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Erich Ribolits

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2008-01-03

Gesucht: Beschäftigte ohne Eigenschaften

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Welche neuen Qualifikationen – sogenannte Schlüsselqualifikationen – verlangt die zukünftige Arbeitswelt den Arbeitnehmer/innen ab?

Allenthalben wird heute von einem grundsätzlichen Veränderungsprozess im System beruflicher Arbeit gesprochen, sowie davon, dass die traditionellen Arbeitnehmertugenden »Ordnung, Leistung, Pünktlichkeit« nicht mehr ausreichen werden, um in der heraufdämmernden »neuen« Arbeitswelt bestehen zu können. Wenn es darum geht, die neuen Arbeitsweltanforderungen zu charakterisieren, verweisen Arbeitsmarktforscher/innen, Berufspädagogen/innen und Bildungspolitiker/innen dann mit schöner Regelmäßigkeit auf das Konzept der »Schlüsselqualifikationen«. Soll diese »Zauberformel« allerdings mit Inhalt gefüllt werden, liegen die Meinungen der Expert/innen oft weit auseinander; zugleich bleiben die Erklärungen auch meist erstaunlich diffus. Was hingegen nahezu immer auftaucht, wenn es um das Umschreiben jener Qualifikationen geht, die Arbeitnehmer/innen für ihre Verwendbarkeit in der zukünftigen Arbeitswelt brauchen, ist das Begriffspaar »Flexibilität / Mobilität«.

Etwa vier Jahrzehnte lang konnte hierzulande der ungeliebte »Schatten« unseres politisch-ökonomischen Systems – die Arbeitslosigkeit – problemlos aus dem allgemeinen Bewusstsein verdrängt werden. Möglich war dies zum einen durch ihren »Export« in die sogenannte Dritte Welt, und zum anderen durch ein massives Ankurbeln der Warenproduktion und des Warenumlaufs auf der Basis eines hemmungslosen Raubbaus an den Energieressourcen der Erde sowie einer – ebenfalls erst neuerdings verstärkt ins allgemeine Bewusstsein getretenen – anwachsenden Zerstörung der Ökosphäre.

Spätestens seit Mitte der 80er Jahre beginnen diese »Methoden« der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit jedoch immer unübersehbarer an ihre Grenzen zu stoßen. Das Zusammenspiel von Produktion, Arbeitskräftebedarf und Konsum, das in den westeuropäischen Ländern seit der Aufschwungphase nach dem Zweiten Weltkrieg relativ gut funktioniert hatte, kippt seitdem in allen Industriestaaten immer deutlicher aus dem Gleichgewicht. Diese Entwicklung lässt Arbeitslosigkeit auch hierzulande zunehmend wieder zu einem Alltagsphänomen werden.

Parallel zu dem, zwar konjunkturabhängigen, aber über längere Zeiträume betrachtet, durchaus stetigen Ansteigen der durchschnittlichen Arbeitslosenraten, kommt es derzeit noch zu einer weiteren Verschärfung der Arbeitsmarktsituation: einem deutlichen Anwachsen sogenannter »prekärer Arbeitsverhältnisse«. Dazu gehören beispielsweise Teilzeitjobs wider Willen, befristete und arbeitsrechtlich wenig abgesicherte Beschäftigungen, »Arbeit auf Abruf« oder Beschäftigungen mit Bezahlungsbedingungen an der Armutsgrenze. Auch diese Entwicklung trägt dazu bei, dass es für eine anwachsende Zahl von Menschen zunehmend unmöglich wird, sich durch Lohnarbeit eine dem gesellschaftlichen Standard entsprechende materielle Lebensgrundlage zu schaffen. Die unmittelbare Folge dieser Entwicklung ist ein deutlich verschärfter Konkurrenzkampf um (attraktive) Arbeitsplätze und ein Durchschlagen der Konkurrenz auf immer mehr Bereiche des Lebens.

