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2010-10-10

Die Verdrängung der Welt durch die Umwelt

Eine Auseinandersetzung um die kosmopolitische Dimension der Begriffe Welt und Umwelt, den Garten und die Subsistenz

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Das ist wieder einmal eins von diesen eigensinnigen Hans-Göttel-Themen [dem Organisator des Seminars „Die Verdrängung der Welt mit der Umwelt“, 31. Mai - 1. Juni 2010 / Eisenstadt], das ein wenig zwielichtig bleibt und wegen dieser Unschärfe ans Grübeln bringt. Ich bleibe also erst einmal bei den drei prominenten Begriffen des Themas. Da ist von der Welt die Rede und von der Umwelt und dann davon, dass das eine das andere verdränge. An sich haben wir uns über die letzten dreißig – nein, schon vierzig Jahre – daran gewöhnt, im Wort „Umwelt“ einen wohllautenden Klang zu vernehmen. Was im Namen der Umwelt argumentiert wird, ist fast schon per se im Recht. Natürlich sind wir aufmerksam auf die perfiden Tricks der Werbeindustrie, die vor nichts zurückschreckt und noch einen spritschlürfenden Four-Wheel-Drive zum umweltfreundlichen Transportmittel stilisiert, weil sein Amaturenbrett nicht aus Tropenholz ist. Auch dass die Zwiebel, die aus Argentinien zu uns kommt, nicht wirklich in die Bio-Abteilung des Supermarkts gehört, obwohl ihr Wachstum nicht mit Fertilizern und Pestiziden befördert wurde, haben wir durchschaut. Also: so gewitzt sind wir immerhin als kritische Konsumenten, dass wir auf diese sprachlichen Bereicherungen höchst unappetitlicher Tatbestände nicht hereinfallen.

Aber mir scheint um derlei Beanstandungen geht es bei der Themenstellung nicht. Hier ist von Grundsätzlicherem die Rede. Hier steht eine Umwertung zweier Begriffe auf dem Programm. Der gute Leumund der Umwelt soll geschädigt werden, und die Welt, die uns gewöhnlich als ein übermächtiger Akteur erscheint, der gegenüber wir uns klein, wirkungslos und ohnmächtig fühlen, soll als Opfer der Machenschaften des Umwelteifers ins Licht gerückt werden. Die Formulierung des Themas ist, wie sich zeigt, durch und durch paradox, denn sie unterstellt, das Ganze (die Welt) könne von einem Teil seiner selbst verdrängt werden. Wie soll das gehen? Wir haben es hier offensichtlich mit metaphorischer Rede zu tun, die verträgt ja allerhand Widersprüche, indem sie aus ihnen Nutzen, will sagen, Erkenntnis gewinnt. Lassen wir uns also darauf ein, dass wir uns im Bereich der Widersprüche aufhalten.

„Verdrängen“ hat in unserer Sprache zweierlei Bedeutung. Es meint einerseits, dass jemand oder etwas von seinem angestammten Platz, von dem Ort, wo er, sie oder es hingehört, verjagt oder vertrieben wird und zwar auf rüde Weise und durch Ausspielen machtvoller Überlegenheit. Und andererseits kennen wir den Begriff im Sinne der Psychonanalyse als jene Aktivität, mit der wir uns unliebsame Tatbestände dadurch vom Halse halten, dass wir ihnen den Zugang zu unserem Bewusstsein verwehren. Wenn nun unser Tagungstitel sagt, dass die „Umwelt“ die „Welt“ verdränge, dann unterstellen wir der Umwelt eine ganze Reihe ziemlich übler Charaktereigenschaften: Sie ist machtvoll, raumgreifend und vergeht sich an allem, was sich als das Andere ihrer selbst zu behaupten versucht; und sie trübt das Bewusstsein und schönt schlechte Verhältnisse, indem sie uns erlaubt, uns mit ihnen nicht zu befassen.

Die Umwelt also als machtvolles Agens, während wir uns doch so daran gewöhnt haben, sie schutz- und pflegebedürftig zu finden und sie als das Opfer gegen die weltlichen Übergriffe zu verteidigen? Tatsächlich hat die Umwelt in den Jahren 1969 bis 1972 einen enormen Aufschwung, um nicht zu sagen eine enorme Ermächtigung erfahren. Damals nämlich wurden alle Printmedien und Fernsehbildschirme überschwemmt mit einem einprägsamen Bild: dem Bild vom blauen Planeten. Der amerikanische Dichter Archibald MacLeish, Veteran des Ersten Weltkriegs, schwärmt beim Anblick dieser Bilder in der New York Times:

