2010-01-03
„Gastwirtschaft“ Obiditsch
Ein Versuch zum Thema, was es ausmacht, dass man sich wohl fühlt
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Nun hat das Lokal, das einhellig als eine „Villacher Institution“ bezeichnet wird, geschlossen. Mit 31.12.2009, nach 99 Jahren (siehe auch → Austrinken beim Obiditsch). Klar ist, dass sich bei den Stammgästen Wehmut breit macht. Wo wird man hingehen? Wird man – mal abgesehen von den direkten Freunden und Freundinnen, mit denen man sich ja sicher wieder treffen wird – die anderen Gäste wieder sehen? Findet sich ein Ersatz? Und in all der Wein- und Bierseligkeit (bei manchen auch der nüchtereren Apfelsaftseligkeit) heißt so ein Einschnitt immer auch Abschied nehmen von einem eigenen Lebensabschnitt. Die Vergänglichkeit wird einem halt bewusst.
Doch jenseits all der Gefühle ist da noch was anderes: Wenn da die Rede davon ist, dass eine Villacher „Institution“ ihre Pforten geschlossen habe, so verweist dies auf etwas Besonderes. Die Frage ist, was diese Besonderheit des „Obiditsch“ ausmacht inmitten eines Meeres von Lokalen. Klingt ja im ersten Moment förmlich absurd, dass da so schwer ein Ersatz zu finden sein soll. Doch möglicherweise ist diese Frage nach dem Ersatz gar nicht so absurd, denn:
„Kundenwirtschaften“ gibt es viele, „Gastwirtschaften“ gibt es nur ganz wenige!
Was ist damit gemeint? Nun, das Gasthauswesen ist – no na net – Teil der kapitalistischen Warenwirtschaft: Der Gast, der eigentlich kein Gast, sondern Kunde (also angeblich „König“, soferne er mit Geld ausgestattet ist) ist, wird bedient, damit er mit seinem Geld den Lebensunterhalt des Dienstleistungsanbieters, des Wirtes, gewährleistet. Dazu muss – so die Regel – dem Kunden Einiges geboten werden: Es muss Freundlichkeit vorgespielt werden, es muss das Ambiente für die jeweilige Zielgruppe passen, es müssen permanent irgendwelche Schmankerln angeboten werden, ... Die ganze Beziehung hat sehr viel mit Prostitution zu tun. Und wenn der Wirt / die Wirtin sich nicht an das hält, werden sie von der Konkurrenz geschluckt. Das ist die eherne Regel, die allerdings Eines zeigt: Der Eine, der die Dienstleistungen in Anspruch nimmt, ist alles andere als ein „Gast“ im ursprünglichen Sinne des Wortes. Und der Andere, der Wirt, ist kein „Gastgeber“, sondern Anbieter in einer Marktbeziehung. Insofern ist die Bezeichnung „Gastwirtschaft“ falsch, viel eher müsste man von einer „Kundenwirtschaft“ sprechen.
Nun unterliegen auch Gasthausinstitutionen wie der Obiditsch diesen Grundregeln des Marktes. Aber irgendetwas ist da gewesen, das die negativen Seiten dieser Kund/innen-Anbieter/innen-Beziehung in den Hintergrund hat treten lassen: Beim Obiditsch war nichts zu spüren von dieser Prostitution, sondern man war als Gast willkommen, aber man war eben Gast. Das heißt, man hatte sich auch als solcher zu benehmen. Und es wurde nicht irgendwelchen Zeitgeistigkeiten nachgewinselt. Die Rolle des Kunden / der Kundin bzw. des Dienstleisters / der Dienstleisterin ist in den Hintergund getreten zugunsten einer Beziehung, der der ursprünglichen von Gast zu Gastgeber näher gekommen ist. Und offensichtlich hat diese stabile(re) Beziehung, die daraus entstanden ist, den Gästen (und wohl auch den Wirtsleuten) gut getan.
Das Beispiel GASTHAUS OBIDITSCH zeigt nun nicht etwa, dass das Diktum „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ aufgehoben ist. Aber es zeigt, dass viele Menschen – und zwar quer durch die sozialen Schichten, Klassen und die politischen Ausrichtungen – auf der Suche sind nach einem Freiraum von der Buntheit und Schrille des Ware-Geld-Kreislaufes.