„Alte" Bildung wird entwertet

Diese Situation läßt Lernen im Sinne des Erwerbs arbeitsmarktkonformer Qualifikationen heute immer mehr zu einer zentralen gesellschaftlichen Größe werden, bei der sich – allem Anschein nach – die spezifischen Interessen der Lohnabhängigen mit den Wirtschaftsinteressen decken. Im Besitz genau jener Qualifikationen zu sein, nach denen am Arbeitsmarkt Nachfrage besteht, verspricht dem Einzelnen Erfolg im Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze. Zugleich macht die Summe der Bemühungen um arbeitsmarktkonforme Qualifikationen den jeweiligen nationalen Standort für Kapitalinvestitionen attraktiv, da ein dergestalt adaptiertes »Humankapital« eine hohe Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verspricht. Und dieser Konkurrenzvorteil stellt in der heutigen Situation, wo Investitionsentscheidungen im internationalen Rahmen getroffen werden, politische Einflußnahme jedoch noch weitestgehend auf die nationale Ebene beschränkt ist, die Voraussetzung dar, um Lebensstandard, Beschäftigungsniveau, individuelle Chancen und soziale Bedingungen eines Landes optimal gestalten zu können. Dementsprechend sind sich heute auch alle – Gewerkschaften, Unternehmer, Parteien, Regierungen, ... – in der Betonung der Wichtigkeit von Bildung und insbesonders der von Weiterbildung einig.

Mit der skizzierten Entwicklung in engem Zusammenhang steht auch die fulminante Karriere des Begriffs »Schlüsselqualifikationen«. In diesem Terminus , der 1974 von Dieter Mertens (MERTENS, D., S. 36-43) in die Diskussion gebracht worden war , kulminiert die Hoffnung nach einer Antwort auf die Frage, was heute zu lernen ist, um auch Morgen noch als Arbeitskraft gebraucht zu werden. Die gewaltigen technologischen Entwicklungsschübe der letzten Jahre, neue Formen der Arbeitsorganisation, sowie die ökonomischen Veränderungen aufgrund des zunehmend härteren, internationalen wirtschaftlichen Wettbewerbs, lassen Vorhersagen über konkrete Kenntnisse und Fertigkeiten, die Arbeitnehmer/innen in Zukunft brauchen werden, immer schwieriger erscheinen. Dementsprechend ging Mertens davon aus, dass das neu geforderte Qualifikationsmerkmal genau in der Anpassungsfähigkeit besteht, der Fertigkeit, sich neu auftauchenden Arbeitsanforderungen flexibel zuzuwenden und diese selbständig zu bewältigen. Aufbauend auf diese Überlegungen wurde in der Folge ein Kanon von Qualifikationen entwickelt, die keine spezielle Fachkompetenz, sondern eher eine allgemeine berufliche Handlungsfähigkeit beschreiben. Dazu zählen Lernbereitschaft, situationsbezogene Erfahrungsfähigkeit, Umstellungsfähigkeit, Rationalität, Problemlösungsfähigkeit und eben auch die Befähigung, sich relativ autonom und distanziert gegenüber instabilen Anforderungen des Arbeitsmarktes zu verhalten.

Die hoffnungsfrohe Botschaft des Schlüsselqualifikationskonzeptes lautet: Wer den »Schlüssel« in Form eines ausreichenden Adaptionsvermögens an wechselnde Arbeitanforderungen besitzt, dem öffnen sich die Tore zum Beschäftigungssystem, zu einem attraktiven Arbeitsplatz und zur Karriere. Jedoch selbst das dergestalt positiv vermittelte Bild vom »Türen öffnenden Qualifikationsschlüssel« signalisiert zugleich auch das versperrbare Tor zur Berufstätigkeit, also auch die Aussperrung der Unterqualifizierten (Vgl.: GEISSLER, K. A., S. 89-93). Wenn heute behauptet wird, dass bald nur mehr besonders flexible Arbeitskräfte einsetzbar sein werden, wird mit dieser Aussage noch eine zweite Botschaft mittransportiert. Und die heißt: Alle jene, die »es nicht schaffen« und im Bereich der »Reservearmee« des Arbeitsmarktes landen, sind selber schuld, weil sie sich offensichtlich nicht ausreichend auf die neu geforderten Arbeitnehmertugenden umgestellt haben. Dass schon bald nur mehr Schlüssel-Qualifizierte auf einen der immer weniger werdenden Arbeitsplätze reflektieren können, bedeutet im Umkehrschluss eben auch, dass immer mehr Menschen arbeitslos sein werden.

