![]() | Independent Carinthian Art & Cult | |
Fri Mar 21 2025 09:05:46 CET |
|
2011-03-27 Der Umgang mit unserem Saatgut geht uns alle an! Impressionen vom Saatguterhalter/innentreffen . Ich betreibe seit 30 Jahren einen, für sog. „moderne“ Verhältnisse, relativ großen Gemüsegarten, da mir Gartenarbeit Freude macht, aber v.a. auch, weil für mich der Anbau gesunder, möglichst pestizidfreier Lebensmittel sowie die Gesunderhaltung des Bodens und unserer Erde oberste Priorität hat.
Im Laufe der Jahre (auch durch das frühere Mithelfen am elterlichen Bauernhof) habe ich mir also ein bisschen praktisches Wissen diesbezüglich angeeignet. Einen ganz anderen Blick und einen – man kann fast sagen – völlig neuen Zugang zum Anbau von Gemüse, Getreide, Obst, ja - unseren (Über)LEBENSgrundlagen schlechthin - bewirkte bei mir aber die Veranstaltung mit Heike Schiebek am 24. 1. 2011 zum Thema Dort wurde mir so richtig bewusst, in welch großer Abhängigkeit von Saatgutunternehmen unsere (fast) gesamte Lebensmittelgrundlage im industrialisierten Norden inzwischen ist und WIE bedroht die Vielfalt des Saatgutes und der Kulturpflanzen weltweit ist. Vorläufig wird jedoch das Saatgut im Süden noch großteils von traditionell anbauenden Bäuer/innen und Gärtner/innen (weltweit gesehen sind’s noch drei Viertel !!) kultiviert, weitergezüchtet, an die örtlichen Gegebenheiten angepasst, erhalten, untereinander ausgetauscht und das Wissen darüber an die nächsten Generationen weitergegeben – so wie das jahrtausendelang und bis vor ca. 50 Jahren, also menschheitsgeschichtlich betrachtet, bis vor ganz kurzer Zeit(!), auch bei uns üblich war. Aufgrund dieser Erkenntnis, dass nicht nur ich als Hobby-Gärtnerin, sondern auch Bauern und Bäuerinnen ohne die Einkaufsmöglichkeit von Saatgut (oder auch Jungpflanzen) bei Raiffeisen oder in diversen Bau- und Pflanzenmärkten inzwischen aufgeschmissen sind, beschloss ich, am Saatgut-Erhalter/innentreffen von „Arche Noah“ (siehe Kasten) teilzunehmen, um mir wenigstens ein klein wenig von dem umfassenden und bei uns (fast) verloren gegangenen Wissen über Saatgut und dessen Handhabung aneignen zu können. Am 12. 3. 2011 fuhr ich daher mit dem Zug nach Emmersdorf im Gailtal und ging 5 km zu Fuß einen wunderschönen Waldweg entlang nach Tratten, Nähe St. Stefan. Besonders nachdenklich war ich an diesem Morgen aufgrund des schweren Erdbebens in Japan am Tag davor und der Meldungen über Störfälle in mehreren Atomkraftwerken (die man „selbstverständlich voll im Griff“ habe) und ob der ökologischen Sackgasse, in der wir uns mit unserem, auf unbegrenztem Wachstum und maßloser Ressourcen- und Energieverschwendung beruhendem Wirtschaftsmodell befinden. Der mehr als fragwürdige Status quo….. ... ist mir an dem Tag dann so richtig bewusst geworden. Im gemütlichen, schön renovierten Dorfgasthaus Sternig hatten sich auf Einladung von Biobäuerin, DI Christiane Halder, an die 30 Interessierte eingefunden, um am „Arche Noah“-Erhaltertreffen teilzunehmen. Am Vormittag wurden wir von DI Bernd Kajtna und Dr. Michael Suanjak über die Tätigkeitsbereiche und die Anliegen der, vor 20 Jahren gegründeten „Gesellschaft zur Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt“ informiert sowie über „Saatgutgesetzgebung und bäuerliche Rechte“, und am Nachmittag wurden persönliche Erfahrungsberichte ausgetauscht. Es herrschte eine sehr angenehme, kooperative und freundliche Atmosphäre. Hr. Kajtna bedauerte in seinen Ausführungen, dass mit den Bauernhöfen auch die vielen verschiedenen Sorten und damit das Wissen darüber verschwindet. Menschen und Kulturpflanzen hätten seit Jahrtausenden eine Einheit