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Engelbert Obernosterer

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2006-01-10

Mythos Lesachtal

Lässt man den Endzweck der Arbeit, den Ertrag, einmal außer Betracht, so besteht ihr Wert darüber hinaus auch darin, dass sie Ordnung in das von Desorientierung bedrohte Leben bringt. Ruheständler und Arbeitslose wissen ein Lied davon zu singen, was es heißt, seine Kräfte nicht mehr in der Sinnhaftigkeit einer Arbeit unterbringen zu können.
Von solcherlei Gefahren blieben im Lesachtal bereits die Kinder verschont. Je nach Alter und Fähigkeit wurden sie gleich in die laufenden Arbeitsprozesse eingespannt. Die vielfältigen Beschäftigungen förderten Geschicklichkeit, Ausdauer, Hausverstand und richtige Selbsteinschätzung. Werden in unseren Tagen den Sprösslingen Anstrengung, Schmutz und Kälte weitgehend erspart, so gewöhnte man sie seinerzeit früh an die rauen Gegebenheiten, was - actio est reactio - im günstigen Falle eine größere Widerstandskraft zur Folge hatte, im ungünstigen Falle freilich auch gesundheitliche Schäden. Nach einer kurzen Phase der Umsorgung hatte jeder seinen Teil zum Familienerhalt beizutragen und insgesamt von einem nehmenden zu einem gebenden Wesen zu werden. Seine eigene Armseligkeit spürte der Geber- und Helfertyp umso weniger, je mehr er sich der Angelegenheiten der anderer annahm.

Ich muss in diesem Zusammenhang an meine Taufpatin denken, eine Frau, die keinerlei Bücher brauchte, um zu einer Reife und Selbstlosigkeit zu gelangen, die mich an Mutter Theresa erinnerte - oder an jene zu Brei zersetzte alte Kartoffel, die ich einmal halb ausgehöhlt neben einer frischen jungen im Acker gefunden habe.

Beschreibt man Marschmusik einmal von der Funktion her, nämlich als Mittel zur geordneten Bewegung von Menschenmassen, so könnte man von der Arbeit sagen, dass sie zur Ordnung der Existenz diene, will heißen, das Leben der meisten Menschen verlaufe arbeitsförmig. Im Zuge der Verrichtungen kann der Arbeitende die Wirrnis der Kräfte zu einer eindimensionalen Angelegenheit ordnen, sodass mit der Erledigung der Arbeit zugleich auch sein inneres Widereinander geordnet ist. Eigentlich sollte man die gesamte Lebensmüh vom ersten Luftschnappen bis zum letzten schweren Schnaufer als Arbeit, nämlich als Maßnahme zur Erhaltung des Lebens betrachten. Alle Anspannung und Entspannung, ja, Bau und Form des im Laufe der Menschheitsgeschichte veränderten Körpers, haben sich aus der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten gebildet. Denn das Lebewesen stellt sich mit seinen Aktivitäten und Fähigkeiten auf die sich bietenden Widerstände ein, reagiert auf sie und wird im Laufe des Heranwachsens zu einem arbeitsgerechten System, das in seiner fertigen Ausprägung aus sich heraus nach ihm entsprechender Anwendung verlangt.
Über die Funktion des Broterwerbs hinaus wirkt die Arbeit auch ins Kulturelle, Moralische und Religiöse hinein. Mit anderen Worten: Es gibt kaum eine innere Angelegenheit, die nicht von den Strukturen der Arbeit, dem Zweck- und Nutzdenken vor allem, durchdrungen wäre.

Längere Zeit ihre aufs Zupacken, Schlagen, Stoßen und Ziehen hin geformte Muskulatur nicht anzuwenden, fiel manchen Männern naturgemäß schwer. Fielen wie in den Weihnachtsfeiertagen einmal mehrere Feiertage zusammen, so genügte am dritten Tag bereits das protzige Auftreten einiger Kerle aus dem Nachbardorf, dass in der Wirtsstube die Gespräche abgebrochen wurden. Eine Weile hörte die hinter der Ausschank in Deckung gegangene Kellnerin nur unbestimmbare Geräusche, dann entlud sich die Atmosphäre in einem krachend und splitternden Kleingewitter; das dumpfe, mit Flüchen vermischte Dreschen konnten Faustschläge oder Fußtritte sein, dazwischen zu hören das Ringen nach Luft, Würgen, Röcheln, Stöhnen und Klatschen.