„Die Erde so zu sehen, wie sie WIRKLICH (Hervorhebung M.G.) ist, blau und schön, ein winziges Etwas, das in der lautlosen Ewigkeit schwebt, das bedeutet, dass wir uns selbst gemeinsam als Passagiere der Erde sehen, als Brüder auf diesem leuchtenden Planeten inmitten der ewigen Kälte des Alls, als Brüder, die nun endlich wissen, dass sie wahrhaftig Brüder sind.“[1] Der blaue Planet wird zur neuen Ikone; sie liefert ein eindringliches Gegenbild zu der Ikone des Weltuntergangs, die seit dem Zweiten Weltkrieg das Menschheitsdenken beherrschte: zu dem Bild vom aufsteigenden Atompilz, das eine ganze Generation in wirklich fühlbaren Schrecken versetzte, so fühlbar wie wir es uns heute, nachdem wir uns an die Anwesenheit der Genozidmaschinen unbegreiflicherweise gewöhnt haben, kaum noch vorstellen können. Und nun also der „blaue Planet“, „blue marble“. Die auf ihrem Flug durchs All in einen Zustand von Entrückung versetzten Astronauten liefern selbst zu diesem Bild Kommentare von geradezu religiöser Ergriffenheit: Der Kommandant von Apollo 17 sinniert: „Und weißt du, sie hängt an keinen Stricken, sie ist da draußen, ganz allein.“ Harrison Schmitt, der das meist publizierte Foto der Fotogeschichte machte, nennt die Erde, die er aus einer menschenunmöglichen Perspektive sieht, ein „zart aussehendes Stück Bläue im Weltraum“. Der Planet erscheint den Betrachtern und Kommentatoren dieser Bilder, zerbrechlich, zart, verletzlich, schutzbedürftig, als ein „funkelnd, blauweißes Juwel“, wie eine „Perle, unergründlich und geheimnisvoll“, ein „Saphir auf schwarzem Samt“. Der Astronaut Russel L. Schweickhart gibt geradezu eine Liebeserklärung an die ganze Erde ab: „ich habe dabei den ganzen Planeten umarmt und alles Leben auf ihm, und es hat diese Liebkosung erwidert.“ Und sein russischer Kollege Boris Wolynow sekundiert: „Wenn du die Sonne, die Sterne und unseren Planeten ansiehst … bekommst du eine innigere Beziehung zu allem Lebendigen.“[2]

Diejenigen, die sich vom Raumschiff aus diesen Anblick verschafft haben, berichten über diese Erfahrung im Tonfall von Staunen, Ergriffenheit, Ehrfurcht und Demut. Und sie ziehen aus ihr einmütig die Konsequenz, dass die ‚Menschheit’ alle Anstrengung darauf richten müsse, dieses fragile Gebilde, das unsere Heimat ist, in einer menschheitlichen Anstrengung zu retten. „Die Herausforderung an uns alle“, schreibt Harrison Schmitt - der Fotograf von ‚blue marble’ - ist es, diese Heimat zu behüten und zu schützen. Gemeinsam. Als Menschen dieser Erde.“

Es ist aber doch - erstens - keinen Augenblick zu vergessen, dass die Astronauten ihre Demut kultivieren, während sie in einem Geschoss, das den Inbegriff der avanciertesten Technologie darstellt, durch den Weltraum brettern, in einer Geschwindigkeit, die jedes bisher erreichte Fortbewegungstempo in den Schatten stellt, und in einem Projekt, in dem die hybriden Fortschrittsphantasien ihren einstweiligen Höhepunkt erreicht haben. Ich spreche bewusst nicht von ‚Raumkapsel’, sondern vom ‚Geschoss’ und folge damit Paul Virilio, der gesagt hat, dass von einer bestimmten Geschwindigkeit an jedes Ding zum Geschoß wird, also mit Zerstörungskraft aufgeladen ist.

Auch ist - zweitens - nicht zu ignorieren, dass diese Bilder der Globalisierung enormen Vorschub geleistet haben und dass sie diesen Globus gänzlich, sozusagen mit Haut und Haar zum Management-Objekt[3] gemacht haben, in dessen Rettung man investieren müsse. Wenn irgendetwas dem Industrialismus und dem Wachstumswahn Auftrieb gegeben hat, dann die Schutzbedürftigkeit des Planeten.

Und - drittens - ist daran zu erinnern, dass die Erde, „wie sie“ - angeblich - „wirklich ist“, aus einer Perspektive betrachtet wurde, die es eigentlich gar nicht gibt, die vollkommen künstlich ist, und uns ein vollständig abstraktes Bild von unserer ‚Heimat’ liefert, das jeden Bezug auf konkretes Dasein aufgibt. Was für ein phantastischer Wirklichkeitsbegriff, der alles Wirkliche zugunsten reiner Abstraktion kategorisch ausschließt.

„Abstraktion heißt zum Tode verurteilen. Konkretion heißt ins Leben rufen.“ Diese mutige Feststellung findet sich in Eugen Rosenstock-Huessys ,Sprache des Menschengeschlechts'. In diesem Sinne ist das Bild des blauen Planeten ein Tötungsakt. Und tatsächlich werden ja für dieses fotografische Konstrukt fast ausschließlich Metaphern aus der Welt der Mineralien und edlen Gesteine bemüht, während gleichzeitig die Liebe zum Leben beschworen wird, zu einem Leben allerdings, das genauso abstrakt, blutleer und ertötet ist wie die irdischen Wirklichkeiten selbst. Gegen dieses substantivierte Leben hat Ivan Illich in seinen letzten Lebensjahren angeschrieben und gesprochen und hat es als die moderne Gestalt des Bösen entlarvt, weil es uns erlaubt im Namen eines namenlosen Lebens jedes einzelne bei seinem Namen gerufene Lebewesen unerheblich zu finden.