Die beruhigende Rede, dass Arbeitnehmer/innen durch die Anpassung ihrer Qualifikation der drohenden Arbeitslosigkeit entgehen können, blendet nämlich etwas ganz wesentliches aus: Den Zusammenhang zwischen dem Phänomen der in immer schnellerer Folge eingeforderten neuen Qualifikationen und dem Schrumpfen des (Lohn-)Arbeitspotentials. Übersehen wird die Tatsache, dass der strukturelle Wandel ja im Kern genau darin besteht, mit immer weniger menschlichen Arbeitskräften auszukommen. Die Logik hinter den die Anpassungsforderung auslösenden technischen und arbeitsorganisatorischen Veränderungen besteht im Ziel der Produktivitätserhöhung. Derselben Logik sind aber auch Rationalisierungsmaßnahmen und damit verbundene Arbeitskräfteeinsparungen geschuldet. Die beiden Trends, die Notwendigkeit der Anpassung der Qualifikationen der Arbeitskräfte an die neuen Erfordernisse von Beruf und Arbeit und die permanente Verringerung des Arbeitskräftebedarfs, speisen sich aus derselben Quelle: der an Kapitallogik und Konkurrenzökonomie gekoppelten, technologischen und arbeitsorganisatorischen Entwicklung.

Selbst wenn alle derzeit Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Personen lernen würden, was angeblich gebraucht wird, bleiben sie überzählig und können einen Arbeitsplatz nur ergattern, im Austausch mit Beschäftigten, deren profitable Verwendbarkeit sie durch ihre Nachqualifikation überbieten können. (vgl. dazu unsbesondere BREMER, R., S. 5-17) Einen Schlüssel, den alle Arbeitnehmer/innen erwerben könnten, um sich den Zugang zum Arbeitsmarkt aufzuschließen, gibt es nicht. Der Mechanismus des Entstehens und Verschwindens von Arbeitsplätzen ist politisch-ökonomischer Natur und hat bestenfalls einen marginalen Zusammenhang mit der konkreten Qualifikation der davon Betroffenen.

Parallel dazu, dass die Bereitschaft, sich laufend den neuen Qualifikationsanforderungen anzupassen, heute zu jenem Universalrezept hochgelobt wird, mit dem Arbeitnehmer ihre Position im Beschäftigungssystem absichern könnten, findet derzeit eine sukzessive Entwertung von (Erstaus-)Bildungsabschlüssen statt. Dieser Effekt zeigt sich an zwei Entwicklungen: Zum einen am Trend, dass die Zugangsmöglichkeiten für bestimmte berufliche Positionen an sukzessiv umfangreicher werdende Formalqualifikationen geknüpft werden. Und zum anderen daran, dass schulische beziehungsweise universitäre Abschlüsse heute immer weniger einen direkten Zugang zu Positionen des Beschäftigungssystems garantieren.

Wer schafft es vom Vorzimmer zum Wohnzimmer?

Zunehmend eröffnen sie nur mehr die Berechtigung dafür, am Konkurrenzkampf um attraktive berufliche Positionen überhaupt teilnehmen zu dürfen. Ulrich Beck zeichnet ein ausdrucksstarkes Bild für diese Entwicklung: „Die Zertifikate, die im Bildungssystem vergeben werden, sind keine Schlüssel mehr zum Beschäftigungssystem, sondern nur noch Schlüssel zu den Vorzimmern, in denen die Schlüssel zu den Türen des Beschäftigungssystems verteilt werden.“ (BECK, U., S. 245)

