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2007-02-28 Industrie macht Schule Was draufsteht ist drin
Worum's hier geht:
kärnöl-Links zum Thema: "Industrie macht Schule" - ist der Titel eines Artikels in der Dezember/Jänner 2007 Ausgabe der "iv positionen", der Mitgliederzeitschrift der österreichischen Industriellenvereinigung (iv). Die Doppeldeutigkeit des klug gewählten Titels kann dabei wohl nur der unbedarften LehrerInnenschaft den Blick auf das wahre Ausmaß des ideologischen Programms verstellen, das hinter dieser Ansage verborgen werden soll. Denn die ungemein soziale Industriellenvereinigung mit all ihrer "Verantwortung für Gesellschaft und Standort" konstatiert mit diesem Titel nicht etwa, dass Industrie Schule machen würde, im Sinne von "sich als vorteilhaft und daher als nachahmenswert erweisen". Nein! Ganz im Gegenteil zeigt (nicht nur) die Lektüre dieses Artikels, das man sich seitens der iv an das Reinheitsgebot hält. Dort, wo MACHT draufsteht, ist in der Tat MACHT drinnen. Die iv will nämlich mit ihrer aktuellen Bildungsinitiative nichts weniger, als unsere Schule MACHEN. Genaugenommen sollte der Titel daher lauten "Industrie - Macht - Schule". Und das hat seinen Grund. Denn wie man Schule bei der iv wahrnimmt bzw. was man dort insbesondere über LehrerInnen so denkt, lässt man sich von Christian Ortner auf Seite 4 dieser Publikation kommentieren: "Jemanden [die aktuelle Lehrerschaft], der so [globalisierungskritisch] denkt, auf unschuldige kleine Kinder loszulassen, ist in hohem Maße fahrlässig. (Wobei der Schaden des astronomischen Irrglaubens noch gering ist im Vergleich zu jenem, den das wirtschaftspolitische Irresein des Lehrkörpers anrichtet)". Und deshalb, liebe LehrerInnen, die ihr "... derartigen Nonsens ungehindert an [den Euch] anvertrauten und [Euch] ja hilflos ausgelieferten Nachwuchs weitergeben [dürft]" (ebd.), wird sich das jetzt ändern: "Grundlegendes Ziel des neuen iv-BILDUNGSPROGRAMMS ist die Heranbildung von wert-orientierten, ganzheitlichen Persönlichkeiten mit individuell geförderten Talenten und Potenzialen." Wer das fordert, ist nicht etwa gewählter Volksvertreter mit irgendeinem bildungspolitischen Mandat. Nein. Hier maßt sich offensichtlich ein Verein mit nicht einmal 3000 Mitgliedern und bar jeglicher demokratischen Legitimation an, einen der zentralen Bereiche unserer Gesellschaft programmatisch NEU (soll natürlich heißen: in seinem Sinne UM) zu gestalten. Und wie diese Umgestaltung aussehen soll, steht gleich mit oben auf der wehenden Fahne. Wo nämlich WERT-Orientierung draufsteht, liebe (Religions)LehrerInnen, ist genau der WERT drinnen, der gemeint ist. Denn nichts anderes will die iv von den "ganzheitlichen Persönlichkeiten" als dass sich diese selbst die bornierte Konzeption des leistungsorientierten, "international standardisierten" und "gebenchmarkten" "life long learnings" (soll heißen: der lebenslänglichen VerWERTbarkeit des "Humankapitals" am "Standort" Österreich) zum Gesetz machen. Und wenn die Industriellenvereinigung in Österreich etwas (machen) will, dann hat sie es immer noch bekommen. Was sie diesmal genau will, hat sie sich von einer etwa 150köpfigen, sogenannten "Steuerungsgruppe" unter der Leitung von Magistra Monika Kircher-Kohl in ein Papier mit dem kreideweichen Titel "Zukunft der Bildung - Schule 2020" schreiben lassen. Welcher Teufel auch immer die Villacher Grünen dabei geritten haben mag; sie jedenfalls waren es, die diesem Sammelsurium von Zumutungen und Anmaßungen an unsere Kinder zu einem lauten Sprachrohr verhalfen. So geschehen am Montag, dem 26. Feber 2007, im Villacher Congress-Center bei der Diskussionsveranstaltung "Bildung und Schule 2020" mit Monika Kircher-Kohl