu Saumseligkeit, Schlamperei und intellektueller Trägheit führen kann. So reduzierte der Bürgermeister einer Kleinstadt nach erfolgreich geschlagener Wahl seine Arbeitszeit immer mehr und fand sich endlich nur noch einmal pro Woche für wenige Stunden an seinem Amtssitz ein. Dazu kam ein weitgehendes Desinteresse an der Kommunalpolitik, was unter anderem zum Zusammenbruch der Müllentsorgung und einer alarmierenden Verschuldung der Stadt führte. Nach einem Misstrauensantrag aller Gemeinderatsfraktionen ist der Bürgermeister abgesetzt worden. Er lebt jetzt als Pensionist und ist weiterhin mit sich zufrieden.
Der Direktor einer höheren Schule gewährte seinem Lehrkörper und den Schülerinnen und Schülern zweimal pro Jahr eine Woche Extraferien; bei Konferenzen, Sprechtagen und Abschlussprüfungen pflegte er abwesend zu sein, überhaupt erschien er nur sehr unregelmäßig in seiner Schule.
Auf eine nicht unähnliche Weise hat ein Bankdirektor seine Bank und ein Zahnarzt seine Praxis in Turbulenzen gebracht. Fast alle beobachteten Personen verfügten über auffallend wenig Selbstkritik, nahmen alles auf die leichte Schulter und scheuten die Mühen konzentrierter Arbeit und Planung: Eigenschaften, die ihnen laut Aussagen von Kollegen, Angehörigen, Freunden und Bekannten vor der Serenil Forte-Behandlung fremd gewesen waren.
2) Die Probandinnen und Probanden waren voll Optimismus bezüglich ihrer Zukunft und frei von Ängsten, sogar dann, wenn Angst oder zumindest Vorsicht angebracht gewesen wäre. Der Besitzer eines Einzelhandelsgeschäftes – früher äußerst vorsichtig und eher pessimistisch hinsichtlich Geschäftsgebarung und Absatzmöglichkeiten - hat seinen Betrieb durch einen unsinnigen Expansionsdrang und erdrückende Kreditlasten zugrundegerichtet. Dabei ist er keineswegs hyperaktiv und energisch vorgegangen, sondern vor allem indolent und phlegmatisch gewesen. Eine Invalidenpensionistin hat ihre gesamten Ersparnisse an der Börse verspekuliert und daneben astronomische Spielschulden angehäuft. Ein ehemals antriebsarmer und zudem schon immer relativ unsportlicher Versicherungsmathematiker hat beim Bungee-Jumping einen letalen Herzinfarkt erlitten. Das Bungee-Jumping ist zwar ein Sport, der nicht unbedingt Trainingsschweiß erfordert und kam somit der intrinsischen Faulheit des Verunfallten entgegen; anderseits ist Unsportlichkeit aber doch eine schlechte Voraussetzung für diese Aktivität.
3) Die untersuchten Personen sahen nicht nur ihre Zukunft, sondern auch ihre Vergangenheit als rosig an, ja verklärten sie geradezu. Dies bewirkte, dass manche genau jene Verhaltensweisen, Aktivitäten und Gewohnheiten wieder aufleben ließen, mit denen sie seinerzeit – vor der regelmäßigen Einnahme von Serenil Forte – Schiffbruch erlitten hatten.
Eine Chefsekretärin – in ihrer Jugend erfolgreich entzogene Heroinsüchtige - wurde nach zwanzig Jahren vollständiger Drogenabstinenz wieder süchtig und verlor daraufhin ihre Stellung. Ein Finanzberater, der als Jüngling nach einem schweren Autounfall monatelang im Koma gelegen, aber letztlich genesen war, begann wieder mit der Autoraserei. Nachdem er seinen Wagen in eine auf einem Gehsteig befindliche Personengruppe gelenkt, zwei Menschen getötet und drei schwer verletzt hat, wartet er auf sein Gerichtsverfahren. Ein ehemaliger Maurer, der dreimal vom Gerüst gefallen und nach dem dritten Mal (und der Heilung seiner diversen Knochenbrüche) Elektronikvertreter geworden war, ist beim Hallenklettern abgestürzt und nunmehr querschnittgelähmt. Eigenartigerweise scheint er mit seinem Handicap recht gut zurechtzukommen. Seit er an den Rollstuhl gebunden ist, hat er fünfundzwanzig Kilo zugenommen, was ihn nicht weiter zu stören scheint.
Die Studie von Artweger, Hellstroem und Fitznorman ist in der Fachwelt mit größtem Interesse aufgenommen worden, hat aber auch eine Klage des Schweizer Pharmakonzerns Ziehbar-Fiedli AG nach sich gezogen, der Serenil Forte herstellt und vertreibt. Dem Prozess darf man mit großer Spannung entgegensehen, weil es dabei auch um eine Grundsatzentscheidung geht, ob nämlich den Patientencharakter betreffende Nebenwirkungen, die am Beipackzettel eines Medikamentes bislang nicht vermerkt sind, fortan bekanntgegeben werden müssen oder nicht.
In jedem Fall – so meinen nicht nur Artweger, Hellstroem und Fitznorman, sondern auch andere Chemiker, sowie Pharmazeuten, Philosophen, Soziologen und Psychologen – scheint es erwiesen zu sein, dass – populär ausgedrückt – eine ausschließlich positive Lebenseinstellung – das, was man gemeinhin als „glücklich sein“ bezeichnet – ausgesprochen negative Nebenwirkungen mit sich bringen kann.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Ludwig Roman Fleischer, "Unerwünschte Nebenwirkungen", SISYPUS, 2016 isbn 978-3-903125-04-9

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