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Robert Buggler

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2011-02-14

Armut - eine Verwaltungsübertretung!

Oder: vom Betteln in Salzburg und anderswo.

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„Es gibt Menschen, die sind einem Bettler zeitlebens gram, weil sie ihm nichts gegeben haben.“

Dies schrieb Karl Kraus vor fast einem Jahrhundert, und bringt damit einen wesentlichen Aspekt im Umgang mit Bettlern auf den Punkt: Das eigene Unbehagen, das einen befällt, wenn man an einer bettelnden Person vorübergeht, die Blicke auf sich gerichtet spürend, einen inneren Kampf zwischen Mitgefühl und dem dann Doch-Nicht-Helfen-Können austragend. Wer aus tiefer Überzeugung hilft, dem geht es da wohl besser, der wirft den einen oder anderen Euro in den Hut, zu beider Zufriedenheit, wie einst im Mittelalter, als noch die Heilsökonomie die persönliche Beziehung zwischen Arm und Reich regelte: Ich gebe Dir, dafür erbittest Du für mich Gottes Segen. Doch das ist lange her und mag heute wohl nur mehr für eine Minderheit zutreffen. Die Mehrheit scheint doch in dieser emotionalen Widersprüchlichkeit gefangen, das Nicht-Geben, das wir uns als Gesellschaft ja auch argumentativ so schön zurechtgelegt haben, mag doch nicht so einfach sein, wie es scheint. Auch wenn es vordergründig sehr hilfreich ist, wenn wir uns erstmal nicht selbst mit unseren Gefühlen auseinandersetzen müssen, sondern die Polizei das Problem für uns „erledigt“.

„Wer an einem öffentlichen Ort oder von Haus zu Haus von fremden Personen unter Berufung auf wirkliche oder angebliche Bedürftigkeit zu eigennützigen Zwecken Geld oder geldwerte Sachen für sich oder andere erbittet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 500 € und für den Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen“

so steht es im Salzburger Landessicherheitspolizeigesetz. Kurz: Betteln ist gesetzlich verboten - und Armut eine „Verwaltungsübertretung“.

Das Verdrängen der Armut – bzw. im vorliegenden Fall das „Verscheuchen“ der Bettler, wie es ein lokaler Vertreter der Exekutive in einem Zeitungsinterview bezeichnete – ist ein Jahrhunderte altes komplexes Phänomen, und nur in diesem breiten Zusammenhang ist es zu verstehen, wie und warum Bettler auch in Salzburg noch im 21. Jahrhundert polizeilich belangt werden können, Sozialstaat, Menschen- und Freiheitsrechte hin oder her. Ein kurzer Blick in die Geschichte tut dabei Not: Seit dem späten Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit kennt man die Tradition, Arbeitswillige von Arbeitsunwilligen, Arbeitsfähige von Arbeitsunfähigen, Fremde von Einheimischen, kurz „würdige“ von „unwürdigen“ Hilfesuchenden fein säuberlich zu trennen.

“Nur nichts verschwenden, am allerwenigsten an Arme, denn letztendlich sind diese selber schuld an ihrem Los. Der Neuzeit, die das große Lob der Arbeit singt, wird der Arme verdächtig. Wenn jeder sein Glück seiner Leistung verdanken soll, wird der, der nicht leisten kann oder will, zum Außenseiter”

argumentiert der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Bettelverordnungen oder -verbote waren (und sind!) da nur eine Strategie, diesen Paradigmenwechsel in die Praxis umzusetzen, Kriminalisierung, Pädagogisierung und Beschämung waren (und sind!) andere. Auch der österreichische Sozialstaat kennt diese Unterscheidungen nur zu gut, auch heute noch: Nicht arbeitswillig? Na, eine kleine Sperre des Arbeitslosengeldes wird Sie schon wieder auf Trab bringen! Zugewandert? Ein paar Jahre müssen Sie da schon warten, bis Sie die gleichen Leistungen erhalten wie die einheimische Bevölkerung.