Das also höre ich heraus, wenn ich mir eine Vorstellung davon machen soll, wie die Umwelt die Welt verdrängt. Das Rettungsfieber, das der schutzlose Planet auslöst, macht endgültig der Welt, die in ihrem Dasein und Gewordensein ‚so für sich hin’[4] ist, den Garaus. Nichts mehr, was nicht unter Entwicklungs- und Rettungs- und Managementgesichtspunkten ins globale Projekt geriete. Der Industrialismus rastet und ruht nicht, ehe nicht alles, was ist, von seinen Gnaden ist, auch der Planet, auf dem wir noch wohnen, aber schon nurmehr unsere Unterbringung konsumieren, wie Illich sagt. Indem die Welt zur schutzbedürftigen Umwelt wird, wird allem ,Von Selbst' sein Daseinsrecht bestritten. Nichts ist mehr nur einfach da. Alles wird unter der Frage betrachtet, wozu es gut ist. Die Umzuisierung ist total und totalitär.

Nach dem Gesagten liegt es nahe zu vermuten, dass es also die beiden Protagonisten, die in dem Verdrängungsgerangel als Subjekt und Objekt, als Verdränger und Verdrängtes, fungieren, gar nicht gibt. Es könnte doch sein, dass alles, womit wir tagtäglich in unserer Lebenswelt konfrontiert werden, Welt oder Umwelt sein kann, je nachdem, wie wir es behandeln, deuten, beurteilen oder mit ihm Umgang pflegen. Will sagen: Das selbe Ding kann entweder der Welt oder Umwelt angehören, nichts ist von sich aus Bestandteil des einen oder anderen. Es ist unsere Bezogenheit, die aus den Weltdingen Umwelt macht, sie zu Ressourcen ernennt, zu Rohstoffen, die eigens zu dem Zweck da zu sein scheinen, unsere Bedürfnisse zu befriedigen und die um ihrer selbst willen keinerlei Bedeutung haben.

Umwelt wäre dann alles, worin wir herumfuhrwerken, um es entweder auszubeuten (und es damit zu ruinieren) oder um es zu retten (und es damit zu verwalten). Aber so einfach ist das nicht. So kategorisch können wir nicht verfahren, wenn es denn um die Frage unserer Bezogenheit, zu Mensch, Tier und Pflanze und zu Wasser, Feuer, Luft und Erde geht.

Fangen wir also noch einmal ganz von vorn an und wählen wir diesmal einen Standort der Betrachtung, der uns nicht von oben her auf die Erde blicken lässt, sondern von unten her, oder von nebenan. Vermeiden wir also die ganz großen Übersichten, bei denen wir ja so unendlich viel übersehen müssen, damit sie überhaupt zustande kommen, und verbleiben wir im dem Umfeld unserer Reichweite. Ich schlage vor, sich im Garten umzublicken, der ein wunderbarer Lehrmeister ist, und uns vielleicht auch etwas über Welt und Umwelt lehren kann und darüber, wie sie sich unterscheiden oder besser: wie sie zusammenfinden.

Nun sehe ich allerdings mit einiger Bestürzung, dass im Untertitel in Aussicht gestellt wird, wir Vortragenden würden auch noch dem Gesichtspunkt des Kosmopolitischen Rechnung tragen. Da scheint nun der Garten denkbar ungeeignet. Aber wer weiß? Ich habe im Garten schon so viel wundersame Belehrung erfahren. Vielleicht hat er ja auch zum Kosmopolitischen etwas zu sagen.

In meiner Tageszeitung fand ich unlängst einen Artikel unter der Überschrift: „Das Gras wird nicht länger, wenn man daran zieht.“ Das ist ein schöner Satz, der die Welt gegenüber der Umwelt als widerständig zeigt und sie ins Recht setzt mit der einfachen Feststellung, dass das Gras nun einmal seine eigene Daseinsweise habe, an der nichts zu deuteln ist.

Aber der Satz wird dem modernen Menschen zum Skandalon.