und Konrad Paul Liesmann am Podium. Auch der Titel dieser Veranstaltung ist ein glänzendes Beispiel für den Erfolg der iv im ideologischen Kampf um Themenführerschaft. Worüber diskutiert wird (werden darf), das formuliert (fast bis zum letzten i-Punkt) die iv. Oder klarer gesagt: das schreibt sie vor. So gesehen war es dann doch überraschend, wie sich dieser Abend zu einem kleinen Highlight in der ansonsten eher ruhigen Villacher Diskussionslandschaft entwickelte. Um die 300 Besucherinnen und Besucher erlebten eine kreideweiche Monika Kircher-Kohl und einen esprit-geladenen Konrad Paul Liesmann, der mit der "Theorie der Unbildung" in Gefolgschaft zu Adornos "Theorie der Halbbildung" gerade sein neues Buch zu Markte trägt. Beginnen lies man aber nicht Liesmann sondern Kircher-Kohl. Und es kam, was kommen musste. Ein wunderschön vorgetragener Sermon, der uns von den humanistischen und auf die ganze Persönlichkeit des jungen, sich bildenden Menschen abzielenden Intentionen berichtete, von denen sich die "Steuerungsgruppe" der iv bei der Entwicklung ihrer Vorschläge (es gibt übrigens auch Hämmer gleichen Namens) leiten lies. Solcherart geleitet entwickelte man dann etwa die folgende DIE „SCHULE 2020“ ERKENNT UND ENTWICKELT POTENZIALE, FORDERT UND FÖRDERT UNTERSCHIEDLICHE BEGABUNGEN UND BEREITET UNSERE JUGEND AUF DIE NEUEN ANFORDERUNGEN VON LEBEN UND BERUF VOR. Diese geradezu unheimlich visionäre Vorstellung einer Schule 2020, die manchem vielleicht schon länger unter dem Schlagwort vom "Non scholae, sed vitae discimus" bekannt sein mag, wird in ihrem neuen Gewande hier natürlich nicht postuliert, um sie argumentativ zu untermauern oder gar in irgendeiner Weise kritisch zu hinterfragen. Wer will (und könnte) schon Visionen argumentieren oder hinterfragen? Nein! Diese, wie alle weiteren sogenannten "VISIONEN" im referierten Papier bleiben (ohne jede Argumentation) genau jene Ideologeme, als die sie gedacht sind. Einleitungstexte zum eigentlichen Inhalt dieses Papiers: Zu zumutenden und anmaßenden, endlosen Maßnahmenkatalogen. Beispiel gefällig? "Massnahme 1: Einführung von Orientierungsverfahren um Talente und Potenziale zu erkennen und zu fördern und Schwachpunkte zu beheben." Klingt gut, was da steht. Klingt ganz gut, wenn sich unsere Kinder, diese kleinen Menschenwesen mit all ihren Wünschen, Träumen und Hoffnungen, mit ihren Unarten und Verletzlichkeiten zuerst einmal orientieren sollen, bevor sie selbstbestimmt jene Entscheidungen treffen, die ihren weiteren Lebensweg bestimmen werden. Oder? Aber die Orientierung, die hier gemeint ist, das ist eine Orientierung, wie die iv sie meint. Diese Orientierung hat jede Reflexivität verloren. Hier sollen nicht die Kinder SICH orientieren, SICH umschauen, SICH ausrichten. Nein! Das genaue Gegenteil ist in dieser euphemistischen Forderung verpackt. Hier werden Verfahren verlangt, mit denen unsere Kinder ganz ordentlich orientiert und tüchtig ausgerichtet werden sollen. Nicht sie sollen SICH orientieren, sie sollen orientiert WERDEN. Und zwar auf den einzigen WERT orientiert, um den es hier geht: Auf den Wert nämlich, der durch ihrer Hände und Gehirne Arbeit mehr werden soll. Und wie das geht, steht gleich dabei: "VERFAHREN" soll mit unseren Kindern werden. Die mechanische Prozesshaftigkeit, die in einer solchen Sprache zum Ausdruck kommt, ist dieselbe wie sie in den Fabriken den Rhythmus allen Tuns bestimmt. Möglichst früh sollen unsere Kinder das VERFAHREN kennen lernen, indem mit ihnen verfahren wird. Möglichst früh will man Zugriff auf Talente und Potentiale erlangen, um sie am monotonen Wert zu orientieren. Will Schwachpunkte beheben. Was dabei aber als Talent und Potential, was als Schwachpunkt zu gelten