Allerdings verharmlost das Wort »Verteilen« die Situation, die sich an der Nahtstelle zwischen (Aus-)Bildungs- und Beschäftigungssystem immer deutlicher abzeichnet, noch weitgehend. Unter den gegenwärtigen Umständen, wo immer mehr Abgänger/innen des Bildungssystems höhere Abschlüsse nachweisen können, die Anzahl an höheren beruflichen Positionen jedoch nicht nur nicht ansteigt, sondern eine langfristige (zumindest relative) Verringerung der Gesamtarbeitsplätze zu verzeichnen ist, entscheidet zunehmend die Bereitschaft, sich zusätzlichen »Anpassungsmechanismen« zu unterwerfen, über eventuelle Startchancen im Beschäftigungssystem. Die Tatsache, dass sich der Übergang vom Bildungs- zum Beschäftigungssystem für Schul- und Lehrabsolventen heute immer häufiger nicht in Form eines Umstiegs gestaltet, sondern eher die Form einer Erprobungsphase annimmt, fügt sich in dieses Bild. Beck schreibt dazu:
„Zwischen Ausbildung und Beschäftigung schiebt sich eine risikoreiche Grenze labiler Unterbeschäftigung“. (BECK, U., S. 239
Konkret bedeutet das, dass sich zunehmend erst über den Zwischenschritt der »Anpassungserprobung« – der Bereitschaft, ungesicherte und atypische Arbeitsverhältnisse, wie zum Beispiel, Teilzeitarbeit, Anstellungen über befristete Werkverträge oder sogenannte »Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen« einzugehen – und der unter Beweis gestellten Bereitschaft, in die weitere Nutzbarmachung der eigenen Arbeitskraft zu investieren, die Tore zum Normalarbeitsmarkt öffnen.

Auch eine hoch qualifizierende Ausbildung stellt heute immer weniger eine Garantie für einen (attraktiven) Arbeitsplatz dar. Im Gegensatz dazu stellt aber eine Nicht-Vorhandene oder eine nur gering qualifizierende Ausbildung mit rasch steigender Wahrscheinlichkeit ein Ausschlusskriterium für den (Normal-)Arbeitsmarkt dar. Konkret bedeutet das: Der Wert der durch das Aus- und Weiterbildungssystem vergebenen »Qualifizierungszertifikate« bestimmt sich zunehmend weniger über eine Statuszuweisungsfunktion, sondern immer mehr über eine Ausschlussfunktion. Zwar steigt die Grenzqualifikation für den Einstieg ins Erwerbsleben permanent an, aber es ist dennoch immer weniger die besondere berufsspezifische Qualifikation, die für das Erreichen von anstrebenswerten Positionen im Beschäftigungssystem notwendig ist. Worum es geht, ist die permanente Bereitschaft, sich weiter zu qualifizieren, sich also »flexibel« den Arbeitsmarktbedingungen zu unterwerfen Und genau diese Forderung stellt ja auch den Kern der heute andauernd eingemahnten Schlüsselqualifikationen dar.

Schule und Erstausbildung dienen immer weniger der Vorbereitung auf eine Karriere in einem bestimmten Beruf, sondern den »Startvorbereitungen« und dem »Fit-Machen« für den lebenslangen Wettkampf um akzeptable gesellschaftliche Positionen. Im Erstausbildungssystem geht es darum, die »Notwendigkeit« des rastlosen Konkurrenzkampfes zu verinnerlichen und die Bereitschaft zur lebenslangen Adaptierung der eigenen Qualifikation zu entwickeln. Die (Erst-) Ausbildung wird unter diesen Umständen also keineswegs unwichtiger. Im Gegenteil, in Entsprechung zum vorhin dargestellten Bild von Ulrich Beck, in dem er darstellt, dass die Zertifikate des (Aus.)Bildungssystems zunehmend nur mehr die Türen zu den Vorzimmern des Beschäftigungssystems öffnen, bleibt ohne qualifizierenden Abschluss die berufliche Zukunft meist gänzlich verbaut. Denn es mag der Schlüssel für das Vorzimmer zwar unwichtig werden, sobald jemand so weit gekommen ist, sich um den »Platz im Wohnzimmer streiten zu dürfen«, allerdings stellt eben genau der erfolgreich geführte »Kampf um den Vorzimmerschlüssel« jene Qualifikation dar, die zum nachfolgenden Konkurrenzkampf um eine Position im Beschäftigungssystem überhaupt berechtigt.

