2006-02-13
Manifest gegen die Arbeit (15)
Verfasst von der Gruppe krisis (1999)
Inhalt
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Die Herrschaft der toten Arbeit
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Die neoliberale Apartheidsgesellschaft
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Die neo-sozialstaatliche Apartheid
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Zuspitzung und Dementi der Arbeitsreligion
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Arbeit ist ein gesellschaftliches Zwangsprinzip
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Arbeit und Kapital sind die beiden Seiten derselben Medaille
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Arbeit ist patriarchale Herrschaft
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Arbeit ist die Tätigkeit der Unmündigen
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Die blutige Durchsetzungsgeschichte der Arbeit
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Die Arbeiterbewegung war eine Bewegung für die Arbeit
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Die Krise der Arbeit
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Das Ende der Politik
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Die kasinokapitalistische Simulation der Arbeitsgesellschaft
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Arbeit läßt sich nicht umdefinieren
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Die Krise des Interessenkampfes
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Die Aufhebung der Arbeit
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Ein Programm der Abschaffungen gegen die Liebhaber der Arbeit
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Der Kampf gegen die Arbeit ist antipolitisch
Neben den materiellen können einfache, personenbezogene Dienste auch den immateriellen Wohlstand erhöhen. So kann das Wohlbefinden der Kunden steigen, wenn ihnen Dienstleister belastende Eigenarbeit abnehmen. Zugleich steigt das Wohlbefinden der Dienstleister, wenn sich ihr Selbstwertgefügl durch die Tätigkeit erhöht. Einen einfachen, personenbezogenen Dienst auszuüben ist für die Psyche besser als arbeitslos zu sein.
(Bericht der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997)
Halte Dich fest an die Kenntnis, die sich beim Arbeiten bewährt, denn die Natur selbst bestätigt diese und sagt Ja dazu. Eigentlich hast Du gar keine andere Kenntnis, als die, welche Du durch das Arbeiten erworben, das übrige ist alles nur eine Hypothese des Wissens.
(Thomas Carlyle, Arbeiten und nicht verzweifeln, 1843)
15. Die Krise des Interessenkampfes
So sehr die fundamentale Krise der Arbeit auch verdrängt und tabuisiert wird, sie prägt dennoch alle aktuellen sozialen Konflikte. Der Übergang von einer Gesellschaft der Massenintegration zu einer Selektions- und Apartheids-Ordnung hat nicht etwa zu einer neuen Runde des alten Klassenkampfs zwischen Kapital und Arbeit geführt, sondern zu einer kategorialen Krise des systemimmanenten Interessenkampfes selbst. Schon in der Epoche der Prosperität nach dem Zweiten Weltkrieg war die alte Emphase des Klassenkampfes verblaßt. Aber nicht etwa deswegen, weil das "an sich" revolutionäre Subjekt durch manipulative Machenschaften und Bestechung mit fragwürdigem Wohlstand "integriert" worden wäre, sondern weil sich umgekehrt auf dem fordistischen Entwicklungsstand die logische Identität von Kapital und Arbeit als soziale Funktions-Kategorien einer gemeinsamen gesellschaftlichen Fetischform herausschälte. Der systemimmanente Wunsch, die Ware Arbeitskraft zu möglichst guten Konditionen zu verkaufen, verlor jedes transzendierende Moment.
Ging es dabei bis in die 70er Jahre hinein immerhin noch darum, eine Beteiligung möglichst breiter Schichten der Bevölkerung an den giftigen arbeitsgesellschaftlichen Früchten zu erstreiten, so ist selbst dieser Impuls unter den neuen Krisenbedingungen der 3. industriellen Revolution erloschen. Nur solange die Arbeitsgesellschaft expandierte, war es möglich, den Interessenkampf ihrer sozialen Funktions-Kategorien im großen Maßstab zu führen. In demselben Maße jedoch, wie die gemeinsame Basis verfällt, können die systemimmanenten Interessen nicht mehr auf gesamtgesellschaftlichem Niveau zusammengefaßt werden. Eine allgemeine Entsolidarisierung setzt ein. Die Lohnarbeiter desertieren aus den Gewerkschaften, die Managerinnen aus den Unternehmensverbänden. Jeder für sich und der kapitalistische System-Gott gegen alle: Die vielbeschworene Individualisierung ist nichts als ein weiteres Krisensymptom der Arbeitsgesellschaft.
Soweit überhaupt noch Interessen aggregiert werden können, geschieht dies nur im mikro-ökonomischen Maßstab. Denn in demselben Maße, wie es sich als Hohn auf die soziale Befreiung geradezu zum Privileg entwickelt hat, das eigene Leben betriebswirtschaftlich verwursten zu lassen, degeneriert die Interessenvertretung der Ware Arbeitskraft zur knallharten Lobby-Politik immer kleinerer sozialer Segmente. Wer die Logik der Arbeit akzeptiert, muß jetzt auch die Logik der Apartheid akzeptieren. Es geht nur noch darum, der eigenen eng umrissenen Klientel auf Kosten aller anderen die Verkäuflichkeit ihrer Haut zu sichern. Belegschaften und Betriebsräte finden ihren wahren Gegner längst nicht mehr im Management ihres Unternehmens, sondern in den Lohnabhängigen konkurrierender Betriebe und "Standorte", egal ob in der nächsten Ortschaft oder im Fernen Osten. Und wenn sich die Frage stellt, wer beim nächsten Schub betriebswirtschaftlicher Rationalisierung über die Klinge springen muß, werden auch die Nachbarabteilung und der unmittelbare Kollege zum Feind.
