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Ludwig Roman Fleischer

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2006-03-29

SCHICHTWECHSEL

Das Werk liegt weit draußen. Wer seinen Schichtdienst im Werk beendet hat, steigt ins Auto und flieht zurück in die Stadt. Er versucht das Werk und die Arbeit zu vergessen bis zur nächsten Schicht. Die Arbeit im Werk ist eine zur Regel gewordene Ausnahme. Es gibt zwei Partien, die einander nur vom Schichtwechsel kennen. Wenn die andere Partie in den Aufenthaltsraum gepoltert kommt, steht man meist schon unter der Dusche, die von der Garderobe durch eine Milchglaswand getrennt ist. Betritt man - gesäubert und in Freizeitkleidern - nochmals den Garderobebereich, dann ist die andere Partie bereits an die Arbeit gegangen, unter Tag. Die Leitung duldet keine langen Stehzeiten. Allenfalls sitzt einmal der eine oder andere Nachzügler auf der Bank im Garderobebereich, seine Schuhe schnürend oder den Overall zuknöpfend, und dann wirft man einander einen kurzen Gruß zu: Servus, hallo oder Grüßdich. Glückauf sagen sie nur im Büro. Der Direktor, der Stellvertreter und der Betriebsratsobmann sagen Glückauf, und die Sekretärin sagt es, wenn man sich vom Urlaub oder vom Krankenstand zurückmeldet, eine Lohnbestätigung oder einen Beschäftigungsnachweis braucht.
Lux kennt Mora nicht wirklich. Sollte er ihn kennen, so würde er nicht wissen, dass es Morn ist. Er würde Morn vielleicht kennen, erkennen würde er ihn nicht. Allerdings weiß er einiges von Morn. Sie benutzen den gleichen Haken im Garderobebereich: einen dreiteiligen, schmiedeeisernen Haken, unter dem - in Klebeplättchen aus Plastik gestanzt - ihre Namen stehen, in weißer Schrift Morns Namensschild ist rot, jenes von Lux blau. Manchmal lässt Morn seinen Jausenbeutel am Haken hängen: einen Plastiksack aus dem Supermarkt. Darum weiß Lux, dass Morn vergesslich ist und Leberpastete liebt. Es kann aber auch sein, dass Morn Leberpastete verabscheut. Dass in Morns Jausenbeutel jedes Mal ein Leberpastetenbrot steckt, wenn er ihn vergisst, mag bedeuten, dass Morn Leberpastetenbrote verabscheut. Lux kennt Morns Arbeitsgeruch: Eine Mischung aus Schweiß und kaltem Zigarettendunst. Diesen Geruch kennt Lux von Morns Overall, den Morn von Montag bis Donnerstag zwischen Schicht und Schicht am Haken hängen lässt. Freitags ist der Overall verschwunden. Er wird wohl übers Wochenende von Morns Frau gewaschen. Freilich: Vielleicht hat Morn gar keine Frau. Seine Freundin wäscht den Overall, seine Mutter oder Morn ihn selbst, in einem Waschsalon. Abwechselnd stellt Lux sich Morn als Ehemann und Familienvater, als Junggeselle und als Muttersöhnchen vor.

Morn interessiert sich für Fußball. Oft steckt das Kickermagazin im Jausenbeutel. Und Morn sieht sich gerne die Fotos nackter Frauen an, denn zwischen Kickermagazin und Leberpastetenbrot hat Lux auch schon öfter den Playboy gefunden. Außerdem klebt das Foto einer nackten Schönen an der Bretterwand unter dem gemeinsamen Haken. Dies deutet daraufhin, dass Morn nicht verheiratet ist, denkt Lux. Womöglich hat er auch keine Freundin. Jedenfalls ist Morn pünktlich. Lux hat - wenn er aus dem Duschraum tritt - noch nie jemanden auf der Bank unter dem gemeinsamen Haken sitzen sehen, die Schuhe schnürend oder den Overall zuknöpfend.