Damit ergibt sich die paradoxe Situation, dass es heute zwar immer unwichtiger wird, was man lernt, aber gleichzeitig immer notwendiger, dass man lernt, um damit das eigene Durchhaltevermögen nachzuweisen und zu signalisieren, dass man den wahnwitzigen Prozess der bewußtlosen Qualifikationsanpassung ausreichend verinnerlicht hat. Das verbindende Muster der skizzierten Entwicklungen im Aus- und Weiterbildungsbereich besteht darin, dass es unter den heutigen Gegebenheiten des allumfassenden Konkurrenzkampfes eben um wesentlich mehr geht als um neue Bereiche beruflichen Wissens und Könnens für (potentielle) Arbeitnehmer/innen. Es geht um die endgültige Durchsetzung der »Ideologie der ökonomischen Rationalität« auf der Ebene der Selbstvermarktung der Individuen. Völlig unabhängig von tatsächlich gegebenen oder nicht gegebenen Arbeitsplatzchancen ist es heute notwendig, dass alle Gesellschaftsmitglieder diese »Selbstdisziplinierung im Sinne der ökonomischen Logik« als eine nicht mehr zu hinterfragende Primärtugend verinnerlichen. Die Devise lautet „Wachsen oder weichen“, oder, um die Absurdität der Situation voll zur Geltung zu bringen: „Du hast keine Chance – nutze sie!“

Die Bedeutung definierbarer, auf eine bestimmte berufliche Tätigkeit bezogener Kenntnisse und Fertigkeiten nimmt derzeit im selben Maß ab, in dem die Bereitschaft, sich dem Zwang zu unterwerfen, »besser als andere« zu sein, zur Primärtugend wird, um am Arbeitsmarkt reüssieren zu können. Die Mahnung lautet: »Wer aufgehört hat, besser zu sein, hat aufgehört, gut zu sein« (so ein Slogan aus der Konzernzeitung „Audi mobil"). Im Gegensatz zum »Gut«, das immanent eine Grenze beinhaltet, kann »Besser« jedoch immer noch besser werden; besser ist nach oben offen, es ist durch nichts begrenzt. Wesentlich dabei ist auch, dass sich das geforderte »Besser« nicht an irgendeinem ethisch oder ideologisch legitimierten Ziel misst, sondern einzig und allein am Ziel der Vermarktbarkeit. Besser ist derjenige, der sich selbst in dem, der maximalen Mehrwertproduktion geschuldeten, allumfassenden Konkurrenzkampf so vollständig als möglich zur Ware degradiert. Derjenige also, der bereit ist, seine Persönlichkeitsmerkmale weitestgehend zu relativieren beziehungsweise – noch besser – der erst gar keine stabile Persönlichkeit im klassischen Sinne ausbildet, sondern flexibel mit den jeweiligen Bedingungen des Marktes »mitgeht«.

Ganz unverblümt lautet dementsprechend die Botschaft in einem auflagenstarken Managementratgeber:

„Das Ideal der stimmigen, ja selbst der klassisch starken Persönlichkeit hat offenbar inzwischen ausgespielt. ... Ähnlich das Ideal der »reifen« Persönlichkeit. Das heißt der stabilen, in sich ruhenden ..., die ihre Identität gefunden hat. Statt dessen erweist sich zunehmend der vormals »unreife«, adoleszente Typ mit seiner ständig wechselnden, experimentellen Identität als funktional für die schnell wachsenden Anforderungen der postindustriellen Gesellschaft.“

Die neuen beruflichen Anforderungen in der – wie es unverblümt heißt – „Epoche pluralistischer Guerrilla-Konkurrenz“ erfordern den „kreativen Opportunisten“. Die Folge ist, – so wird die Entwicklung schließlich begeistert zusammengefasst – dass nun die

„Wandlungsfähigkeit selbst zu einer Tugend wird, ganz unabhängig vom Inhalt, unabhängig davon, wofür man offen ist“. (GEBHARDT, E., S. 38, 11 und 12; Hervorhebungen Erich Ribolits)

Als Antwort auf diese euphorische Verabschiedung der Idee einer selbstbewussten, »reifen Persönlichkeit« bietet sich ein Spruch aus der Jugendszene an: „Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein“!