Die radikale Entsolidarisierung betrifft keineswegs nur die betriebliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzung. Da gerade in der Krise der Arbeitsgesellschaft alle Funktionskategorien umso fanatischer auf deren inhärenter Logik beharren, daß jedes menschliche Wohlergehen bloßes Abfallprodukt rentabler Verwertung sein kann, beherrscht das Sankt-Florians-Prinzip alle Interessenkonflikte. Sämtliche Lobbys kennen die Spielregeln und handeln danach. Jede Mark, die eine andere Klientel erhält, ist für die eigene verloren. Jeder Einschnitt am anderen Ende des sozialen Netzes erhöht die Chance, selber noch eine Galgenfrist herauszuschinden. Der Rentner wird zum natürlichen Gegner aller Beitragszahler, der Kranke zum Feind aller Versicherten und der Immigrant zum Haßobjekt aller wildgewordenen Inländer.
Irreversibel erschöpft sich so das Unterfangen, den systemimmanenten Interessenkampf als Hebel sozialer Emanzipation einsetzen zu wollen. Damit ist die klassische Linke am Ende. Eine Wiedergeburt radikaler Kapitalismuskritik setzt den kategorialen Bruch mit der Arbeit voraus. Erst wenn ein neues Ziel der sozialen Emanzipation jenseits der Arbeit und ihrer abgeleiteten Fetisch-Kategorien (Wert, Ware, Geld, Staat, Rechtsform, Nation, Demokratie usw.) gesetzt wird, ist eine Re-Solidarisierung auf hohem Niveau und im gesamtgesellschaftlichen Maßstab möglich. Und erst in dieser Perspektive können auch systemimmanente Abwehrkämpfe gegen die Logik der Lobbysierung und Individualisierung re-aggregiert werden; jetzt allerdings nicht mehr im positiven, sondern im negatorischen strategischen Bezug auf die herrschenden Kategorien.
Bis jetzt drückt sich die Linke vor dem kategorialen Bruch mit der Arbeitsgesellschaft. Sie verharmlost die Systemzwänge zur bloßen Ideologie und die Logik der Krise zum bloßen politischen Projekt der "Herrschenden". An die Stelle des kategorialen Bruchs tritt die sozialdemokratische und keynesianische Nostalgie. Nicht eine neue konkrete Allgemeinheit sozialer Formierung jenseits von abstrakter Arbeit und Geldform wird angestrebt, sondern die Linke versucht die alte abstrakte Allgemeinheit des systemimmanenten Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche bleiben selber abstrakt und können keine soziale Massenbewegung mehr integrieren, weil sie sich an den realen Krisenverhältnissen vorbeimogeln.
Das gilt besonders für die Forderung nach einem garantierten Existenzgeld oder Mindesteinkommen. Statt konkrete soziale Abwehrkämpfe gegen bestimmte Maßnahmen des Apartheid-Regimes mit einem allgemeinen Programm gegen die Arbeit zu verbinden, will diese Forderung eine falsche Allgemeinheit der sozialen Kritik herstellen, die in jeder Hinsicht abstrakt, systemimmanent und hilflos bleibt. Die soziale Krisenkonkurrenz kann damit nicht überwunden werden. Ignorant wird das ewige Weiterfunktionieren der globalen Arbeitsgesellschaft vorausgesetzt, denn woher sonst sollte das Geld kommen, um dieses staatlich garantierte Grundeinkommen zu finanzieren, wenn nicht aus gelingenden Verwertungsprozessen? Wer auf eine solche "Sozialdividende" baut (schon der Name spricht Bände), muß gleichzeitig klammheimlich auf eine privilegierte Position des "eigenen" Landes in der globalen Konkurrenz setzen. Denn nur der Sieg im Weltkrieg der Märkte würde es vorübergehend erlauben, einige Millionen kapitalistisch "überflüssiger" Mitesser zuhause durchzufüttern - unter Ausschluß aller Menschen ohne inländischen Paß, versteht sich.
Die Reform-Heimwerker der Existenzgeldforderung ignorieren die kapitalistische Verfaßtheit der Geldform in jeder Hinsicht. Letztlich geht es ihnen nur darum, vom kapitalistischen Arbeits- und Warenkonsum-Subjekt das letztere zu retten. Statt die kapitalistische Lebensweise überhaupt in Frage zu stellen, soll die Welt trotz Krise der Arbeit weiterhin unter Lawinen stinkender Blechhaufen, häßlicher Betonklötze und minderwertigen Warenschrotts begraben werden, damit den Menschen die einzige klägliche Freiheit erhalten bleibt, die sie sich noch vorstellen können: die Wahlfreiheit vor den Regalen des Supermarkts.
Aber selbst diese traurige und beschränkte Perspektive ist völlig illusionär. Ihre linken Protagonisten und theoretischen Analphabeten haben vergessen, daß der kapitalistische Warenkonsum niemals schlicht der Befriedigung von Bedürfnissen dient, sondern immer nur eine Funktion der Verwertungsbewegung sein kann. Wenn die Arbeitskraft nicht mehr zu verkaufen ist, gelten selbst elementare Bedürfnisse als unverschämte luxurierende Ansprüche, die auf ein Minimum herabgedrückt werden müssen. Und genau dafür wird das Existenzgeld-Programm ein Vehikel sein, nämlich als Instrument staatlicher Kostenreduktion und als Elendsversion der Sozialtransfers, die an die Stelle der kollabierenden Sozialversicherungen tritt. In diesem Sinne hat der Vordenker des Neoliberalismus, Milton Friedman, das Konzept des Grundeinkommens ursprünglich entworfen, bevor eine abgerüstete Linke es als vermeintlichen Rettungsanker entdeckte. Und mit diesem Inhalt wird es auch Wirklichkeit werden - oder gar nicht.