hat, bleibt freilich völlig ausgespart. Reflexionsfähigkeit jedenfalls scheint nicht zu ersteren zu gehören. Was aber meinen sie dann, wenn sie von "Talent" und "Potential" sprechen, wenn sie "Schwachpunkt" sagen? Irgendwann am Ende der Diskussion rutschte es Monika Kircher-Kohl heraus. Sie hoffe, das Publikum hätte das referierte Papier gelesen - zumindest jene Version, die im Internet veröffentlicht sei. Also die "kürzere", denn die "lange" - und 150 Experten (wofür eigentlich?) der iv produzieren sicher mehr als lumpige 8 Seiten Papier - wolle sie der geneigten Zuhörerschaft gar nicht zumuten. Wie gut sie doch weiss, worum es sich handelt: Eine Zumutung. Und deshalb muss diese 8seitige, frei zugängliche Schlagwortsammlung, mit der man die Öffentlichkeit zur "qualifizierten Bildungsdiskussion" kommandiert, völlig inhaltsleer bleiben. Die grauslichen Details jener Gesetzesnovellen und Reformen, die ohne prinzipielle Zustimmung der iv in Österreich noch nie ein Parlament passiert haben, die stehen dann im "langen", dem Publikum nicht zumutbaren Text. Was zumutbar ist, bestimmt (wie immer) die iv. Wer's nicht glaubt, lese die gleichnamigen Bestimmungen des AMS. Es ist zum Speiben. Und das bereits nach der ersten VISION und nach der ersten daraus abgeleiteten Forderung. Deshalb soll jeder selbst dieses "Papier" lesen oder sonst damit machen was er will. Wenden wir uns lieber dem erfreulichen Teil des Abends zu: "Als diese Gesellschaft in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts das letzte Mal in großem Stil um einen adäquaten Bildungsbegriff gerungen hat,", sagte ein ungewöhnlich oppositioneller Konrad Paul Liesmann sinngemäß, "entwickelte sich die Debatte entlang eines zentralen begrifflichen Spaliers: EMANZIPATION." Wenn sich heute (nach Kirche, Staat, reformpädagogischen Bewegungen, etc...) mit der Wirtschaft wieder einmal jemand anschickt, unsere Bildung "unter seine Kandarre" (Adorno) zu bringen, ersäuft Kreativität im Brackwasser des BENCHMARKS und erfriert menschliches Potential in den Eiswüsten von EVALUATION, internationaler STANDARDISIERUNG und und bewusstloser LEISTUNGSORIENTIERUNG. "INNOVATION statt IMITATION" beschreibe am besten was gemeint ist, zitierte die INFINEON-Monika Kircher-Kohl die vom Alois Mock geküsste SIEMENS-Gitti Ederer. Und bei Gott: "Welche VISIONEN!" haben die beiden Powerfrauen. Aber Konrad Paul Liesmann fragte einfach nur: Was ist denn das eigentlich für eine Innovation, die ihr von einer ganzen Gesellschaft einfordert? Doch nicht etwa jene Innovation, die seit mehr als 100 Jahren auf unsereren Straßen herumgurkt und seit damals von der Schlüsselindustrie eurer "innovativen" Wirtschaft nahezu unverandert hergestellt wird? Jenes Automobil, das heute mit seinem Diesel- oder Ottomotor noch immer das gleiche CO2-Volumen in die Atmosphäre bläst wie zur Zeit seiner Erfindung?. Nun ja, die Wege der Innovation scheinen ohne jede Richtung. Oder könnte es sein, dass die INFINEON-AG recht hat mit ihrem Leitspruch: NEVER STOP SINKING? Jedenfalls gilt: Wer mit einem solchen Innovationsbegriff antritt, der hat in der Tat ein Problem. Nämlich mit der Frage "Warum eigentlich?". Warum sollen Aussenspiegel, die ohnehin gut funktionieren, auch noch elektrisch beheizt werden? Oder anders gefragt: Warum sollen "Talent" und "Potential" von jungen Menschen (unseren Kindern) darauf vernutzt werden, das Strömungsverhalten von Außenspiegeln aerodynamisch so zu gestalten, dass dem Kunden im Fahrgastraum das Fahrgeräusch möglichst wenig stört bei der tägliche Fahrt zu seinem (meist prekären) Arbeitsplatz? Dieser bornierte Begriff von Innovation (genauso wie eure sogenannte Bildungsdebatte) ist unerträglich! Es ist zum Speiben.