Der mag nämlich nicht dulden, dass sich ein Gegenstand seines Interesses so hartnäckig seiner Einflussnahme entzieht und macht, was er will. Die Zumutung, dass er auf etwas warten solle, das sich seine Zeit nimmt, ist dem erfolgsverwöhnten Welttraktierer unerträglich. Er ist gewohnt, dass die Puppen tanzen, wenn er die Strippen zieht. Und nun die empörende Lethargie des Grases, das sich durchaus von ihm nicht er-ziehen lassen will. In den USA ist man daher - gleichsam zur kollektiven Schmerzbekämpfung und zur Aufpäppelung des angeschlagenen Selbstbewusstseins - auf eine pfiffige Lösung verfallen. Eine Lösung von alter Machart übrigens. Schon der Fuchs, der die Trauben nicht ergattern konnte, erklärte sie verächtlich für viel zu sauer und wandte sich, scheinbar angewidert, von ihnen ab. Das haben ihm die modernen amerikanischen Rasenfetischisten abgeguckt. Das Gras, das von alleine und nach eigenem Rhythmus wächst, ist ihnen nun viel zu lang. Es kann ihnen gar nicht kurz genug sein. Und so wird also nicht mehr daran gezogen, sondern daran herumgestutzt bis es zur absoluten Minimallänge niedergekürzt ist. In der Kürze lag ja bekanntlich immer schon die Würze. Die Souveränität ist wieder hergestellt, denn nun kann das Gras wirklich nicht mehr machen, was es will. Es wird angesiedelt, wo immer man will, selbst da, wo es von Natur aus nichts zu suchen hat, in der Wüste zum Beispiel, und es wird auf ungemein kostspielige und aufwendige Art kurz gehalten, so wie man eben in gut puritanischer Manier kurz hält, was man liebt. Auf 40 Milliarden Dollar wird der Umsatz der Rasenindustrie in den USA geschätzt. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt von ganz Vietnam. „Rasen bedeckt in den Vereingten Staaten zwischen 10 und 20 Millionen Hektar Land, … mindestens doppelt so viel wie für den Anbau von Baumwolle genutzt wird, deren größter Exporteur Amerika immerhin ist.“ 30 Prozent des Brauchwassers dienen an der Ostküste der Bewässerung des zu Nullwachstum verurteilten Rasens. An der Westküste sind es sogar 60 Prozent. Und dazu kommen die unvorstellbaren Mengen von Düngemitteln und Pestiziden, letztere von der Art des Entlaubungsmittel Agent Orange, mit dem der Vietnam-Krieg verloren wurde. „,Wir haben den schönsten Rasen in der Nachbarschaft', witzelt der Satiriker Art Buchwald, ‚und wir haben bereits 14 Menschen vergiftet.’“ Aber Menschen sterben in den Vereingten Staaten nicht nur an Rasenvergiftung, sondern auch an rasenden Rasenbesitzern. Charles Martin zum Beispiel bedrohte Kinder, die sich auf seinem Rasen tummelten, nicht nur mit der Waffe, sondern richtete schließlich eines von ihnen buchstäblich mit zwei Schüssen hin. Und Charles Martin, ist offenbar nicht der einzige Rasenverteidiger, der seine Liebe zum Kunstgrün so weit treibt. Lawn rage ist beinah schon ein anerkanntes Krankheitsbild. So ist also der moderne amerikanische ,Garten' ein Symbol des Todes und der Tödlichkeit. Alles Leben und alles Gedeihen, sind ihm systematisch ausgetrieben.

Der amerikanische Garten dieser Machart ist also Umwelt pure, die Welt hat darin nichts zu suchen.

Dies ist jedoch nur das Spießermodell der Naturbeherrschung. Seine Vorläufer waren grandioser, aber von ähnlicher Ausrottungsmentalität gegenüber allem Eigensinn der Natur inspiriert: „Der französische Park: planierte Ebene“, schreibt Martin Burckhardt in seinem außerordentlich lesenswerten Buch: ‚Metamorphosen von Raum und Zeit’.[6] „Bäume, die wie Soldaten in regelmäßigen Abständen nebeneinander aufgepflanzt stehen … Gesetz der Serie … Gewächse, die zu geometrischen Körpern sich formen … Buchsbaumhecken in Uniform …Und so steht ein jegliches Ding nicht nur für sich selbst, sondern gewissermaßen Spalier … In dieser Kette ist das Gleichmaß Gesetz. … so kann der französiche Park auch erst zu dem werden, was er ist, wenn der Landschaftsarchitekt von der natürlichen Beschaffenheit des Geländes vollkommen absieht. …“ Und in der Tat ist Versailles, ein ursprünglich sumpfiges und hügeliges Gelände“, denkbar ungeeignet für das „titanische Unterfangen“ seiner Verwandlung in ein Parkkonstrukt. Bis zu 36.000 Mann waren zeitweilig damit beschäftigt. „Wiederholt kommt es zu Epidemien. Aber weil die Arbeiten nicht unterbrochen werden sollen, schafft man (nach Augenzeugenberichten) ... ‚alle Nächte wie aus einem Krankenhaus ganze Karren voller Toter heraus.“ Die Arbeiten bestehen darin, erst einmal tabula rasa zu machen, damit, was dann folgt, reines Machwerk sein kann. Die Welt ist abgeschafft, die Umwelt triumphiert. So soll der Eigensinn der Natur gebrochen werden.