gebildet und die Landwirtschaft sei die kulturelle und schöpferische Leistung schlechthin. So haben z.B. Menschen im Gebiet des heutigen Mexico vor ca. 6000 Jahren (!) begonnen, die Gräserart „Teosinte“ zur Pflanzenart Mais zu kultivieren und ganz ohne Labor und klassische Wissenschaft wurde sie im Laufe der Jahrtausende im wechselseitigen Prozess von Mensch und Natur weiterentwickelt, infolge Wanderschaft in unterschiedlichsten Gegenden angebaut und zu tausenden, lokal angepassten Sorten weitergezüchtet. Heute sind jedoch bei uns 99% des Mais “Hybridsorten“, die ihre Gene NICHT mehr an die nachfolgenden Generationen weitervererben können wie es die sog. „samenfesten“ alten Landsorten tun. Sät man Samen der samenfesten Sorten aus, wachsen Pflanzen mit denselben Eigenschaften wie sie die Mutterpflanze hat (vorausgesetzt die Blüten werden von derselben Sorte befruchtet - sonst entstehen Kreuzungen, was zufällig geschehen kann oder im Fall von Züchtungen bewusst herbeigeführt wird). Hybrid- bzw. F1-Sorten, die in besonders aufwändigen Verfahren erst seit ca. 80 Jahren gezüchtet werden, verlieren hingegen in den Nachfolgegenerationen die Ähnlichkeit, was heißt, dass sie - quasi – „unfruchtbar“ sind und in der 2. und weiteren Generation schlecht keimen und (fast) keinen Ertrag mehr bringen. In der 1. Filialgeneration (daher: F1-Sorten) bringen sie aber (unter der Voraussetzung entsprechenden Düngemittel- und Pestizideinsatzes) höhere und gleichmäßigere Erträge. Dass sie nicht „nachgebaut“ werden können, hat jedoch fatale Folgen: Es bedeutet, dass jedes Jahr neues Saatgut von kommerziellen Saatgutfirmen gekauft werden muss und sich Bauern, Bäuerinnen und Gärtner/innen in totaler – nicht nur finanzieller - Abhängigkeit von diesen befinden. Zudem werden natürlich die nachbaufähigen, lokal angepassten Sorten systematisch vom Markt verdrängt und die Pflanzenvielfalt verschwindet in atemberaubendem Tempo. Laut „Grazer Erklärung“ kontrollieren inzwischen 10 Konzerne bereits 67% (!) des weltweiten Saatgutmarktes und damit nicht genug, fordern diese jetzt immer massiver auch eine Ausweitung ihrer geistigen Eigentumsrechte, sogar bis hin zu Patenten auf – von tausenden (!) Generationen vor uns kultivierten – Pflanzen und Tiere, um ihren Profit noch weiter zu vergrößern und um innerhalb der Firmenkonkurrenz nicht vom Markt verdrängt zu werden. So werden Zug um Zug neue Märkte erschlossen und die Industrie-Sorten werden der ganzen Welt mit meist mehr als weniger fragwürdigen Methoden untergejubelt bzw. aufgezwungen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind gemäß dem 1996 herausgegebenen 1. Weltzustandsbericht der FAO, der Food Agriculture Organisation, 75% (!) der Vielfalt verschwunden. 30 PflanzenARTEN (da wiederum v.a. Reis, Weizen und Mais) von den insges. 7000 Arten decken inzwischen 90% des Kalorienverbrauchs weltweit. Von den 10.000 WeizenSORTEN (die Gattung Weizen umfasst 26 Kulturarten), die z.B. 1949 allein in China noch angebaut wurden, sind nur noch 10% in Kultur und von den 2000 Maissorten, die 1930 weltweit genutzt wurden, sind heute nur noch ca. 400, also 20%, in Anbau. Weg aus dieser Sackgasse Gemäß der Schlussfolgerung des IAASTD(Weltagrar-Rat)-Berichtes brauche es, um die Weltbevölkerung auch in Zukunft zu ernähren (bzw. besser und gesünder zu ernähren – meine Anm.), vielfältige, regionale, bäuerliche und pflanzerische Strukturen mit ihren lokal angepassten, nachbaufähigen Sorten sowie das Recht, Saatgut aus eigener Ernte zu gewinnen, nachzubauen, weiterzugeben, zu tauschen oder zu verkaufen. Es gilt, gerade auch vor dem Hintergrund des Klimawandels