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2009-03-03 Kongress Solidarische Ökonomien in Wien Ein Prozess entfaltet sich in seiner Dynamik . Zum Thema Solidarökonomie November 2006: Der erste Kongress zur Solidarischen Ökonomie im → deutschsprachigen Raum findet statt. Ort: Berlin. In mehr als 100 Workshops gab es Diskussionen, Vernetzung und Information. Das Programm umfasste jedoch nicht nur Workshops herkömmlicher Manier, sondern bot auch Theater, Filme und Performance. Auf zentrale Podien wurde bewusst verzichtet. Den Anfang des Kongresses machte stattdessen ein Gruppen-Interview mit jenen, die den Kongress aus der Taufe gehoben haben. Danach folgte eine Bewegungs-Session. Am Ende stand ein zweiter Anfang: Vernetzungsideen boten sich zum Mitmachen an. Der TÜWI – ein selbstverwaltetes Studierendenbeisl auf BOKU-Boden, das bis dato so manchen Angriffen wacker standgehalten hat - versorgte uns mit schmackhaftem Essen. Die Räumlichkeiten der Workshops waren aufgrund des großen Andrangs des öfteren zu eng. In diesem Sinn ein gutes Zeichen – in drei der vier Arbeitsgruppen, die ich selbst besuchte, zählte ich rund 40 Leute. Ähnliches galt auch für viele der Workshops, die mir andere schilderten. Die Stimmung war durchwegs gut. Wir organisierten einen → Workshop zur Kartierung und Vernetzung Solidarischer Ökonomie in Brasilien und Nordhessen. Jonas Bertucci brachte uns die Methode und die wichtigsten Ergebnisse der Kartierung Solidarischer Ökonomie in Brasilien nahe; nachzulesen hier als → Power Point-Präsentation, hier als → Artikel (in Englisch). Alexandra Stenzel gab Einblicke in die Kartierung der → Solidarischen Ökonomie in Nordhessen. Schließlich machte Ana Dubeux einen kraftvollen Input zur Frage, wie Solidarische Ökonomie zu fördern ist. Ana ist seit rund 10 Jahren in der Inkubation Solidarischer Ökonomie tätig. Mir wurde durch den Workshop deutlicher als bisher, dass die Solidarische Ökonomie auch in ihrem brasilianischen „Mutterland” keinen leichten Stand hat. Zwar wurde bis dato mehr als die Hälfte der Landesfläche durch das Staatssekretariat für Solidarische Ökonomie kartiert, wobei mehr als 21.000 Zusammenhänge erfasst werden konnten. Auch gibt es mehr als → 70 Inkubatoren, also Förderzentren für die Solidarische Ökonomie an brasilianischen Universitäten. Doch betonte Ana, dass die Inkubatoren Widerstandszentren innerhalb zumeist ganz anders ausgerichteter Universitäten darstellen. Dementsprechend arbeitete Ana zu Anfang in einem ehemaligen Stall, weil die Universität keinen akzeptablen Raum zur Verfügung stellen wollte. Längst ist der Stall umgebaut worden. Suboptimale Bedingungen bestehen freilich immer noch. Der Andrang der Studierenden ist dennoch groß. Oder gerade deshalb. „Sie wollen einfach etwas Neues hören, die alten Wege interessieren sie nicht. Die Studierenden wollen Teil einer neuen Welt sein”, erklärte Ana. Das will etwas heißen, kann der inzwischen zweijährige Ausbildungskurs in Solidarischer Ökonomie doch offiziell nicht angerechnet werden. Die Inkubation hebt die Spaltung zwischen akademischen Wissen und Alltagswissen auf. Sie generiert ein „drittes Wissen”, wie Ana es nannte. Eine allgemeine Methode der Inkubation gibt es nicht, sagte sie. Jede Problematik hat ihren eigenen Charakter. Immer geht es um praktische, gesellschaftliche Probleme in lokalen Kontext. Die Inkubator/innen suchen bewusst Gruppen, mit denen gemeinsam sie Lösungen