2006-02-13
Manifest gegen die Arbeit (4)
Verfasst von der Gruppe krisis (1999)
Inhalt
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Die Herrschaft der toten Arbeit
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Die neoliberale Apartheidsgesellschaft
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Die neo-sozialstaatliche Apartheid
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Zuspitzung und Dementi der Arbeitsreligion
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Arbeit ist ein gesellschaftliches Zwangsprinzip
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Arbeit und Kapital sind die beiden Seiten derselben Medaille
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Arbeit ist patriarchale Herrschaft
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Arbeit ist die Tätigkeit der Unmündigen
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Die blutige Durchsetzungsgeschichte der Arbeit
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Die Arbeiterbewegung war eine Bewegung für die Arbeit
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Die Krise der Arbeit
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Das Ende der Politik
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Die kasinokapitalistische Simulation der Arbeitsgesellschaft
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Arbeit läßt sich nicht umdefinieren
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Die Krise des Interessenkampfes
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Die Aufhebung der Arbeit
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Ein Programm der Abschaffungen gegen die Liebhaber der Arbeit
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Der Kampf gegen die Arbeit ist antipolitisch
Jeder Job ist besser als keiner.
(Bill Clinton, 1998)
Kein Job ist so hart wie keiner.
(Motto einer Plakatausstellung der Bundekoordinierungsstelle der Erwerbsloseninitiativen in Deutschland, 1998)
Bürgerarbeit soll belohnt werden, nicht entlohnt. [...] Aber wer in Bürgerarbeit tätig ist, verliert auch den Makel der Arbeitslosigkeit und des Sozialhilfeempfängers.
(Ulrich Beck, Die Seele der Demokratie, 1997)
4. Zuspitzung und Dementi der Arbeitsreligion
Der neue Arbeitsfanatismus, mit dem diese Gesellschaft auf den Tod ihres Götzen reagiert, ist die logische Fortsetzung und Endstufe einer langen Geschichte. Seit den Tagen der Reformation haben alle tragenden Kräfte der westlichen Modernisierung die Heiligkeit der Arbeit gepredigt. Vor allem in den letzten 150 Jahren waren sämtliche Gesellschaftstheorien und politischen Strömungen von der Idee der Arbeit geradezu besessen. Sozialisten und Konservative, Demokraten und Faschisten haben sich bis aufs Messer bekämpft, aber trotz aller Todfeindschaft immer gemeinsam dem Arbeitsgötzen geopfert. "Die Müßiggänger schiebt beiseite" hieß es im Text der internationalen Arbeiterhymne - und "Arbeit macht frei" echote es schauerlich über dem Tor von Auschwitz. Die pluralistischen Nachkriegs-Demokratien schworen erst recht auf die immerwährende Diktatur der Arbeit. Selbst die Verfassung des stockkatholischen Bayern belehrt die Bürger ganz im Sinne der von Luther ausgehenden Tradition: "Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes und steht unter dem besonderen Schutz des Staates." Am Ende des 20. Jahrhunderts haben sich alle ideologischen Gegensätze nahezu verflüchtigt. Übrig geblieben ist das gnadenlose gemeinsame Dogma, die Arbeit sei die natürliche Bestimmung des Menschen.
Heute dementiert die arbeitsgesellschaftliche Wirklichkeit selber dieses Dogma. Die Priester der Arbeitsreligion haben immer gepredigt, der Mensch sei seiner angeblichen Natur nach ein "animal laborans". Er werde überhaupt erst zum Menschen, indem er wie einst Prometheus den Naturstoff seinem Willen unterwerfe und sich in seinen Produkten verwirkliche. Dieser Mythos des Welteroberers und des Demiurgen, der seine Berufung habe, war zwar schon immer ein Hohn auf den Charakter des modernen Arbeitsprozesses, aber er mochte im Zeitalter der Erfinderkapitalisten vom Schlage Siemens oder Edison und ihrer Facharbeiterbelegschaften noch ein reales Substrat besessen haben. Mittlerweile aber ist dieser Gestus vollends absurd geworden.
Wer heute noch nach Inhalt, Sinn und Zweck seiner Arbeit fragt, wird verrückt - oder zum Störfaktor für das selbstzweckhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Maschine. Der einstmals arbeitsstolze homo faber, der das, was er tat, auf seine bornierte Art noch ernst nahm, ist so altmodisch wie eine mechanische Schreibmaschine geworden. Die Mühle hat um jeden Preis zu laufen, und damit basta. Für die Sinnerfindung sind die Werbeabteilung und ganze Heerscharen von Animateuren und Betriebspsychologinnen, Imageberatern und Drogendealerinnen zuständig. Wo dauernd von Motivation und Kreativität geplappert wird, ist garantiert nichts mehr davon übrig - es sei denn als Selbstbetrug. Deshalb zählen die Fähigkeiten zu Autosuggestion, Selbstdarstellung und Kompetenz-Simulation heute zu den wichtigsten Tugenden von Managern und Facharbeiterinnen, Medienstars und Buchhaltern, Lehrerinnen und Parkplatzwächtern.
Auch die Behauptung, die Arbeit sei eine ewige Notwendigkeit und den Menschen von der Natur aufgeherrscht, hat sich an der Krise der Arbeitsgesellschaft gründlich blamiert. Seit Jahrhunderten wird gepredigt, dem Arbeitsgötzen sei allein schon deshalb zu huldigen, weil Bedürfnisse nun einmal nicht ohne schweißtreibendes menschliches Zutun von selbst befriedigt werden. Und der Zweck der ganzen Arbeits-Veranstaltung sei ja wohl die Bedürfnisbefriedigung. Träfe das zu, eine Kritik der Arbeit wäre so sinnvoll wie eine Kritik der Schwerkraft. Aber wie sollte denn ein wirkliches "Naturgesetz" in die Krise geraten oder gar verschwinden? Die Wortführer des gesellschaftlichen Arbeits-Lagers, von der leistungswahnsinnigen neoliberalen Kaviarfresserin bis zum gewerkschaftlichen Bierbauchträger, geraten mit ihrer Pseudo-Natur der Arbeit in Argumentationsnot. Oder wie wollen sie es erklären, daß heute drei Viertel der Menschheit nur deshalb in Not und Elend versinken, weil das arbeitsgesellschaftliche System ihre Arbeit gar nicht mehr brauchen kann?
Nicht mehr der alttestamentarische Fluch "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" lastet auf den Herausgefallenen, sondern ein neues, erst recht unerbittliches Verdammungsurteil: "Du sollst nicht essen, denn dein Schweiß ist überflüssig und unverkäuflich". Und das soll ein Naturgesetz sein? Es ist nichts anderes als ein irrationales gesellschaftliches Prinzip, das als Naturzwang erscheint, weil es über Jahrhunderte hinweg alle anderen Formen sozialer Beziehung zerstört oder sie unterworfen und sich selbst absolut gesetzt hat. Es ist das "Naturgesetz" einer Gesellschaft, die sich für überaus "rational" hält, die aber in Wahrheit nur der Zweckrationalität ihres Arbeitsgötzen folgt, dessen "Sachzwängen" sie auch noch den letzten Rest ihrer Humanität zu opfern bereit ist.