Der Idee des Gartens wurde durch den real existierenden Garten übel mitgespielt. Der Urgarten, der das mit ihm Gemeinte zumindest als Erinnerungsspur aufbewahrt, ist der Garten Eden, der Paradiesesgarten. Er ist nicht der gebändigte und bezwungene Park, sondern ein Garten, der sich in der Gewährung der Fülle verströmt. Er verbraucht nicht, sondern spendet das Wasser des Lebens, dessen Quelle in ihm entspringt und sich in vier Flüssen über die Erde ergießt. Vom Garten wird jedoch nicht nur gesagt, dass er ein Ort der Fülle ist, sondern dass er dem Menschen anvertraut wird, ihn zu bebauen und zu bewahren. Die Übergabe des Gartens an den Menschen geschieht in einem eigentümlichen Zeremoniell: Der Mensch wird aufgefordert, allem was da kreucht und fleucht und wächst und gedeiht einen Namen zu geben. Das ist der springende Punkt. Im Akt der Namensgebung geschieht nach altem Wissen eine eigentümliche Verwandlung. Das Gegenüber, das zuvor ein Gegenstand war, den ich als etwas von mir Unabhängiges betrachten oder handhaben konnte, wird, indem ich es namhaft mache, zu einem ‚Du’, das ich anrede. Mit einem namhaften ‚Du’ kann ich nicht einfach in herrscherlicher Manier umspringen. Ich befinde mich ihm gegenüber in einem Verhältnis der Ebenbürtigkeit und der Gegenseitigkeit. Wir sind auf Gedeih und Verderb als ,Du' und ,Du' aufeinander angewiesen, und in dieser wechselseitigen Angewiesenheit liegt der - lassen Sie mich ein altmodische Wort benutzen, denn es gibt kein anderes dafür - in dieser Angewiesenheit liegt gerade der Segen unserer Verbindung. ‚Segen’ sei hier in dem alten jüdischen Sinn verstanden als eine Kraftübertragung, die hin und hergeht, und uns aus tauber Vereinzelung in ein lebendiges, lebenspendendes Miteinander verwebt.

Wenn ich die Zeichen meiner Zeit lese, dann scheint mir die Wurzel des umfassenden Übels, das uns droht und das wir kaum noch länger ignorieren können, darin zu liegen, dass wir zu dem, was uns gegenübersteht, sei es Mensch, sei es Tier oder Pflanze oder unbelebte Kreatur, also alles, was der Garten beherbergt, nicht mehr ‚Du’ sagen, sondern es mit einem taxierenden ‚Das da’ abfertigen und für unsere Pläne verfügbar machen.

Hier wird nun deutlich, wie sehr die Frage, ob wir in der Welt sind oder uns vis à vis einer Umwelt positionieren, nicht davon abhängt, ob wir die Dinge auf sich beruhen lassen oder Hand an sie legen. Ich kann Dinge auf sich beruhen lassen und sie trotzdem verzwecken. Ich verwerfe zum Beispiel etwas, erkläre es für belanglos, weil es in meinem Nutzenkalkül keinen Platz hat. Dann habe ich es zwar nicht verwertet, aber entwertet, was nur die andere Seite der Medaille ist. In beiden Fällen wird das Gegenüber in seinem Eigensinn nicht respektiert und in den Sinn gezwungen, den ich ihm zuteile. Umgekehrt kann ich durchaus Hand an etwas legen und Nutzen daraus ziehen, aus einem Stück Grund und Boden zum Beispiel, ohne es zu einer Ressource zu machen, also zur Umwelt im oben beschriebenen Sinne.

Wenn wir dem Garten im Sinne der Gegenseitigkeit, also auf Du und Du begegnen, und ihn nicht nur als Produktionsmittel betrachten, das ausschließlich dazu da ist, in kürzester Zeit größtmögliche Erträge einzubringen, wie es die industrialisierte Landwirtschaft zum Ziel hat - koste es was es wolle, und sei es sogar die Krume, den Humus, den Boden, auf dem etwas wachsen kann -, dann kann der Garten zum idealen Dialogpartner in den wichtigsten Fragen unseres Lebens und Überlebens werden. Wir können uns mit ihm über letzte Dinge besprechen, und er wird uns Rede und Antwort stehen.

Ich weiß schon, mit diesem Plädoyer handele ich mir den Vorwurf des Sozialromantizismus ein. Der Garten als Hobby, schön und gut. Aber eine Parteinahme für Subsistenzwirtschaft, für eine Wirtschaft, in der die Eigensorge und Eigenarbeit eine so große Rolle spielt, dass unser Geldbedarf drastisch gesenkt und unsere Daseinsmächtigkeit, wenigstens zu Teilen wiederhergestellt würde, kommt nicht in Frage.

Die Subsistenzwirtschaft wurde wegen ihres Mangels an Effizienz ins Unrecht gesetzt. Wer heute für sie plädiert, macht sich lächerlich, weil er der Power der Warenwirtschaft nichts entgegenzusetzen hat. Subsistenz steht unter Beweisnot, sie müsste beweisen, dass sie genauso effizient oder eher noch effizienter ist als die Warenwirtschaft, obwohl deren verheerende Folgen inzwischen an allen Ecken und Enden krass und bedrohlich zu spüren sind. Und das kann sie nicht.