Als der Lautpegel allmählich absank, tauchte die schöne, vorn hoch aufgewellte Frisur der Kellnerin | wieder hinter der Ausschank auf. Hüte und Hemdfetzen, Stuhlbeine, Scherben und rötliche Lachen •. bedeckten den Boden; einer rappelte sich langsam im Winkel auf, verbiss aber seinen Schmerz, ein anderer mit zerrissenem Hemd suchte nach seinem Hut, ein dritter wischte sich mit dem Unterarm das Blut aus dem Gesicht. Wer glimpflich davongekommen war, half Glasscherben und Kleinholz aufzuräumen. Den Rest regelte man einvernehmlich untereinander.

Staatliche Organe brauchte man zur Herstellung der Ordnung kaum einmal. Diese erfuhren natürlich im Nachhinein von der Sache, mischten sich aber nicht ein. Wenn einer sich trotzdem zu einer Amtshandlung hinreißen ließ, so hatte er sich's bei den Leuten verscherzt. Man redete nicht mehr mit ihm, sondern schaute weg, wenn er in die Nähe kam. Oder es konnte ihm passieren, dass er bei einer nächtlichen Patrouille von hinten eine Decke über den Kopf geschmissen bekam, niedergerissen wurde und dann ein paar Tage nicht mehr aus dem Haus gehen konnte - mit seinen blauen Flecken. Andere Staatsbeamte, die Zöllner, patrouillierten täglich von Maria Luggau aus durch das Frohntal zur italienischen Grenze. Natürlich wussten sie von den Schmugglern aus der deutschsprachigen Gemeinde Fladen, zeigten sich aber nicht allzu erpicht, den bei den Einheimischen beliebten Kleinhändlern das Handwerk zu legen. Wenn die Luft dick wurde, warnten die Einheimischen ihre Freunde durch verabredete Signale, etwa indem sie ein Leintuch auf den Söller hängten. Schließlich kannte man einander von den Wallfahrten her, die mit Ausnahme der Kriegszeiten die Pladener jeden September gute acht Gehstunden weit über das Öfner Joch nach Maria Luggau führten. Nach dem Krieg nahm man den alten Wallfahrtsbrauch wieder auf. Im Herbst 2004 zählte man an die 500 Teilnehmer.

Diejenigen, die durch Arbeit ihre eigene Existenz sicherten, die mit dem Hof verwachsenen Bauersleute, arbeiteten verständlicherweise gern. Von ihrer Perspektive aus war es schwer zu verstehen, dass andere, beispielsweise Kinder, sich oft nur widerwillig ins Joch spannen ließen. Es hieß einfach, derjenige sei faul. Über die Gründe allfälliger Lustlosigkeit nachzudenken, hatte man keine Zeit. Lust war ohnehin eine suspekte Angelegenheit, Arbeit hingegen ein Allheilmittel. Unerfüllbare Wünsd und Begierden konnte man damit niederbügeln und zugleich seine Tüchtigkeit zur Schau stellen. Es lie Müdigkeit und Rückenschmerzen vergessen, wenn am Abend die Feldarbeiter auf die abgeerntete Flächen zurückblickten und das Heu trocken unter Dach war Mit den Vorräten an Heu, Streu und Ho stieg das Selbstgefühl der Besitzer, das nicht so sehr in ihren Körpern ankerte, als in dem, wie ihr H< dastand.
Ungeachtet allfälliger Gefühlschwankungen seiner jeweiligen Erhalter schaute der graue, in den Har geduckte Hof seit Jahrhunderten über alle Köpfe hinweg in die Schrunsen der gegenüberliegende Kalkstöcke. Mit den Körpern der Seinen verfuhr er ganz nach seinen Erfordernissen. Was er nid zu seinen Diensten benötigte, schabte er von den Skeletten, die Rücken versteifte er zu brettharte Muskelgeflechten, die nur gewisse, im Gebirge notwendige Bewegungen zuließen; mit Hirn und Fußfon passte er die Seinen an die sich ergebenden Notwendigkeiten an, sodass sie in Trockenperioden mit Gra und Vieh mitlitten; die Winter spürten sie weniger auf der Haut als in den Folgen für die Wintersaat.

Wenn ein Heranwachsender dann die dummen Jahre hinter sich hatte, kongruierte sein Wesen bereit dermaßen mit den anfallenden Arbeiten, den Umwohnern und dem Gelände, dass es ihm schwer fie sich davon zu trennen. Musste er aber tatsächlich das Tal für längere Zeit verlassen, befiel ihn ei Ziehen an Körper und Seele. Von Jahr zu Jahr schöner erschien ihm der Ort seiner Prägung; je wenige er sich seit seinem Abschied verändert hatte, desto lauter rief die Heimat nach ihm, umso schmerzhafte zog sie an all seinen Fasern.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Engelbert Obernosterer: "Mythos Lesachtal", Seite 59 bis 63
kitab Verlag Klagenfurt-Wien 2005
ISBN 3-902005-49-1

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