Die Antwort auf die Frage nach dem Warum gestaltet sich freilich schwierig und komplex: Ein sich durch die Geschichte ziehender Macht-Konflikt zwischen den „Habenden und den Nicht-Habenden“, wie es der deutsche Armutsforscher Helmut Bräuer ausdrückt, mag dabei wohl eine Rolle spielen: Es gibt jene, die vom „herrschenden System“ profitieren, und jene, die zu den Verlierern gehören. Um das „System“ – und damit die Gewinner – zu stützen, müssen die Verlierer Verlierer bleiben, beschämt, verdrängt und marginalisiert werden. „Jeder kann gewinnen, wenn er nur will“, argumentiert die neoliberale Ideologie, und trieb die Rechtfertigung von sozialer Ungleichheit und Armut damit auf die Spitze. Ob die Infragestellung herrschender ökonomischer Theorien, hervorgerufen durch die derzeitige Wirtschaftskrise, eine Abschwächung dieser Überzeugungen mit sich bringen wird, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden.

Auch es ist wohl den meisten Gesellschaften eigen, klare Grenzen zu ziehen, Trennlinien zwischen sich und „denen da unten“, der Unterschicht, die doch gefälligst bleiben soll, wo sie ist. Was garantiert, das die anderen ebenfalls dort bleiben können, wo sie sind, nämlich auf der gesellschaftlichen Stufenleiter etwas weiter oben. Soziales Abstandsgebot nennt das die Soziologie, einen Prozess der Beschämung die Psychologie, „selbst schuld“ der Stammtisch. Und Sündenböcke braucht eine Gesellschaft ja auch immer, wenn es mal wieder nicht so gut läuft. Wer ist schuld an den schlechten Schulleistungen? Richtig, die Ausländer, oder, ein bisschen objektiver argumentiert, der hohe „Ausländeranteil“ in den Klassen, ganz sicherlich aber nicht das Schulsystem, das soziale Ungleichheit in Österreich einzementiert wie kaum in einem anderen entwickelten Land, also auch Migrant/innen weniger Chancen bietet. „Ihr seid selber schuld an den Barrieren, die wir euch aufgestellt haben“, fasst Martin Schenk diese Strategie auf den Punkt bringend zusammen.

All diese – und wohl noch andere – gesellschaftlichen Prozesse spielen nun auch in jenen Situationen eine entscheidende Rolle, wenn „Habende und Nicht-Habende“ aufeinander treffen, auf Brücken, vor Einkaufszentren, am Bahnhofsvorplatz, sie bestimmen mit, wie wir mit Bettlern umgehen. Oder besser gesagt: wie wir Bettler umgehen:

„Der soll doch arbeiten gehen!“, „Die ziehen uns nur das Geld aus der Tasche, die sind in Wirklichkeit gar nicht arm!“, „Die sind ja alle organisiert, das Geld kassieren ja nur die Hintermänner!“, „Ich helfe lieber unseren Armen!“, „Ich muss mir mein Geld auch hart verdienen!“, „Die versaufen doch alles, das unterstütze ich nicht!“, „Wenn ich was gebe, was denken die anderen über mich, vielleicht dass ich die Bettel-Mafia unterstütze?“

Unterstützung kommt dabei oft von unerwarteter Seite. „Wer diesen Leuten etwas gibt, kann sein Geld gleich an die osteuropäische Mafia überweisen“, analysierte eloquent und höchst seriös Salzburgs Altstadtkoordinator in einem Zeitungs-Interview. Grund der Warnung war die anstehende Fussball-EM und die Befürchtung, Salzburg werde nun von „Bettlerbanden“ überschwemmt. Ungestört sollten wohl die Fangruppen aus halb Europa grölend und Bier trinkend durchs Weltkulturerbe ziehen dürfen, und die Euros sollten wohl in den Taschen der heimischen Wirte landen, und nicht in den Händen der „osteuropäischen Mafia“. Es handelt sich dabei um Argumente, die wohl mehr über die „Habenden“ aussagen als über die „Nicht-Habenden“, die uns helfen, unser Nicht-Geben zu rechtfertigen, Armut zu verdrängen. Oder vielleicht auch, dass es uns demnächst mal selbst (be-)treffen könnte?