Subsistenzwirtschaft ist nicht effizient; jedenfalls nicht in dem Sinn, den dieses Wort heute angenommen hat. Effizienz entsteht in der industriellen Warenproduktion durch eine hohe Konzentration auf einen immer enger werdenden Zweck. Als effizient gilt ein Produktionsvorgang[8] dann, wenn dieser spezielle Zweck mit dem geringsten Aufwand an Zeit, Geld und menschlicher Arbeitskraft erreicht wird. Alle negativen Begleiterscheinungen dieser stupide zugespitzten Zweck-Mittel-Relation werden dabei generös außer Acht gelassen. In diesem Rat-race um die Menge der ausgespuckten Produkte in der kürzestmöglichen Zeit kann die subsistenzorientiert Tätigkeit nicht mithalten.

Dass sie nicht effizient ist, heißt jedoch nicht, dass sie überhaupt wirkungslos wäre. Ihre Wirkung liegt in der begrenzten Reichweite derer, die da aus eigenen Kräften tun oder unterlassen, was ihnen richtig und wichtig und notwendig dünkt. Aber täuschen wir uns nicht: innerhalb diese Reichweite sind ihre Wirkungen so außerordentlich, dass sie alle gängigen Vorstellungen von Effizienz sprengen. Einen so bornierten Effizienzbegriff, wie die industrielle Produktion ihn ihren Rechenexempeln zugrunde legt. leistet sich die subsistenzorientierte Tätigkeit nicht. Sie erschöpft sich nicht in einem einzigen in Geldwert messbaren Nutzen, ihr fällt beiläufig und gratis eine Menge ‚Nebennutzen’ (Kaspanaze Simma) zu und der macht geradezu ihr Wesen aus. Sie spart Zeit, indem sie sie verausgabt, Geld, indem sie es nicht braucht, Raum, indem sie ihn pfleglich nutzt, Kraft, indem sie der Mühe Sinn entlockt und Natur, indem sie ihr nicht schadet.

Das kleine Wörtchen ,umsonst' hat in der Subsistenz-Tätigkeit eine gänzlich andere Bedeutung als in der Erwerbsarbeit. Für den Erwerbstätigen ist die ganze Mühe, die er auf sich nehmen muss, umsonst, also vergeblich, er hat persönlich nichts oder fast nichts von dem, was er macht. Oft weiß er noch nicht einmal, wozu seine Arbeit letztlich dient. Er wird für sie entlohnt, und dieses verräterische Verb tut kund, was eigentlich verschwiegen werden sollte, dass nämlich die Erwerbstätigen um den Lohn für ihre Arbeit gebracht und stattdessen mit einer lächerlichen Summe Geldes abgespeist werden.In der Subsistenztätigkeit meint ‚umsonst’ soviel wie ‚gratis’. Während er ein vorrangiges Ziel verfolgt, werden dem Tätigen unversehens allerlei Zugaben zuteil, die keinen Extraaufwand erfordern, die umsonst, aber sehr willkommen sind und einen Reichtum sui generis bilden.

Vollkommen aussichtslos eine auch nur annähernd vollständige Liste dieser Umsonstigkeiten zu erstellen, die natürlich von Tätigkeit zu Tätigkeit, von Ort zu Ort variieren. Ich will aber trotzdem versuchen, einige von ihnen zu würdigen. Auf die Gefahr hin, pathetisch zu werden, will ich das Loblied des Gartens singen, den ich seit drei Jahren „bebaue und bewahre“. Ich will von den Zugaben reden, die mir dieser Garten überreichlich spendiert, so großzügig, dass kaum noch zu unterscheiden ist, was sein Haupt- und was die Nebennutzen sind. Wenn ich vom Garten rede, dann spreche ich von der Urform der Subsistenztätigkeit seit den Tagen der neolithischen Revolution und der Seßhaftwerdung der Menschen. Und ich spreche von einem Ort, der selbst nach dem Sündenfall noch eine Erinnerung an den von den vier Flüssen gewässerten Urgarten bewahrt hat.

Ein wahrer Segen von Zugaben ist hier zu ernten, wobei der Segen schon die erste und vielleicht wichtigste von ihnen ist. Die Arbeit im eigenen Garten kräftigt. Sie ist erschöpfend, ermüdend und anstrengend, aber sie zehrt nicht aus. Sie gibt die Kraft, die an sie verausgabt wird, dem Gärtner als Stärkung zurück.

Das Hauptanliegen der Gartenarbeit – sofern es sich nicht um die zum reinen ästhetischen Genuß geschaffene Gartenanlage handelt – ist natürlich die Erzeugung von Nahrung für die eigene Küche. Das gelingt mehr oder weniger gut. Am Anfang eher weniger, weil die Fehler und Versäumnisse, die man dem Garten zumutet, sich dadurch rächen, dass es nichts oder fast nichts zu ernten gibt.