Walther Schütz, 2007-02-28, Nr. 3434 Danke für den ausgezeichneten Abriss!
Mimenda, 2007-02-28, Nr. 3436 beim lesen deines beitrags musste ich an ein buch des deutschen romanisten victor klemperers denken: lti (lingua tertii imperii, sprache des dritten reichs). wir haben es hier und heute mit der sprache des fünften reichs zu tun, die du in deinem beitrag nur zu gut beleuchtest. so könnte man statt "orientierungsverfahren" auch "gleichschaltung" schreiben. wir werden durch diese newspeak, deren propaganda keine lautsprecher auf den straßen benötigt, um sich in die köpfe einzunisten, derart auf eine einheitlichkeit des sprechens und deshalb des denkens vergattert, dass jeder, der abweicht, sich kaum mehr verständlich machen kann.
erika, 2007-02-28, Nr. 3438 iv,
Stephan Jank, 2007-02-28, Nr. 3439 Lieber Walther,
Hans Haider, 2007-02-28, Nr. 3440 1.) Es war völlig richtig, dass die Villacher Grünen diese Veranstaltung organisiert haben. Natürlich besteht immer die Gefahr, weil es die Hegemonie des Podiums gibt, dass man einbricht, aber in diesem Fall war der Hegemon auf dem Podium Konrad Liessmann, der sehr gekonnt das Konzept der Industrieellenvereinigung (iv) bloss stellte. Auch einige Beiträge aus dem Publikum haben Monika Kircher Kohl in Erklärungsnotstand versetzt. Die anwesenden Menschen haben das sehr gut verstanden und das war gut so.
Hans Haider, 2007-03-15, Nr. 3477 Im Positionspapier der Industriellenvereinigung "Zukunft der Bildung" gibt es auch eine zaghafte Aussage zur Fächerkombination. Es wird der Vorschlag gemacht ein neues Fach einzuführen: "Technik und Naturwissenschaften". Was damit gemeint ist, wird nicht näher erläutert. Aber man liegt sicher nicht falsch, wenn man dahinter die Absicht vermutet die klassischen Naturwissenschaften Biologie, Physik und Chemie unter den Aspekt der Technik zusammenzufassen. Also unter den Aspekt des "Nutzens". Diese Tendenz wird auch durch die aktuelle Schulpolitik verstärkt und mit verursacht, wo immer wieder gefordert wird im Rahmen des naturwissenschaftlichen Unterrichts auf den alltäglichen "Nutzen" hinzuweisen. Pädagogisch wird argumentiert, dass der weitgehende Verzicht auf Theoriebildung junge Menschen eher für Naturwissenschaften und Technik begeistert und zudem besser geeignet ist für schwächere Schüler. An beiden Aussagen sind Zweifel angebracht und sie widersprechen auch meiner langjährigen Erfahrung als Physik- und Mathematiklehrer. Es ist eher zu vermuten, dass die "Schulpolitik dieser Leute und des Industriellenvereins" im Wesentlichen bestimmt wird von Personen, die selbst der Überzeugung sind, Naturwissenschaft sei grundsätzlich nur praktisch zu motivieren. Aber ein rein pragmatischer Zugang zu den Naturwissenschaften begeistert höchstens infantile Technikfetischisten. Auch das ist meine Erfahrung. In Wahrheit haben die Naturwissenschaften eine philosophische Dimension, die für die Bildung aller Menschen wichtig ist und in den Schulen unbedingt unterrichtet werden muss. Die Naturwissenschaften lassen sich nicht auf Spezialgebiete eingrenzen oder von den Geisteswissenschaften abgrenzen.
Mimenda, 2007-03-16, Nr. 3478 ja, herr haider, sie sprechen mir aus der seele.
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