für ihre je spezifischen Probleme entwickeln wollen. Das geschieht, indem zuerst die Gruppenstruktur untersucht wird. Inkubation ist nur mit solchen Gruppen sinnvoll, die auch tatsächlich eine Gruppe bilden, meinte Ana. Im Verlauf der Inkubation lernen die Forscher/innen genauso wie die Gruppe. Das Endergebnis ist kein „akademisches Wissen”, sondern praktisch wirksames Resultat eines kollektiven Prozesses. Um die verschiedenen Problemlagen bearbeiten zu können, so betonte Ana, ist es auch notwendig, die disziplinäre Trennung akademischer Forschung aufzuheben. In den Inkubationszentren sind deshalb alle Studierenden gleich welcher Studienrichtung willkommen. Es geht um nichts weniger als die „Wiederverzauberung der Universität”, wie Ana Dubeux es formulierte. Nicht nur die Inkubatoren, auch das Staatssekretariat ist Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Jonas Bertucci berichtet im Gespräch davon, dass dem Sekretariat, das Paul Singer leitet, seit einiger Zeit der Abwicklung von Projekten vermehrt Hindernisse in den Weg gelegt werden. Vor allem die Kooperation mit NGOs, die für das Sekretariat sehr wichtig ist, wird zunehmend erschwert. Dazu kommt, dass die finanzielle Ausstattung vergleichsweise gering ausfällt. Mir fällt Poulantzas ein: das Staatssekretariat ist der Niederschlag von Volkskämpfen im Staat, Ausdruck einer Volksbewegung der Solidarischen Ökonomie, die in den 1990er Jahren in Brasilien aufkam. Als ein solcher „Brückenkopf” der sozialen Bewegung steht das Sekretariat, das dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium zugeordnet ist, verständlicherweise in ständigen Auseinandersetzungen mit den Interessen der Beharrung. Von Jonas war auch zu lernen, dass die Solidarische Ökonomie selbst weniger ein Konzept ist als ein lebendiger Diskurs, der die Realität der sozialen Bewegung widerzuspiegeln sucht. Die Kartierung schreibt zwar eine bestimmte Definition notgedrungen für eine Zeitlang fest, doch wurde diese unter Beteiligung der Bewegungsaktiven entwickelt, die selbst in der Kartierung mitarbeiten. Grundsätzlich ist das Konzept offen und soll die Bewegungsrealität widerspiegeln und die Vernetzung solidarökonomischer Zusammenhänge unterstützen. Dabei wird nicht der Anspruch vertreten, die Gesamtheit Solidarischer Ökonomie darzustellen, sondern ein pragmatischer Weg gesucht, die Vernetzung solcher Zusammenhänge zu fördern und ihre Existenz sichtbar zu machen um die Breitenwirkung der Bewegung zu stärken. Alexandra schilderte, ähnlich wie Ana, wie die Kartierung Solidarischer Ökonomie das übliche Paradigma von Forschung überwindet. Erstens wird sie gezielt in Hinblick auf die Vernetzung und Stärkung der Solidarischen Ökonomie durchgeführt. Zweitens steht sie im Kontext der Inkubation, für die in Nordhessen bereits erste Schritte gesetzt worden sind. Die Kartierung selbst ist ein Prozess aktivierender Forschung, wobei sich verschiedene AkteurInnen als Teil eines potenziellen Kooperationszusammenhangs erfahren können. In einem Workshop zur Ernährungssouveränität wurde debattiert, ob dieses Konzept für anti-kapitalistische Kämpfe taugt und wie es sich mit Solidarischer Ökonomie in Verbindung setzen lässt. Der interessante Workshop, den Franziskus Forster in Kooperation mit Karin Okonkwo-Klampfer von → Via Campesina organisiert hatte, machte für mich vor allem einige offene Fragen deutlich: was heißt Souveränität im Zusammenhang mit