Das ist also die zweite Zugabe, dass der Garten mich unablässig etwas unmittelbar Nützliches lehrt und mir Nachdenkenswertes zu denken gibt. Wenn Aristoteles recht hat, dass Staunen der Beginn allen Philosophierens ist, dann ist der Garten ein zutiefst philosophischer Ort, denn hier ereignen sich tagtäglich veritable Wunder. Das Wunder, dass aus unansehnlichen Essensresten und Gartenabfällen binnen eines Jahres auf dem Komposthaufen schwere, schwarze, krümelige Erde entsteht, die der nächsten Pflanzengeneration zur Nahrung gereicht. Oder das Wunder, dass aus einem winzigen Samenkrümel in wenigen Wochen eine kräftige, früchtestrotzende Tomatenpflanze oder eine goldstrahlende, übermannsgroße Sonnenblume erwächst. Wie kann in etwas so Winzigem und Unscheinbaren die Kraft zu etwas so Üppigem stecken? Es ist ein Merkmal subsistenter Tätigkeit, dass sie unaufhörlich lehrreich ist. Die Behauptung, sie sei wiederholsam und stumpfsinnig, ist eine üble Propaganda. Der Garten ist ein perfekter Lehrmeister, der das Bildungssystem „austrickst“ und das „Schwarzlernen “[9] begünstigt. Regenwürmer, Kartoffelkäfer, der Grund und Boden selbst, Kraut und Unkraut sind sein Lehrpersonal und natürlich der gärtnernde Nachbar jenseits des Zaunes.

Mit dem Garten verbindet mich ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit, das sich fundamental von der rechenhaften Tauschgesinnung, die in der Warenwelt gilt, unterscheidet. Dem Garten bin ich etwas schuldig, für ihn fühle ich mich zuständig. Ich muss zum Beispiel da sein, während der Zeit der Saat und der Ernte und während der Dürre, um ihn zu wässern. Das schränkt die Mobilität während der Hochzeiten der Gartenarbeit erheblich ein und das mag nun als das Gegenteil einer ‚Zugabe’ erscheinen, eher als eine herbe Pflicht, eine Angebundenheit, die mir meine Entscheidungsfreiheit beschneidet. Aber das ist immer der zu zahlende Preis, wenn ich mich mit jemandem oder etwas einlasse in der Welt. Jede Aufgabe, der ich mich mit Ernst widme, ist von dieser Art, dass sie mir etwas zu tun aufgibt und mich nötigt, anderes dafür aufzugeben. Aber ist es überhaupt ein Preis, eine Einbuße, ein Verzicht?

„Heute“, schreibt George Steiner, wo die ganze Therapie darauf hinausläuft, alles zu vereinfachen und nur keine Anstrengung zu fordern, scheint es mir viel schwieriger geworden zu sein, zur Freude zu gelangen, in Freude zu wachsen. Der Kampf, der nötig ist, um alltägliche Probleme zu lösen, hat überhaupt nichts ... Trübsinniges an sich. Im Gegenteil, in dem Augenblick , da sich der Erfolg einstellt, gibt es einen Augenblick des Lachens, der riesigen Freude.“[10] Die Zuständigkeit, die in Verhältnissen auf Gegenseitigkeit entsteht, ist demnach die Bedingung dafür, dass wir uns freuen und in ein großes Lachen ausbrechen können. Die aus Erlebnisgier erzwungene Mobilität erübrigt sich buchstäblich, wenn der Garten ruft. Sie hat gar nichts Verführerisches mehr. Wenn das keine Zugabe ist!

Zum großen Lachen und zur Freude gesellt sich noch der Genuss, der Genuss an einfachen Dingen, der unvergleichlich ist. Das eigene Erzeugnis, das ich mit Mühe und Sorgfalt großgezogen und dessen Zeuge ich beim Gedeihen war, dessen Unverfälschtheit ich bezeugen kann, erfreut sich natürlich einer viel größeren Wertschätzung und Aufmerksamkeit als ein Produkt, für das ich ein paar Euro hinblättere, zu dem ich aber sonst in keinerlei persönlicher Beziehung stehe. Aber es ist auch unabhängig von meiner Zuneigung von besserer Art, und sei es nur darum, weil es aus einer Ökonomie der kurzen Wege kommt. Welch ein Unterschied, ob ich die Erbsen oder Erdbeeren ein paar Meter vom Garten in die Küche trage oder ob sie, aus Argentinien kommend, Tausende von Kilometern zurückgelegt und eine ganze Weltmaschinerie in Gang gesetzt haben, ehe sie in meiner Küche landen.

