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Ludwig Roman Fleischer

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2004-11-12

Weihnachten im Entzug - Teil V

Kapitel 17

Bisher erschienen:
Weihnachten im Entzug - Teil I
Weihnachten im Entzug - Teil II
Weihnachten im Entzug - Teil III
Weihnachten im Entzug - Teil IV

Immanuel Ngobe überrascht Pater Henk de Boeur damit, von ihm überrascht zu werden: unmittelbar nach Ausübung einer Tätigkeit, die Proust als schlechte Gewohnheit bezeichnet hat. Der schnuckelige Afrikaner – Kleidung und Unterbekleidung neben sich auf Pater Henks Sitz-Schlafbank – wischt mit einem Kleenextüchlein an sich herum, dem Pater ein durchaus unverlegen wirkendes Lächeln widmend. Eine ganz natürliche Sache, scheint das Lächeln zu sagen, man – Immanuel, heimatloser Schutzbefohlener der Trinitarier, vielleicht sechzehn Jahre alt und von gesunder Konstitution – hat sich ins Zimmer des einem zugeteilten Seelsorgers begeben, um seinem natürlichen Bedürfnis nach Homöostase ribut zu zollen. Wohin sonst hätte er gehen sollen? Der Schlafsaal ist um diese Tageszeit versperrt, der Kinderspielraum voller spielender Kinder.

„Immanuel, du hier?“

Der schnuckelige Afrikaner deutet ein Kopfnicken an. Mit einem katzenhaften Sinn für Bewegungsökonomie kleidet er sich an. Das zerknüllte Kleenexfetzchen wirft er in den Papierkorb unter Pater Henks Schreibtisch. Die Fäuste in die Hüften gestemmt, beobachtet der Seelsorger seinen Schutzbefohlenen, der eine muntere Melodie anpfeift. Hätte Immanuel reagiert wie ein Europäer – sein Getanhaben zu vertuschen suchend – Henk hätte sich in Apperzeptions-Verweigerung üben und so tun können, als sei das Geschehene nicht vorgefallen. Angesichts der Ngobe’schen Ungeniertheit muß die Sache irgendwie besprochen werden. Nicht unbedingt in eigenen Worten. Pater Henk hat zu der vorgefallenen Sache eine eher unseelsorgerische Einstellung, sie verursacht ihm keine Sorge um die Seele Immanuels. Freilich, der Ort und die Zeit des Geschehens... vielleicht versuchen, die Sache in eine weitere biblische Belehrung des schnuckeligen Afrikaner zu kleiden.

Da war also dieser junge Mann und gemäß jüdischer Üblichkeiten sollte er seine Schwägerin heiraten, weil deren Gatte gestorben und sie somit zum Versorgungsfall geworden war. Der junge Mann aber konnte seine Schwägerin nicht ausstehen und lieber als zu heiraten legte er Hand an....

„Wie hat er das gemacht?“ erkundigt sich Immanuel.

Pater Henk begreift nicht sofort, vermutet eine weitere kapitale Unverschämtheit des schnuckeligen Afrikaners.

„Immanuel, du wirst doch nicht behaupten...ich meine: allen Ernstes...“

Der schwarze Jüngling hebt beschwörend die Hände. Wieder einmal zeigt sich - neben einer zunehmenden Bibelfestigkeit – sein bemerkenswertes Sprachtalent:

„Aber er trug doch das Zeichen des Bundes an sich.“

Pater Henk kaschiert sein Erröten durch einen vorgetäuschten Hustenanfall.

„Das gehjt auch trotzdem wunderbar,“ lautet seine angestrengt-lässige Antwort, „ein bisschen anders ejben.“ Weiter im Bibeltext. Es war Sünde. Der heiratsunwillige Schwager wurde von Gott getötet.

„Wegen diejse trifiale Kleinigkeit?“

Parodiert Immanuel jetzt den niederländischen Akzent Pater de Boeurs, den dieser einfach nicht loszuwerden vermag? (Dabei tönt die Sprache der Dichter und Denker in Pater Henks stummem Bewusstsein so korrekt und akzentfrei, in deutschen Träumen, deutschem Moralisieren und Resignieren, selbst in jenem sprachnahen, schlampigen inneren Monolog, der das Erleben zu begleiten pflegt!)

„Der Heer hätte diese Sache verziejhen, wenn sie nicht augerechnet bei diese Gedlejgenheeit, unter diese Voraussetzung begangen worden wäre, als Vers-touß gejgen das Gesetz des Bundes zwischen Gott und dem auserwähjlten Vodlk. Sou, und jetzt Swamm drüjber.“

Pater Henk stärkt sich mit einer hinter der Psychopathologie des Alltags hervorgeholten Portion Bols Genever. „Und da sind wi gleijch wiejde beim Adlten Bund: de Gott des Adlten Bundes und...wo waren wir sdejhengebliejben suletzt?“

„Beim Ausziehen aus Ägypten,“ assistiert Immanuel, „bei Moses und dem Ausziehen."