Ja, es wird sie geben, diejenigen, die organisiert sind, die uns das Geld aus der Tasche ziehen, so wie es diejenigen gibt, die rechtswidrig Sozialhilfe beziehen, eine Minderheit zwar, aber doch vorhanden, ein Umstand, der ebenfalls erfolgreich verdrängt zu werden scheint. Die empirischen Fakten scheinen jedoch nicht so relevant zu sein, wenn jeder „weiß“, wie „es“ zugeht, am Sozialamt, bei den Bettlern, bei den Arbeitslosen.

„Ich will nicht betteln, aber dürfen muss ich!“ lautete ein Spruch einer Kampagne gegen ein Bettelverbot in Wien: Betteln ist ein Freiheitsrecht, so die Botschaft. Aber so lange es derart mächtige Interessen in unserer Gesellschaft gibt, Ungleichheit zu rechtfertigen und Armut zu verdrängen, solange wird es wohl auch Bettelverbote „brauchen“, nicht zuletzt auch zulasten der Menschenrechte.

Bettelverbote Österreich / Bundesländer – Überblick (Stand: Jänner 2011)

BundeslandGesetzEinschränkungenStrafrahmen
Salzburg§ 29 LandessicherheitsgesetzGenerelles BettelverbotBis zu € 500,-
Bei Uneinbringlichkeit: Freiheitsstrafe bis 1 Woche
Ev. Verfall des Erbettelten
Tirol§ 10 LandespolizeigesetzGenerelles BettelverbotBis zu € 360,-
oder Arrest bis zwei Wochen
ev. Verfall des Geldes oder d. erb. Gegenstände
Steiermark§ 3a LandessicherheitsgesetzVerboten ist
Aufdringliches Betteln (Anfassen)
unaufgefordertes Begleiten und Beschimpfen
Veranlassung / Mitführung Minderjähriger / Unmündiger Personen zum Betteln
bis € 2.000,-
Wien§ 2 LandessicherheitsgesetzVerboten ist Aufdringliches oder aggressives
gewerbsmäßiges Betteln
durch Beteiligung an organisierter Gruppe
Veranlassung / Mitführung Minderjähriger / Unmündiger Personen zum Betteln
bis zu € 700,- bei Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche
ev. Verfall des Geldes oder d. geltwerten Sachen
Möglichkeit der Wegweisung (150 m, 12 h)
Niederösterreich§ 1 a PolizeistrafgesetzVerboten ist
Aufdringliches oder aggressives
gewerbsmäßiges Betteln
durch Beteiligung an organisierter Gruppe
Veranlassung / Mitführung Minderjähriger / Unmündiger Personen zum Betteln
„bloßes kein Hindernis bildende Sitzen oder Stehen“ ausgenommen
bis € 1.000,- oder im Falle der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe bis 1 Woche
Wegweisung als gelinderes Mittel möglich
BurgenlandKein Bettelverbot, derzeit keine Diskussion
VorarlbergKein Bettelverbot, aber Diskussion
KärntenLandtagsbeschluss 2007 pro Bettelverbot auf Landesebene, noch nicht umgesetzt, aktuell wieder Diskussion
OberösterreichKein Bettelverbot, aber intensive Diskussion

Weitere Deatils, Gesetzesauszüge ... unter r www.salzburger-armutskonferenz.at

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Ersuchen um Unterstützung:
r Petition gegen die geplante Verschärfung des Bettelverbots in der Steiermark!

Zum Hintergrund:
r Houston, wir haben ein Bettler-Problem (?)

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Reaktionen Auf den Beitrag reagieren

Georg Kral, 2011-02-16, Nr. 5059

Danke für diesen klarstellenden, vielseitigen und aufrüttelnden Artikel! Ich habe mit Bestürzung gelesen, dass der "Staat" eigentlich keinerlei Interesse hat, die Zustände zu ändern. Viele eindringlich formulierte Darstellungen machen klar, wie es um das "soziale Österreich" (und nicht nur Österreich!) bestellt ist...
G.Kral

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