und anderer ökologischer Katastrophen sowie der Begrenztheit von Rohstoffen, sich (wieder) bewusst zu machen, dass die Vielfalt der Sorten und Nutzpflanzen eine der wichtigsten Lebensgrundlagen für uns und v.a. zukünftige Generationen darstellt. Wir können und müssen verhindern, dass die Saatgutindustrie mithilfe von Industrie-Sorten, Einführung von Nachbaugebühren, Verboten bäuerlicher Sorten, Gentechnik und Patenten die – letztendlich – TOTALE Kontrolle und Vereinnahmung über unser Saatgut, also unsere Nahrung und damit unsere Existenz, ausübt. Nehmen wir Einfluss darauf, dass der genetische, kulinarische und kulturelle Schatz erhalten bleibt und sich lebendig weiterentwickeln kann. Er ist die Grundlage für die Ernährungssouveränität der Gemeinschaften. Welche Lebendigkeit in dieser Auffassung steckt, war besonders bei den Teilnehmer/innen (Hermine Wiegele, Hr. Kurbes, Christiane Halder, Gregoria Götzer und Erich Gerenser) zu spüren, die uns am Nachmittag von ihren praktischen Erfahrungen mit der Erhaltung und Vermehrung von „samenfestem“ Saatgut, wie z.B. weißem Mais, Kürbissamen, verschiedenen Bohnen, Kopf- und Vogerlsalat und einer seltenen und vitaminreichen Köstlichkeit, den „Erdmandeln“, berichteten. Besonders berührend erzählte Hermine Wiegele, wie sie vor 27 Jahren einige Samenkörner eines 10 Jahre alten staub- und rußgeschwärzten Maiskolbens aus dem Banat ausgesät hat, und sie und ihre Familie seither im Gailtal ungebrochen und mit dem Stolz, unabhängig von Saatgutfirmen zu sein, diesen weißen Mais anbauen und in ihrer Mühle weiterverarbeiten. Die Gründerin des „Nötscher Polentafestes“ brachte uns sogar eine Kostprobe ihrer köstlichen Polenta-Rarität mit. Und Gregoria Götzer, die vor 4 Jahren das 1. Erhaltertreffen mit „Arche Noah“ in Kärnten organisiert hat, bebaut einen großen Gemüsegarten für ihre Familie und sieht ihre Tätigkeit des Saatguterhaltens und -verbreitens nicht bloß als Hobby, sondern als einen Auftrag ans Leben und überdies als aktiven Widerstand gegen die Konsumgesellschaft. Christiane Halder, die Saatgut-Vermehrerin für ihren Biogemüsehof sowie für „Reinsaat“ ist, machte u.a. darauf aufmerksam, dass die KULTURpflanzen auf die Pflege und Kultivierung durch uns Menschen unbedingt angewiesen sind, was leider manchmal aus falsch verstandener „Naturliebe“ in Abrede gestellt oder verabsäumt werde. Ausblick: Dieses Treffen motivierte dazu, sich die Vielfalt des Saatgutes sowie das Wissen darüber zu erhalten oder wieder anzueignen, es untereinander auszutauschen, weiterzuentwickeln, praktisch auszuprobieren und sich von Fehlversuchen nicht entmutigen zu lassen. Statt als frustriertes „belieferungsbedürftiges Mängelwesen“ zu „funktionieren“ und sich von Staat und Markt einschüchtern zu lassen, geht’s darum, das Leben in seiner Fülle – nicht nur sprichwörtlich – selber in die Hand zu nehmen und sich die Ernährungssouveränität in Kooperation mit Mitmensch und Natur zurückzuerobern! . Weitere Informationen / Hintergründe / Kampagne
.
Danke Reini, für Deine Eindrücke vom Saatguterhalter/innen-Treffen, die Du ausführlich und anschaulich geschildert hast.
Hallo aus der Steiermark!
reini, die web seite und dein beitrag beeindruckt mich. viel hoffnung durchs "aufmucken" auf mehr als auf eine nische hab ich allerdings nicht. schon 1979 hat peter krieg in seiner doku SEPTEMBERWEIZEN gezeigt wo die reise in bezug auf saatgut und weltbeherrschung hingeht. der zug zur sorteneinfalt und zum erhöhten risiko fährt nach "plan". dennoch ist die mühe die regionale vielfalt zu erhalten nicht wirkungslos. Reinhard Paulesich - Gemeinderat der Grünen in Laxenburg |
|