Apropos Zuneigung: Die Beziehung zu den Früchten des Gartens entsteht ja tatsächlich dadurch, dass ich mich, bevor ich sie genießen kann, viele Male zu ihnen hinabgeneigt habe, beim Hacken und Anbinden und Wässern. Dieses sich Zuneigen ist ja nicht nur eine arbeitstechnische Notwendigkeit, sondern auch eine Verbeugung, eine Geste des Respekts, der Demut und der Dankbarkeit. Denn die Erfahrung beschert mir der große Lehrmeister ja tagtäglich, dass das Gedeihen nicht allein mein Verdienst ist: Wieviele Mitarbeiter sind notwendig, damit sich das Gelingen, das mich lachen lässt, auch einstellen kann. Der Regen, die Sonne, der hoffentlich maßvolle Appetit der Schnecken, alles Getier, was im Boden für dessen gute Balance sorgt, das herabfallende Laub der Bäume im Herbst, das den Boden düngt und vor dem Austrocknen schützt. Der Garten erinnert mich daran, dass das Gedeihen zwar auch, aber wahrlich nicht nur mein Verdienst ist. Er lehrt vier große Tugenden: die Demut, die Dankbarkeit, die Geduld (aber auch die Ungeduld), und die Mäßigung. Mäßigung kann man überhaupt nur durch eigenes Tun lernen, denn nur dann weiß man, welcher Anstrengung es bedarf, damit man sein Auskommen findet und kann seine Ansprüche danach ausrichten. Als Konsumenten wissen wir von diesem Verhältnis zwischen Anstrengung und Ertrag rein gar nichts mehr.

Aber damit nicht genug: Eigenarbeit lehrt einen Widerwillen gegen die Verschwendung. Was früher selbstverständlich zu einer guten Hauswirtschaft gehörte, dass dafür gesorgt wurde, dass ‚nichts umkam’, haben wir gründlich verlernt, mehr noch, die industrielle Produktion ist systematisch auf Verschwendung aus, obwohl wir längst wissen, wie ruinös sie ist und wie teuer schon wir und erst recht unsere Nachkommen diese Wegwerfattitüde bezahlen müssen.

Subsistenztätigkeit erspart uns zwei moderne Geißeln der Menschheit: den Lärm und den Müll. Schon längst werden uns die Gehörgänge mit Maschinenlärm verstopft und der Müll bedeckt den Globus wie ein stinkender Schimmelüberzug. Die Sorgfalt des Gärtners erweist sich geradezu daran, daß er keinen Müll hinterlässt. Für alle Abfälle des guten Gartens hat die Natur Zersetzungskräfte, mit denen sie das Ausgesonderte wieder in Eigenes verwandelt.

Die Liste der guten Gaben ließe sich beliebig verlängern, und wenn man sie aus Leidenschaft an der ökonomoschen Wissenschaft in Heller und Pfennig umrechnen wollte, dann würde sich zeigen, wie ineffizient die industrielle ‚Effizienz' ist. Subsistente Tätigkeiten machen Gebrauch von der Kraft meiner Arme, von der Standfestigkeit meiner Beine, von der Klugheit des Kopfes, von der Zuneigung des Herzens, von der Empfänglichkeit der Seele, vom Geschick meiner Hände, der Wachsamkeit des Auges, der Ausdruckskraft der Sprache, der Beweglichkeit des Körpers ….

Auf all diese Quellen des persönlichen und gesellschaftlichen Reichtums verzichtet industrielle Tätigkeit. Sie lässt sie brachliegen, um jeweils eine spezialisierte Könnerschaft für einen spezialisierten Zweck auf Hochtouren zu bringen. Welch eine Verschwendung.

„Ein Mensch kann sich auch sein Tun stehlen lassen von anderen. Wenn man uns die Erfahrung nimmt, nimmt man uns unser Tun. Wenn uns unser Tun sozusagen aus den Händen genommen wird wie Kindern das Spielzeug, beraubt man uns unserer Humanität.“[11]

Wir haben wahrlich viel Grund, die „Welt“, das „Von Selbst“ und das eigene Tun zu schützen vor der Übermacht der Weltrettungsmaßnahmen, die die Welt zum Rohstoff für „Sicherungs- und Optimierungsanstrengungen“ mit verhängnisvollem Ausgang machen.

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Mit freundlicher Genehmigung des Europahauses Burgenland übernommen aus: Forum Europahaus Burgenland - Nr. 18 - September 2010, S. 16-24. Der Vortrag von Marianne Gronemeyer wurde gehalten beim Seminar „Die Verdrängung der Welt mit der Umwelt“, 31. Mai - 1. Juni 2010 / Eisenstadt

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Anmerkungen

[1] In: Ulrich Grober: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit, München 2010.
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[2] Alle Zitate ebenda S. 28 f.
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[3] Vgl. hierzu Wolfgang Sachs: Der Planet als Managementobjekt.
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[4] Diese Formulierung ist eine Anspielung auf ein Gedicht Goethes: „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“.
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[6] Martin Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung, Frankfurt, New York 1997, S. 184 ff.
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[8] „Produktion“ bezieht sich hier sowohl auf Waren als auch auf warenförmige Dienstleistungen.
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[9] 9 Was Jean- Francois Lyotard über die Schwarzarbeit schreibt, gilt auch für das ‚Schwarzlernen’. Lyotard, Jean-Francois: Patchwork der Minderheiten, Berlin 1977, S. 29 f.
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[10] 10 Steiner, George: Grammatik der Schöpfung, München 2002)
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[11] Laing, Ronald D.: Phänomenologie der Erfahrung, Frankfurt 1969, S. 23.
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