2010-05-11
Rede zum 8. Mai
Ständig sagt man uns Jugendlichen Politikverdrossenheit und Frustration nach: Es heißt, die Jugend von heute sei passiv, gelangweilt, demotiviert. Aber stimmt das überhaupt?
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Schaut euch doch um: So viele junge Menschen zeigen heute, dass sie sehr wohl daran interessiert sind, am politischen Geschehen teilzunehmen. Deswegen muss man die Frage umkehren: Was erzeugt denn Frustration und Unlust?
Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass dieses Land nichts anderes ist als ein Theater: Nach außen hin glänzt es und das Publikum applaudiert. Doch wenn sich die Vorhänge schließen, wandelt sich die Kulisse in einen brodelnden Sumpf. Dieser Sumpf zwingt uns, seinen Regeln zu gehorchen. Er steht für ein erstarrtes System, in dem man hohle Phrasen nachbeten muss, um nach oben zu kommen. Mit einer eigenen Meinung macht man sich hier nur unbeliebt.
Viele wenden sich davon ab, weil sie angewidert und tatsächlich auch gelangweilt sind. Wir, die Jugend, haben doch wirklich besseres zu tun, als alte, längst überholte Strukturen zu kopieren und zu reproduzieren! So vieles, was in diesem Land geschieht, ist einfach nicht mehr zeitgemäß: Wir wollen keine hinterwäldlerischen Diskurse mehr, wir wollen keine Kasperlfiguren an der Macht! Wir wollen Demokratie, wir wollen Gerechtigkeit und Transparenz, auch wenn wir nur sehr wenige Vorbilder haben, an denen wir uns orientieren können.
Innovation ist gefragt! Das Neue entsteht aber nicht von heute auf morgen, sondern in einem langsamen Prozess. Und am Anfang dieses Prozesses der Veränderung muss die Kritik stehen. Kritik, das heißt: zum Denken anfangen! Wir müssen lernen, die vorgegebenen Ordnungen und unsere eigenen Verhaltensweisen ständig zu hinterfragen, wir müssen lernen, unsere eigene Meinung zu finden und zu ihr zu stehen!
Nichts ist wirksamer gegen verkrustete Strukturen als Menschen, die ihren eigenen Kopf haben. Denn: wer gedankenlos der Menge oder gar einem Führer hinterher hechelt, wird niemals etwas verändern.
Wir sind zwar jung, haben aber gerade deswegen die Kraft, Neues zu denken und zu probieren. Wer denn sonst, wenn nicht wir? Es ist an der Zeit, dass wir uns den Platz erobern, der uns zusteht: Wer die Jugend nicht zu Wort kommen lässt – sei es in der Politik, in der Erinnerungskultur oder generell in gesellschaftlichen Prozessen –, hat in Wahrheit nur Angst vor Veränderung. Lassen wir uns nicht länger als frustriert und gelangweilt beschimpfen, sondern übernehmen wir das Wort! Wir dürfen uns das ruhig zutrauen.