Unmündig und intelligent zugleich

Unmündigkeit und Intelligenz müssen heute verschmelzen – selbstreflexives Denken ist kontraproduktiv für die Wachstumsökonomie, gebraucht wird, wer nur das Lernen gelernt hat. Diese Tatsache wird konsequent übersehen, wenn von manchen Autoren ein persönlichkeitsbildender Aspekt der Schlüsselqualifikationen postuliert wird. Tatsächlich geht es heute nicht – wie verschiedentlich behauptet wird – um eine Renaissance der humanistischen Bildungsidee im Gleichschritt mit wirtschaftlichen Interessen, sondern um das endgültige Ausmerzen eines am unverzweckten Menschen orientierten Bildungsbegriffs durch das Verleugnen der Sinnfrage als das konstituierende Merkmal der autonomen Persönlichkeit. Auch bei der heute immer wieder vorgebrachten Mahnung, dass für das Funktionieren in der Arbeitswelt »Regelwissen und Anwendungskönnen« bald nicht mehr ausreichen werden, weil zunehmend der schlüsselqualifizierte, selbständig planende, durchführende und kontrollierende Mitarbeiter notwendig sei, wird auf etwas ganz Wesentliches vergessen: auf den strukturierenden Zweck des Ingangsetzens von Arbeitsprozessen im Rahmen Systems der Profitökonomie.

Die umfassende Selbständigkeitsforderung an den »neuen Arbeiter«, nunmehr „aus eigener Handlungsquelle, aus eigenem Ich heraus, aus seiner persönlichen Verantwortung seiner eigenen Entscheidungs- und Gestaltungskraft Prozesse in Gang zu setzen und Abläufe zu gestalten“ (BOJANOWSKI, A. / BRATER, M. / DEDERING, H., S. 108), gilt nur unter der Voraussetzung einer Unterordnung unter die Absolutsetzung der (profit-)ökonomischen Vernunft. Das Denken ist in Zwänge hinein freigesetzt! Nicht die eine autonome Persönlichkeit kennzeichnende Ausrichtung ihres Handelns an einem selbsterkannten »Sinn« gibt die Richtung vor, nach der „selbst Regeln gesetzt“ und „Anwendungen definiert“ (BOJANOWSKI, A. / BRATER, M. / DEDERING, H.) werden können, sondern die durch die Ökonomie diktierten Sachzwänge. Es geht um Produktivitätssteigerung, um Absatzmärkte, um Konkurrenz und Profit. Die persönlichkeitsdefinierende Frage nach einem übergreifenden Sinn ist längst vom übermächtigen ökonomischen Zweck verdrängt.

Die Sinnfrage ist jedoch die zentrale Fragestellung jedweder Bildung mit Mündigkeitsanspruch, rückt sie aus dem Horizont menschlichen Denkens, und ordnet sich der Mensch einem nicht mehr hinterfragten Zweck unter, geht auch die Utopie einer verantworteten Geschichte (jener begründende Traum der Moderne!) verloren. Das, was im Zusammenhang mit den neuen Arbeitsweltstrukturen unter dem Titel Persönlichkeits-»Bildung« eingefordert wird, zielt jedoch sicher nicht darauf ab, den Menschen zu befähigen, sich und die Welt, in der er lebt, zu verstehen und verantwortlich in ihr zu handeln. Indem die Handlungsaspekte der mündigen und autonomen Persönlichkeit von der Sinnfrage abgekoppelt werden, wird der Mensch zur Marionette eines zum Götzen erhobenen ökonomischen Nützlichkeitsdenkens degradiert. Die Frage nach Sinn wird – wie es in einer Aussendung des Zentralkomitees Deutscher Katholiken heißt – in die nach Nützlichkeit verkehrt. In Anlehnung an den Begriff der »Schein-Heiligkeit« könnte man davon sprechen, dass heute die »Schein-Persönlichkeit« gefordert ist. Dementsprechend wird auch im vorher schon erwähnten Managementratgeber für den »neuen« Menschen unter postmodernen Lebens- und Arbeitsbedingungen postuliert: Schein wird wichtiger als Sein. (GEBHARDT, E., S. 37)

