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Wolfgang Reiter

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2005-11-25

Verdrängte Vertreibung

Kommentar über die Vertreibung der Vernunft, die Verhinderung ihrer Rückkehr und die bis heute spürbaren Folgen.

Zum Thema siehe auch unsere
Veranstaltungsdokumentation und den Text:
rDer kulturelle Exodus aus Österreich 1938

"Ich kann die Gestapo jedermann aufs beste empfehlen."
Sigmund Freud im Mai 1938

Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten: Die Trias der Freudschen Kur bestimmt nicht die Auseinandersetzung dieses Landes mit seiner Vergangenheit, mit der Zeit des Nationalsozialismus. Das "Bedenkjahr 1988" und mehr noch die Person Kurt Waldheims erzwangen schließlich die überfällige Konfrontation mit den eigenen Anteilen an dem verdrängten Leben der Jahre 1938 bis 1945. Verleugnet wurde die (Mit-)Täterschaft, akzeptiert wurde die Rolle des (Mit-) Opfers. Die Vertriebenen und Ermordeten jener Zeit sollten aus der Dyade Täter-Opfer möglichst ausgeklammert bleiben, da sie das einfache Schema aufbrechen. Man wollte in seinem Nicht-Erinnern unter sich bleiben.

Dieses Nicht-Erinnern war auch kein eingedenkendes Vergessen. Die Parole "Niemals vergessen" war vielmehr das Komplement des Nicht-Erinnerns. Der feierliche Ton des "Niemals vergessen", des "Nicht-Erinnerns" war notwendig, um die Freudsche Kur erst gar nicht als individuelle und politisch-kollektive Dimension in der Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Nationalsozialismus ernst nehmen zu müssen. Und es gab ja freilich auch sogenannte gute Gründe aus der Schublade der praktischen Politik. Zwei Beispiele: Die "Arisierung" von Wohnungen und Häusern war eines der großen Wohnraumbeschaffungsprogramme für die Bevölkerung. Die Vertreibung von jüdischen Wissenschaftlern war auch ein Postenbeschaffungsprogramm für Akademiker, das zugleich die lästige Konkurrenz vom akademischen Boden entfernte.

Die für das intellektuelle Leben in Österreich so verheerenden Auswirkungen der Emigration - vor allem des, bezogen auf die Wissenschaften, quantitativ so hohen jüdischen Anteils an ihr - seien am Beispiel jenes Instituts aufgezeigt, an dem ich studierte und arbeitete: dem Institut für Radiumforschung. Von allen in der Zeit seit der Gründung dieses Instituts im Jahre 1910 bis 1938 in den Mitteilungen aus dem Institut für Radiumforschung insgesamt publizierenden Autoren wurden 10 Prozent nach dem März 1938 aus ihren Positionen vertrieben; von diesen vertriebenen Wissenschaftlern wurden in der genannten Zeit 50 Prozent aller wissenschaftlichen Arbeiten verfaßt. Am Institut arbeiteten und publizierten in dieser Zeit bis 1938 drei Nobelpreisträger: Erwin Schrödinger, Victor F. Hess und Georg von Hesesy. Alle drei emigrierten. Deutlicher läßt sich wohl an einem kurzen Beispiel der gewaltige quantitative und vor allem auch qualitative Aderlaß an der wissenschaftlichen Produktivität Österreichs kaum illustrieren. Die Folgen sind bis heute spürbar geblieben. Und sie werden spürbar bleiben.

An keiner Ecke und an keinem Ende ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, seinen Folgen und dem Umgang mit ihnen abgeschlossen. Stillgelegt geglaubte Geschichte und Geschichten brechen wie schlecht verheilte Geschwüre immer wieder auf. Raub-Kunst und Raub-Gold heißen die jüngsten Eisberge, die aus der eingefrorenen Zeit des Nationalsozialismus gekalbt sind und nun auf den Wassern des Vergessens herumtreiben und die die Kapitäne auf den Kommandobrücken über die Möglichkeiten schmerzhafter Kollisionen in Unruhe versetzen. Selbst der so behäbigen Universität Wien schwimmt in Form des Pernkopf-Atlasses plötzlich ein Eisberglein in die Quere und kann noch mit einer schnell in Auftrag gegebenen historischen Studie daran gehindert werden, die verletzliche Außenhaut der Alma mater Rudolphina zu schrammen, während drinnen in der Aula der steinerne Siegfriedskopf ruhig schlummert.

Warum sollte man sich an all das damals in den "Wiederaufbaujahren" nach 1945 und bis heute erinnern? Wenn auch so mancher akademische Arisierungsprofiteur oder NS-Professor den Beginn des Kalten Krieges noch im Schmollwinkel abwarten mußte, ehe er in eine akademische Position zurückkehren konnte: Die Kontinuitäten der Jahre vor 1945 und nach 1945 waren signifikanter als die Brüche. Das Wort "Umbruch" für den Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus und die Befreiung Österreichs bezeichnet im österreichischen Innenverhältnis treffend jenen Tatbestand, den dieser Begriff aus der Sprache der Drucker unterlegt: den Abklatsch einer Matrize auf eine Folie.

Warum also sollte man sich erinnern, wiederholen, durcharbeiten, saß man doch in arisierten Wohnungen, auf solche Art freigewordenen akademischen Positionen, die die Vertriebenen entweder nicht mehr einnehmen konnten, da sie ermordet worden waren oder auch deshalb, weil sie zur Rückkehr aus dem Exil nie aufgefordert worden waren. Und hatte man (die Funktionäre der Universitäten) nicht schon lange vor dem Jahr 1938 versucht, Vorsorge zu treffen, daß nicht allzu viele Juden auf Lehrstühle gelangten? Privatdozent: ja; a.o. Prof.: ja, vielleicht. Aber: O.Ö. Prof. - Ordinarius: nur, wenn’s ganz unvermeidlich war. Und meist war’s vermeidlich! An all das sollte man sich nun erinnern, es wiederholen und durcharbeiten? Wer gab denn diesen Rat? A.o. Prof. Sigmund Freud! Ein Emigrant. Na, also.


Aus heureka: 2/98
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Dr. Wolfgang L. Reiter ist Physiker und arbeitet am Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr. Außerdem ist er Lektor am Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung der Universität Wien.

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