Ernährung; wie ist Kleinbäuerlichkeit als ein positiver Bezugspunkt einzuschätzen; wie steht es um die Verbindung Solidarischer Ökonomie und Ernährungssouveränität? Im Anschluss besuchte ich einen ebenso angenehmen wie anregenden Workshop des Kollektivs Wieserhoisl, das einen Bauernhof in der Südsteiermark bewohnt und dort gemeinsame Selbstversorgung soweit wie möglich für sich verwirklicht. Wieserhoisl lädt zur Mitarbeit ein. Das Kollektiv organisiert auch kulturelle Aktivitäten, so etwa ein großes Jonglierfest im Sommer. Den Entwicklungsprozess der Gruppe, die seit rund einem Jahr in der aktuellen Besetzung besteht, schildern die Mitglieder als ebenso spannend wie gewunden. Das beginnt beim langwierigen Erlernen handwerklicher Fähigkeiten, umfasst den Alltag in der kapitalistischen Welt, der nicht nur bei der Einrichtung eines Bankkontos mit mehreren Zeichnungsberechtigten mühsam wird, und zeigt sich natürlich auch dann, wenn es darum geht, eine gemeinsame Kasse zu verwalten. Damit die selbstproduzierte Marmelade nicht von Haus aus „weniger Wert” ist als der in das Kollektiv eingebrachte Lohn einer x-beliebigen Tätigkeit betont man die Notwendigkeit, Einkommen in einen Topf zu geben und nicht gegeneinander aufzurechnen. Jede und jeder kann sich aus der Kasse nach den jeweiligen Bedürfnissen nehmen, alle zahlen darin je nach Fähigkeiten ein. Dass solche, der kapitalistischen Sozialisation konträre Praxen für alle Beteiligten ihre Schwierigkeiten bergen, verhehlen die WieserhoislerInnen (6 Frauen, 2 Männer) nicht. Sonntags berichteten Markus Auinger und Astrid Hafner von den Diskussionen zur Solidarischen Ökonomie, die im Rahmen des Gesellschaftspolitischen Diskussionsforums (GEDIFO), das AK und ÖGB unterstützen, geführt werden. Der Workshop zeigte vor allem die konkreten Schwierigkeiten auf, die sich emanzipatorischen Betriebsrät/innen in den Weg stellen, wenn es darum geht, Antworten auf die Krise zu formulieren, die über einzelbetriebliche Krisenmilderung hinausgehen. Ermutigend ist jedenfalls der Umstand, dass die Solidarische Ökonomie auf die Agenda einer gewerkschaftsnahen Gruppe gelangt ist. Bleibt zu hoffen, dass man sich im innergewerkschaftlichen Diskurs tatsächlich verankern kann und an Radikalität gewinnt. Auch in Österreich wird nämlich die Frage aufs Tapet kommen, wie mit insolventen Betrieben umzugehen ist. Sofern Betriebe aufgrund ihrer Produkte bzw. mangelnder Konversionsfähigkeit nicht grundsätzlich stillzulegen sind, wäre dafür zu kämpfen, sie in die Selbstverwaltung der Belegschaft zu überführen. Nur so ist der Aufbau einer ökonomischen Gegenmacht zum „kapitalistischen Sektor” denkbar, ohne sich auf „Nischenprojekte” – ungeachtet deren spezifischer, für den Entwicklungsprozess der solidarökonomischen Bewegung wichtiger Qualitäten – zu beschränken. Eine tragfähige Perspektive ergibt sich aus einzelbetrieblicher Selbstverwaltung dann, wenn die zwischenbetriebliche Konkurrenz im gleichen Schritt abgebaut und durch egalitäre Gremien der bewussten Steuerung von Energie- und Stoffflüssen ersetzt wird. Der Kongress geht weiter. . Übernommen aus Social Innovation Network, der Seite gegen Wirtschaftswachstum!. Erstveröffentlichung: 24.2.2009. Es gilt CopyLEFT: Die Verbreitung dieses Textes ist erwünscht unter der Bedingung, dass die Quelle genannt wird und dem Autorein Belegexemplar / ein Link zugesandt wird! .
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