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2007-03-08 Christian Ortner hat schon recht Die Welt soll eine Scheibe sein
Worum's hier geht:
kärnöl-Links zum Thema: Schon im Beitrag Industrie macht Schule habe ich auf den Kommentar "Ist Export ein Wirtschaftsdelikt?" von Christian Ortner auf Seite 4 der Dezember 2006/Jänner 2007 Ausgabe der iv-positionen (Mitgliederzeitschrift der Industriellenvereinigung) hingewiesen. Dieser strotzt derart von menschenverachtendem Zynismus, dass es mir erlaubt sei, noch einmal gesondert darauf einzugehen. "Die Sozialisten in allen Parteien, denen Hayek dieses Buch gewidmet hat, müssen wieder einmal überzeugt oder niedergerungen werden, wenn sie und wir freie Menschen bleiben sollen.", schrieb Milton Friedman 1971 in seinem Vorwort zur zweiten Auflage von Friedrich A. Hayeks "Der Weg zur Knechtschaft". Was sich der Wirtschafts-Nobelpreisträger von 1976 unter "überzeugen" und "niederringen" vorstellte, verdeutlichte er mit seinen "Chikago Boys" spätestens ab 1975 in den Ministerien des chilenischen Terrorregimes von Augusto Pinochet. Dort nämlich gaben Friedman und seine Marktschreier bis ins letzte Detail vor, wie ein FREIER Markt auszusehen hat. Für das Gelingen ihres ökonomischen Experiments am lebenden Menschen sorgten damals Tausende (vor allem sozialistische) Chileninnen und Chilenen mit ihrem Tod in den Folterkellern des widerlichen Generals. Der Markt in Chile war in der Tat frei - frei von Sozialisten. Milton Friedmans Ton war aber geradezu nobel verklärt als er den Sozialisten 1971 andeutete, wie FREIER Markt spätestens 1975 in Chile aussehen sollte. Um wie vieles derber und klarer sind da schon die Worte von Christian Ortner, die er im Namen des FREIEN Marktes über die österreichichen Lehrerinnen und Lehrer verliert. Basierend auf dem Ergebnis (irgend)einer Umfrage unter 339 Lehrerinnen und Lehrern zum Thema Globalisierung doziert er in der Dezember/Jänner-Ausgabe der iv-positionen: "Wenn diese Umfrage auch nur halbwegs stimmt (was leider zu befürchten ist), dann haben wir mit unseren Lehrern wirklich ein Problem. Denn was sie zu diesem zentralen wirtschaftspolitischen Zukunftsthema von sich geben, ist ungefähr so fundiert, als wären nur 6% der Ansicht, dass die Erde um die Sonne kreist, während ein Drittel meinte, sie sei in Wahrheit eine Scheibe. Jemanden, der so denkt, auf unschuldige kleine Kinder loszulassen, ist in hohem Maße fahrlässig. (Wobei der Schaden des astronomischen Irrglaubens noch gering ist im Vergleich zu jenem, den das wirtschaftspolitische Irresein des Lehrkörpers anrichtet.)" Das lässt an Deutlichkeit aber gar nichts mehr vermissen. Es ist wieder soweit. Wieder einmal sollen Menschen im Namen des FREIEN Marktes nicht überzeugt sondern niedergerungen werden. Denn wo die (Markt)FREIHEIT ihren Hobel ansetzt, da fallen schon einmal ein paar Menschenspäne ab. Dass Kommunisten, Sozialisten, links-linke Intellektuelle und wie all die bösen Buben sonst noch heissen mögen, den bornierten liberalen Marktschreiern nicht zu Gesicht stehen, ist bekannt und uns gute Gewohnheit. Dass aber plötzlich auch DIE Lehrer in ihr Visier geraten, möge letzteren ein lautes Warnsignal sein. Es ist kein schweres Erdbeben, sondern entspricht eher einer grundlegenden Verschiebung in der ideologischen Tiefentektonik dieses Landes, wenn da plötzlich einer kommen kann und im Namen des FREIEN, globalisierten Marktes den