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2007-02-26 Denn sie dürfen nicht, was sie sollen! Selten hat man das Glück, innerhalb weniger Tage zwei hochkarätige Bildungsveranstaltungen erleben zu dürfen. Zwei? Ja, zwei, denn neben der am Montag, den 26.2. stattfindenden mit Konrad Liessmann feierten am Samstag in Wien die "Schulhefte" ihren 30-jährigen Geburtstag. MARKT - MACHT - BILDUNG war der Titel der Tagung. Und da ging es, wie es sich gehört, hoch her: Gleich zwei Größen reflektierten kritisch zum bürgerlichen Bildungsgesülze: Marianne Gronemeyer und Erich Ribolits. Zum Geburtstagskind: Die „Schulhefte" erscheinen 4 mal im Jahr und sind im Gegensatz zu dem, was ihr Name suggeriert, keine Hefte, sondern Taschenbücher. Ziel der durchwegs ehrenamtlich tätigen Herausgeber/innen und der Autor/innen ist es, Emanzipation in den Bildungsbetrieb zu bringen. Und das ist es auch, was das Jubiläum zu so einem besonderen Ereignis macht: Emanzipation als Herausgeberprogramm ist in Zeiten der Verbetriebswirtschaftlichung praktisch jeden Lebensbereiches natürlich außerhalb des Mainstreams. Inhaltlich erfolgte von Seiten der Schulhefte-Redaktion in den 80er Jahren die Öffnung zu den sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen. Seit einigen Jahren werden von Seiten der pädagogischen Fachzeitschrift insbesondere die Zusammenhänge zwischen Ökonomie und Pädagogik beleuchtet. Doch mehr dazu unter www.schulheft.at.
Denn sie dürfen nicht, was sie sollen NEU : Der Beitrag ist nun auch in einer Langfassung verfügbar! Siehe: Marianne Gronemeyer, „Denn sie dürfen nicht, was sie sollen!". 40 Jahre pädagogische Konjunkturen rund um die Begriffe Verzeihen, Ebenbürtigkeit, Bedürfnisse, Qualifikationen, Widersprüche, Konkurrenz und Nischen mehr ... Für die deutsche Pädagogin und Philosophin Marianne Gronemeyer, die unter dem Titel „Denn sie dürfen nicht, was sie sollen" zur Verwahrlosung des Bildungswesens sprach, gibt es zwei höchst widersprüchliche Auffassungen über die Schule: Für die einen ist sie DAS Instrument zur Verbesserung der Chancengleichheit und die Pädagog/innen sehen sich darin gerne als Vermehrer der Bildung. Für die anderen ist ganz im Gegenteil die Schule ein Instrument zur Schaffung von Ungleichheit. Und: Die Lehrer/innen seien strukturell Sachwalter von Bildungsverknappung. Dass eine solche negative Einschätzung des Schulwesens näher an der Realität ist als die Erstere, demonstriert Gronemeyer mit einem Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die Lehrer/innen in einen Generalstreik treten würden. Und sie täten dies nicht wegen Gehaltsforderungen, sondern um die Aufgabe der Benotung los zu werden. Drakonische Strafandrohungen von Seiten der Behörden und ein Aufschrei der Empörung bei den Eltern wäre die Folge. Nicht einmal Schüler/innen würden für sie eintreten! Das beweist, dass alle Mitspieler/innen begriffen haben, dass Bildung zweit- und drittrangiger Zweck ist. Der Hauptzweck ist das Einfädeln der Heranwachsenden in Ränge. Warum ist das so? In der angeblich egalitären Demokratie wäre den Gesellschaftsmitgliedern schwer verständlich, dass die einen im Dunkeln und die anderen im Licht sind. Daher muss denen im Dunkeln klar gemacht werden, dass sie das verdient haben. Es gehört daher zum Wesen der Schule, dass Bildung nicht für alle reicht: Nicht auszudenken, wenn 80 % mit Abitur aus der Schule rauskämen, wie sollte man ihnen da erklären, dass sie nicht alle Karrieren als Bankchefs etc. machen könnten. Und z.T. ist ja heute das Problem, dass sich das Schulsystem in diese Richtung entwickelt hat. Pisa beweist nun, dass doch mangelnde Qualifikation dafür verantwortlich ist, dass nicht alle für einen Direktorenposten geeignet sind. Marianne Gronemeyer benennt eine Unzahl von Widersprüchlichkeiten, an denen sich die grundsätzliche Problematik des Schulwesens zeigt:
Heute wird Schule gerne als Vorbereitung für das Leben (das noch dazu seinerseits auf die Erwerbsarbeit reduziert wird) gesehen. Dies übersieht, dass sie aber selbst bereits der Ernstfall ist. Die Schule ist ein Anschlag auf das Leben, sie ähnelt der Vertreibung des Kindes aus dem Garten Eden. Aber nicht nur das Leben müsse man in der Schule lernen, auch das Lernen müsse man in ihr lernen. Welche Absurdität: Die Menschen sind lernende Wesen, ohne diese Fähigkeit hätten sie keine Chance. Das einzige Wunder ist die Lernverweigerung, womöglich hat diese aber mit Schule zu tun. Man fragt sich tief erschrocken, warum junge Menschen bar jeder Leidenschaft und jeder enthusiastischen Lust sind. Warum sind Kinder so gut beschult und doch entgeistert? Dabei geht es nicht um Unterhaltung, sondern um Begeisterung, um die Kraft, über sich selbst hinauszuwachsen. Das erwartet zwar ohnehin niemand von Schule, aber sie ist auch nicht zu Bescheidenerem fähig. Die Schule ist geradezu ein Maßnahmenbündel zur Unterbindung der Begeisterung, u.a. dadurch, dass sie prinzipiell alle als nicht-lernwillig vorverurteilt; dass sie im 45-Minutentakt agiert (quasi ein "Enthusiasmus-Interruptus"); dass die jungen Menschen zu gleichaltrigen Rudeln zusammengepresst werden; dass kein Weiterfragen gelernt wird, dass Lernen eine unverbindliche Angelegenheit ist, die man gegebenenfalls in klingende Münze verwandeln kann, dass aber sonst keine Konsequenzen aus dem Gelernten folgen (Einsicht = Selbstverwandlung), und davor bewahrt Schule. Schüler/innen sind vielmehr angehalten, das Gelernte periodisch zu veräußern; einmal abgeprüft, hat es sich erledigt. Sie sind damit Zwischenlager, Deponieverwalter ihres Bildungsunrates. Lernen wird somit unerfreulich, nur Besitztitel ohne Konsequenzen, außer, dass Bildung ein Kontoposten in der privaten Lebensbuchhaltung ist. Das Schlimmste ist, dass das Schulsystem Lehrer/innen und Schüler/innen in paradoxe Forderungen verstrickt nach dem Motto: Denn sie dürfen nicht, was sie sollen! Sie befinden sich in einer heillosen und beängstigenden Lage, am Beispiel der Schüler/innen veranschaulicht dies Marianne Gronemeyer so: Dabei betont Marianne Gronemeyer, dass sie hier nur die Schülerseite angeführt habe, dass aber Selbiges für die Lehrer/innen gelte.Nichts liege ihr ferner als eine billige Lehrerschelte! Soweit unsere Mitschrift des exzellenten Vortrages. Auf die Frage aus dem Publikum „Was tun?" meint sie, dass es vor allem einmal darauf ankomme, genau hinzuschauen und zu überlegen, ob wir Schule so wollen. Erst in einem zweiten Schritt sei das „Wie?" anzugehen. Wir berauben uns der Denkspielräume, wenn wir nur auf die Handlungsspielräume fixiert sind. Einstweilen ginge es um den Kampf um die Nischen in der Institution. Der Vortrag von Erich Ribolits „Vom ewigen Flirt der Pädagogik mit der Emanzipation und ihrer Zweckheirat mit der Ökonomie" wird in Kürze dokumentiert. Bis dahin dürfen wir auf den bereits erschienenen Beitrag .
Mimenda, 2007-02-26, Nr. 3422 Denn sie sollen sich nicht entwickeln, wie sie könnten (wenn man sie ließe)!
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