Pater Henk, von Temperaments wegen nicht eben ein Blitzeschleuderer, lässt die Donnerworte des Alten Testaments ergrollen, kindgerecht, wie er denkt, oder eigentlich eher Immanuel-gerecht, befeuert vom Kampf um eine junge Seele und vom Genever. Moses gleitet in seinem pechbestrichenen Verkehrsmittel Nil-abwärts (Immanuel verweist auf die Krokodilsgefahr), wächst im Wortumdrehen zum ägyptischen Exildissidenten heran und sammelt – erleuchtet vom eifersüchtigen Gott und dessen geflügelten Sendboten – sein Volk zum Exodus aus dem Land der Unterdrücker, das auch Nigeria oder Zaire heißt könnte, und beginnt dieses sein Volk, dessen größter Sohn er ist, in Richtung jenes Gelobten Landes zu führen, das man sich genausogut als eine Art Österreich oder Holland vorstellen darf. Das Rote Meer halbiert sich, die Israeliten durchziehen es (wobei Immanuel Sumpfprobleme zu bedenken gibt, die Pater Henk mit der Bereitschaft des Herrn, neben großen auch kleine Wunder zu wirken, hinwegargumentiert). Danach ertrinken Tausende Ägypter, an denen das göttliche Wunder nicht gewirkt wird (was der schnuckelige Afrikaner ungerecht findet), und Moses erhält nach Dornbuschbrand und wundervoller Wasser- und Mannalabung am Berge Sinai seine beiden Steintafeln ausgehändigt, deren von göttlicher Hand gravierte Gesetzestexte „bis zum heutigen Tag die Fragen nach Gut und Böjse für adlle Zeijt und adlle Vödlker beantworten“, schließt Pater Henk mit Nachdruck. Immanuel legt einen Zeigefinger an seine vollen Lippen , was sein Seelsorger als Zeichen intensiven Nachdenkens zu interpretieren gelernt hat, wobei derlei Nachdenken üblicherweise zu unbeantwortbaren Fragen führt.

Pater Henk versucht das Ngobe`sche Nachdenken zu bremsen, indem er den Text der globalisierten Tontafelsatzungen zitiert. Du sollst nicht dies, du sollst nicht das. Zielbewußt steuert der Pater auf das Sechste Gebot zu, das ihm heute besonders am Herzen liegt, aber Immanuel unterbricht ihn schon beim fünften. „Du sollst nicht töten, „ sagt er, mit einer Art Kussbewegung gegen seinen über die Lippen gelegten Zeigefinger anredend, „das ist ein göttliches Gebot. Das allerwichtigste wahrscheinlich.“ „Jaja,“ bestätigt Pater Henk ungeduldig, da ihn heute und bei dieser Gelegenheit das fünfte Gebot durchaus nebensächlich dünkt, „jaja, und das sechste Gebout: Du sodllst nicht...“

„Moment,“ sinniert Immanuel, gegen seinen Zeigefinger anbusselnd, „Moment mal! Hält Gott sich immer an seine eigenen Gebote?“

Pater Henk ahnt die Falle, die der Afrikaner ihm zu stellen sich anschickt, ahnt aber nicht die Tiefe der Fallgrube.

„Der Herr des Alten Bundes hat Abraham befohlen, seine Sohn Ischak zu opfern

„Ja, aber...“

„...und er hat diesen Typ erschlagen, der seine Schwägerin nicht heiraten wollte.“

„Was meinst du, Immanuel?“

„Und der Gott des Alten Bundes hat Sodom und Gomorrha ausgerottet?“

„Was hat das jetzt mit den Zehjn Gebouten zu tun?“

„Und er hat die Ägypter im Meer ersoffen?“

„Ersäuft.“

Immanuel nimmt den Zeigefinger von den Lippen. Er lächelt in elfenbeinerner Brillianz.

„Aber er hat doch auf die Tafeln geschrieben: Du sollst nicht töten?“

„Ja,“ seufzt Pater Henk, nun doch die Tiefe der Fallgrube ermessend, „jajaja.“

Er erheb sich, tritt an sein Bücherregal heran, Genever-wärts.

„Gott hält sich also an die eigenen Gebote nicht,“ verkündet Immanuel, „das ist Heuchelkeit.“

„Heuchelei,“ verbessert Pater Henk.

„Heuchelei,“ bekräftigt der Schüler, „er widerspricht sich also doch.“

Seltsames geht mit Pater Henk vor. Er, der nunmehr fast sechzigjährige Routinier in christlichen Heilsfragen, hat von einem afrikanischen Grünschnabel, einem Missionsfall par excellence, etwas Neues erfahren, etwas für ihn völlig Neues in Glaubensdingen, das ihm – wie alles Neue – so erscheint, als hät6te er es immer schon wissen können, ahnen müssen. Er möchte Immanuel gleichermaßen ohrfeigen und umarmen, dieses wahre Gotteskind, das Unzulänglichkeit jeglicher menschlichen Gottesvorstellung durchschaut und gerade deshalb alle Chancen hat, von der menschlichen Unzulänglichkeit erlöst zu werden. Und Pater Henk fühlt, er wird diesem genial naiven und unbestechlichen Kind aus dem afrikanischen Busch, der Wiege aller Menschlichkeit, fürderhin ausgeliefert sein, von ihm abhängig sein hinsichtlich der eigenen Glaubensfähigkeit. Nur wenn Immanuel, der Geringste und gleichzeitig Bedeutendste unter seinen Brüdern, glauben kann, wird auch Pater Henk glauben können: an einen Gott, der – menschlich betrachtet – absurd ist. Pater Henk schenkt zwei Gläser voll. Eines drückt er Immanuel in die erdbraune Hand, währen seine eigene, bleiche Linke über das Wollgekraus auf Immanuels unschuldigem Kindskopf streicht.

Ludwig Roman Fleischer: „Weihnachten im Entzug“, SISYPUS, 2004, 14.- €
ISBN: 3-901960-25-2

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