Die den verschärften Konkurrenzbedingungen geschuldete neue Arbeitswelt verlangt nach Individuen, deren Verwendbarkeit durch ein hohes Ausmaß an Flexibilität / Mobilität charakterisiert ist. Gemeint ist damit allerdings sicher nicht eine intellektuelle Mobilität, die dafür verwendet wird, gesellschaftliche Widersprüche auf ihren begründenden Kern zu hinterfragen, nämlich darauf, dass das gesamte System der gesellschaftlich organisierten Arbeit der Profitlogik unterworfen ist und die Erzeugung von Waren sowie die Bereitstellung von Dienstleistungen nur »Abfallprodukt« im Kapitalvermehrungsprozess darstellt. Flexibel zu sein, meint unter diesen Umständen somit nicht bloß, sich verändernden Arbeitsanforderungen des Beschäftigungssystems anpassen zu können, sondern auch, sich widersprüchlichen Gegebenheiten und Rollenanforderungen des durch Arbeit definierten sozialen Systems »flexibel anzupassen«, das heißt: sie akzeptierend zu ertragen, ohne zu rebellieren.

So sollen die Arbeitenden zwar lernen, sich mit ihrer Arbeit im Sinne eines Beitrags zum Unternehmensziel zu identifizieren, aber dennoch die grundsätzliche Machtverteilung zwischen Kapital und Arbeit nicht anzweifeln; sie sollen anerkennen, dass »alle in einem Boot sitzen«, aber auch akzeptieren, dass der »technische Fortschritt“ gegebenenfalls ihre Entlassung »erforderlich« macht; sie sollen in ihrer Arbeitsausübung autonom und flexibel sein, sich aber darauf beschränken, kreative Lösungen für die Optimierung der Produktivität und somit auch für die bessere Verwertung ihrer eigenen Arbeitskraft zu finden. Zu guter Letzt sollen sie auch noch »flexibel« mit dem doppelten Widerspruch umgehen, zwar einerseits als Lohnarbeiter untereinander in objektiver Konkurrenz zu stehen, arbeitsgruppenintern jedoch neuerdings verstärkt kooperieren zu müssen, die Kollegen anderer Unternehmungen und zum Teil auch die von anderen Abteilungen als Konkurrenten beim Kampf um die bessere Bilanz wahrzunehmen, aber gleichzeitig zu wissen, dass sich ihre Gesamtsituation als gesellschaftliche Gruppe nur mit solidarischem Handeln verbessern ließe.

Ein Ziel von Bildungsprozessen ist es, Menschen zu befähigen, solche Widersprüche zu erkennen und zu lösen, nicht sie flexible Anpassung zu lehren. Bildung zielt auf das Individuum, das sein Leben selbstbewußt und mündig auf der Grundlage seiner »Identität« – also seines »Eigen-Sinns« – gestaltet und nicht auf einen »Protean Man« (Dieser Begriff wurde vom Psycho-Historiker Robert Lifton geprägt, um den durch das heutige Dauer-Bombardement mit Informationen in seiner kulturellen Selbstverständlichkeit zerstörten neuen „identitätslosen Persönlichkeitstyp“ zu beschreiben), der – so wie es der Meergott Proteus der Sage nach konnte – jede Gestalt annehmen kann, sich dabei allerdings selbst nicht mehr kennt und somit identitätslos ist. Das trotz Flexibilisierungsforderung im Schlüsselqualifikationskonzept aufrechterhaltene Postulat der Persönlichkeitsbildung kann dementsprechend nur als »ideologischer Überbau« bezeichnet werden. Zugleich verschleiert die Vorstellung, dass sich mit dem richtigen Schlüssel die politisch-ökonomische Dynamik quasi austricksen ließe und Arbeit für alle geschaffen werden könne, die Tatsache, dass über den an der ökonomischen Verwertung orientierten Qualifikationserwerb systematisch Ungleichheit produziert und verteilt wird. Der »Fetisch Schlüsselqualifikationen« suggeriert die Möglichkeit einer zukunftssicheren Qualifikation und erschwert genau dadurch das Wahrnehmen der anwachsenden Unsicherheit, von der die Arbeitswelt heute gekennzeichnet ist.


Literatur

BECK, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M. 1986

BOJANOWSKI, A. / BRATER, M. / DEDERING, H.: Qualifizierung als Persönlichkeitsbildung. Analysen und Ansätze zur Verbindung von Arbeit und Lernen in Schule und Betrieb. Frankfurt a.M. 1991

Vgl. dazu insbesondere: BREMER, R.: Was Hänschen gelernt hat, muß Hans vergessen. In: „Pädagogische Korrespondenz“, Heft 5 (1989), S. 5-17.