Viele könnten Morn sein, denkt Lux, wenn er - aus einer Art Sehnsucht heraus - mit den Figuren der anderen Partie spielt und den spärlichen gemeinsamen Szenen Geschichten entnimmt. Der zarte blonde Bursche mit dem Muttermal am Hals käme als Morn in Betracht. Lux hat ihn zwei- oder dreimal beobachtet, als der Blonde auf die Tür zum Gang zuschritt, durch den man zum Aufzug geht, der einen unter Tag bringt. Der Blonde hat zu Lux hergegrüßt, auf dessen „Servus" hin ein irgendwie öliges, langgezogenes „Grüßdich“. Er hat dabei gelächelt - ein Mundwinkelzucken eher - und sich in den Schritt gegriffen. Lux hat dieser Szene die Geschichte eines schwulen Kumpels entnommen, den die Partiegenossen niederhänseln, bis er kündigt und zum arbeitslosen Stricher verkommt. Oder Morn ist der alte Weißhaarige, zu dem der schmächtige Rothaarige „Bácsi“ sagt, und der zu ihm „Dürrer". In deren entnommener Geschichte ist der Alte vor vierzig Jahren aus Ungarn geflüchtet und erleidet bei einem gemeinsamen Puffbesuch mit dem Dürren eine Herzattacke. Oder Morn wäre der Schielende mit der Nickelbrille (ein verkrachter Student eventuell, den die Frauen nicht mögen), der Dicke mit der speckigen Ledertasche (ein Asthmatiker und ehemaliger Kleinunternehmer zum Beispiel, der mit seinem Betrieb auch die Ehefrau verloren hat), der Hinkende mit den traurigen Augen (sein Mädchen mag ihn verlassen haben), der Stiernackige mit den tätowierten Händen (den Lux als Preisboxer auftreten lässt, der eines Tages im Kampf um eine Frau erschlagen wird). Vielleicht auch ist Morn der schnurrbärtige Zuspätkommer, den der Partieführer zusammenstaucht, weil er so lange an seinen Schuhen schnürt und an seinem Overall knöpfelt, während die anderen der anderen Partie bereits im Aufzug sind, der sie unter Tag bringt. Man kümmert sich nicht um die andere Partie. Nach dem Schichtwechsel will man nichts als möglichst schnell weg vom Werk, um es für einige Stunden vergessen zu können. Auch kümmert man sich nicht um die anderen, weil die Leitung sich nicht darum kümmert, dass man sich um einander kümmert. Früher hat Lux in einem Werk gearbeitet, in dem die Leitung Fußballspiele, Kartenturniere, Betriebsausflüge und Weihnachtsfeiern veranstaltet hat. Dafür haben sie schlecht bezahlt. Hier verdient man gut, aber man kümmert sich nicht um einander. Eigentlich auch in der eigenen Partie nicht. Es lässt sich nichts zur Sprache bringen im Gespräch mit den anderen. Die Arbeit erlaubt es nicht. Brächte man etwas zur Sprache, es würde Betretenheit entstehen. Man ist im Werk, um es sich leisten zu können, nicht im Werk zu sein.

Mit der Zeit hat sich die Frau rar gemacht und hat das Dunkel eilig verstreichender Nächte rar gemacht und die Träume sind rar geworden. In den eilig verstreichenden Restnächten hat es beinah wortlose Auseinandersetzungen gegeben. Man hat nicht gelernt, miteinander ins Gespräch zu kommen. Man hat nicht gelernt, miteinander wach zu sein. So hat man miteinander auch nicht mehr recht schlafen können. Sie ist Lux fremd, fremder als Morn, den er von einem roten Namensschild und dem Inhalt vergessener Jausensäcke her kennt. Und eines Tages oder Nachts - Tag und Nacht sind schwer zu unterscheiden zwischen Schicht und Schicht - findet Lux im Jausenbeutel Morns kein Leberpastetenbrot und kein Fußballmagazin und keinen Playboy. Er findet einen in Wachspapier gewickelten Hamburger. Und in den nächsten Wochen immer wieder Hamburger in Morns Jausenbeutel. Und Lux, geübt darin, spärlichen Szenen ganze Geschichten zu entnehmen, entnimmt Morns Jausensack eine Geschichte und macht sie zu der seinen und führt sie fort aus der Schicht und in sein Leben abseits der Schicht hinein. Während einer Schicht unter Tag legt Lux das Werkzeug beiseite, steigt in den Aufzug und lässt sich hinauf ins Leben abseits der Schicht bringen, wo er seine Geschichte weiterspielt. Ungeachtet der Zurufe des Partieführers, ungeachtet der staunenden Blicke im Büro flieht Lux aus dem Werk und flieht in seinem kleinen Wagen in die große Stadt und in seine Geschichte hinein. Er hält vor dem schmutzigen Block, fährt mit dem Aufzug hinauf ins siebente Stockwerk und betritt - fast lautlos - die kleine, saubere Wohnung. Hier findet er sich - die Arbeit unter Tag gewöhnt - fast blind zurecht. Er lauscht an der Tür zum Schlafzimmer und braucht nicht zu sehen, da er alles hört, was geschieht. Was geschehen muss, weil er es längst zu einer spärlichen Szenen entnommenen Geschichte gemacht hat. Lux dringt in sein Schlafzimmer ein, dringt in seine Geschichte ein und hebt den Arm und schlägt zu, immer wieder schlägt er in die Leere hinein, bis er sich endlich von sich überzeugen lässt, dass hier nichts ist. Nichts ist hier. Niemand. Pünktlich zum Schichtwechsel ist Lux wieder im Werk. Er kratzt das rote Namensschild Morns von der Holzwand, und - nach kurzem Überlegen auch sein eigenes, blaues.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Aus Ludwig Roman Fleischer: „Basic Reality“ - Geschichten von der Gegenwart der Zukunft,
Sisypus 2002
ISBN:3-901960-16-3

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