gesetzlich geregelten Bildungsauftrag einer ganzen Bevölkerungsgruppe als FAHRLÄSSIGKEIT der (Volks?)Gemeinschaft diffamiert und ihr selbst wirtschaftspolitisches IRRESEIN unterstellt. Da muss dann (wie der Artikel durchgängig zeigt) überhaupt nichts mehr argumentiert werden, wenn man mit - oder besser gesagt - über Irre spricht. Mit solchen Menschen wird nicht diskutiert. Mit solchen Menschen wird verfahren. Solche Menschen sind "wirklich ein Problem". Und wo freies Unternehmertum herrscht, dort werden Probleme bekanntlich gelöst. Diese Konstruktion eines ANDEREN, eines IRREN, ist eines der wesentlichen Grundmuster faschistischer Identitätskonstruktion. Wer nicht glaubt, was WIR ihm sagen, wer also etwa den absurden Nonsens glaubt, "... dass die Industrieländer des Nordens durch die Globalisierung reicher, die Entwicklungsländer hingegen ärmer würden;", der wird dem Hohn und dem Spott der tüchtigen Mehrheit ausgeliefert und ist für wirtschaftspolitisch IRRE erklärt. Wer nicht glaubt, was WIR ihm sagen, glaubt, " sie [die Erde] sei in Wahrheit eine Scheibe." Christian Ortner hat seinen Goebbels gut gelesen. Sprach man selbst in liberalen Kreisen bis vor kurzem noch von der Globalisierung als Chance und erlaubte man sich da und dort sogar noch das Nachdenken über etwaige Risken dieser Globalisierung, so soll heute bereits als IRRE gelten, wer das neoliberale Globalisierungsbrevier nicht bis zum letzten i-Punkt mitbetet. Warum nur habe ich Angst vor einem solchen FREIEN Markt, zu dem man nicht eingeladen wird, sondern dessen struktureller Herrschaft sich alles und jeder bedingungslos und ohne Hinterfragung unterzuordnen hat? Andernfalls er als wirtschaftspolitisch IRRER ein Problem darstellt, das dann wohl irgendwie gelöst werden muss. Könnte es sein, dass solche Problemlösungen dann aussehen wie damals in Chile? Demokratisch jedenfalls geht da nix mehr, wie Christian Ortner die Rute schon richtig ins Fenster stellt: "Merkwürdigerweise ist Politik traditionell so gut wie völlig außer Stande, fundamentale Dysfunktionen wie diese zu reparieren. Dafür fühlt sich keiner zuständig." Zwar ist die Welt (noch) keine Scheibe. Aber sie soll zu einer werden. Zu einer 1,5mm dicken Bimetallscheibe. Zur Münze. Zur baren Münze soll die Welt werden. Koste es, was es wolle. Das ist es, was die Lehrer den Kindern sagen sollen in der Schule. Da hat er schon recht, der Christian Ortner.
Walther Schütz, 2007-03-08, Nr. 3470 Danke, Stephan. Ich habe schon mit ein paar Menschen über den Artikel von Christian Ortner gesprochen - und allen geht es zunächst gleich: Empörung und Schock!
Stephan Jank, 2007-03-09, Nr. 3472 Wer glauben sollte, dass mein Chile-Vergleich mit der aktuellen ökonomischen Globalisierung nichts zu tun hätte, und daher ein wenig zu weit hergeholt sei, dem sei ein Blick auf einen bemerkenswert aufschlussreichen Artikel empfohlen, der im amerikanischen COUTERPUNCH-Newsletter anlässlich des Todes von Milton Friedman im November vorigen Jahres erschienen ist.
Hans Haider, 2007-03-09, Nr. 3473 Was wir ebenfalls wissen sollten:
Mimenda, 2007-03-14, Nr. 3475 http://www.extradienst.at/jaos/page/main_archiv_content.tmpl?ausgabe_id=85&article_id=15782
REDAKTION, 2007-03-15, Nr. 3476 Unser CMS erlaubt keine Links mit mehr als 80 Zeichen in den Reaktionen. Daher hier die Vervollständigung des Links am Beginn der Reaktion 3475:
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