GEBHARDT, E.: Abschied von der Autorität. Die Manager der Postmoderne. Wiesbaden 1991.

Vgl.: GEISSLER, K. A.: Schlüsselqualifikationen – ein Schlüssel auch zum Abschließen. In: Siebert, H./Weinberg, J.(Hg.): Literatur und Forschungs-Report Weiterbildung. Münster 1988 Nr. 12.

MERTENS, D.: Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. 7 (1974)

Dieser Beitrag ist erschienen in der Zeitschrift „Psychologie heute“ im April 1996 (!)

Reaktionen Auf den Beitrag reagieren

Mimenda, 2008-01-03, Nr. 4069

sehr scharfsinnige analyse.

allein, die technik, oder heute müsste man wohl besser sagen: die technologien (die einzahl ist so winzig, wenn man sie nicht zur vielzahl erheben kann), sie fehlen noch in diesem umtriebigen "stillleben".

denn an sie bindet sich die intelligenz. zwar ist die technik selbst nicht das problem, aber der zauber, der uns suggeriert, dass wir inmitten aller verdrängten ohnmacht mächtig sind - oder besser: mächtig bleiben.

machbarkeit, hoch-alert, aber dennoch blind und stumpf: die glänzenden technologen lösen probleme, die ihre vorgänger im amt erfunden haben. und sie erfinden neue, damit auch ihre nachfolger noch etwas zu tun haben.

der mensch scheint im begriff zu sein, auf die anale und orale phase seiner eigenen kulturentwicklung zu regredieren. er spielt nur noch, ohne zu wissen, dass er es tut. die "perversion" dieser phasen ist seelischer normalstand, ihre auswirkungen allenthalben manifest. aber nach-denken und selbst-kritik ist diesen ebenso wesensfremd wie das bewusstsein individueller seelischer entwicklung.

entwicklung - ist dabei, zu einem aus der softwareprogrammierung entlehnten fremdwort zu werden. mit der individualgeschichte stirbt aber auch die der menschheit selbst und mit ihr das zarte pflänzchen humanität. die "irrationale" judenvernichtung der nazis war da, so zynisch das manchem klingen mag, nur das scheinbar wahn- und aberwitzige präludium zu einer gesellschaft, die mit ihren human resources, den menschlichen ersatzteilen, diesmal wirklich "rational" umgeht. aber verwertet wurde auch damals schon. es will mir immer mehr scheinen, als stünden wir inmitten unseres ach-so-modernen lebens in der unterirdisch-vitalen, unseligen tradition dieser zeit. aber wir dürfen hier nicht vergleichen (tabu?), ich weiß...

dennoch: wenn ich das gekreische des hitler höre, dieses an stumpfsinn und plattheit nicht zu übertreffende aufgeblasene gesabbel, frage ich mich oft, warum die leute damals nicht alle vor lachen geplatzt sind. es hat sich niemand getraut. die dummheit musste sich noch durch terror schützen. heute hat sie das nicht mehr nötig, denn sie ist inmitten alles betonten "wissens" allgegenwärtig, die menschen gleichgeschaltet, still leidend, nur wenige sind offen renitent. wo leiden aber noch verwertbar ist, solange es still ist, ist renitenz vollends unnütz (gibt es noch widerstand?). wir können (fast) alles sagen und schreiben, wir kennen kaum mehr tabus (wo ist die zensur, die uns zur zäsur werden könnte?). wo die dummheit herrscht und die intelligenz technisch und subaltern an sich bindet, hat das rückgrat und mit ihm die suche nach wahrheit ausgedient.

"flexibel" klingt da sehr gut, aber vergessen wir dabei nicht, dass eine gerte, wenn sie gebogen wird und die kraft von ihr weicht, die sie biegt, in ihren ursprünglichen zustand zurückwill. das ist aber nicht gemeint, wenn heute von flexibel die rede ist. flexibel bedeutet nurmehr verbiegbar, mal in diese, mal in jene richtung: saftloses nutzvieh, an dessen endverwertung noch nicht gedacht werden darf - noch nicht (!?).

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