2005-11-02
2 weitere Jahre kärnöl
Gedankenprotokoll einer Rede anläßlich der 3. Biennale
Es waren 2 ambivalente Jahre. Wir hatten Grund zur Trauer. Am 22. Oktober 2004 riss
Peter Lamingers Tod einen Mitstreiter der ersten Stunde aus seinem und damit auch aus unserem Leben. Was bleibt, ist seine Kunst. Und die Erinnerung an den vielseitigen Villacher Künstler, der an jenem
16. Oktober 1999 eine merkwürdige Assoziation namens kärnöl mitbegründete. Mit großer Lust und Freude erinnere ich mich noch an die heftigen Diskussionen um seine Idee, dieses Gebilde "CULT" zu benennen. Er war aber an diesem Tag ohne die geringste Chance gegen den Wortwitz von Hermann Obiditsch, den Wirt des gleichnamigen Gasthauses in der Villacher Gerbergasse, der mit seiner Ansage "'Kärntner Kunst in schwerem Öl', also wohl 'kärnöl'", letztlich das Rennen entschied.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auf das Herzlichste bei Josip Majewski bedanken, der in den letzten Monaten in einem Akt schier übermenschlicher Anstrengung die Aufarbeitung des gesamten künstlerischen Nachlasses von Peter Laminger erledigt hat. Die daraus resultierende Ausstellung
Peter Laminger 1955-2004 im Villacher KUNSTHAUSSUDHAUS gehört zum Nobelsten, was in Kärnten in den letzten 2 Jahren zu sehen war. Der empfehlenswerte Katalog, der einen hervorragend gestalteten Überblick über Peter Lamingers Gesamtwerk bietet, kann auch über uns bezogen werden.
Wir hatten in den vergangenen 2 Jahren aber auch Grund zum Ärger. Ich erinnere etwa an das unsägliche Granatapfelprojekt der Kärntnerin Gerhild Tschachler-Nagy, welches über das gesamte Jahr 2004 die Kunst- und Kulturszenerie in Kärnten vereinnahmt hat. Dieses Projekt hat einem ganzen Land vor Augen geführt, was das genaue Gegenteil dessen ist, wofür kärnöl steht. Mit einem antiemanzipatorischen und mit tendenziell rechter Esoterik verbrämten Kunst- und Kulturbegriff wurde da eine ganze Schar von Künstlerinnen und Künstlern dem Kapital als Hure feilgeboten. Denn übertroffen wurde das miese Schauspiel einzig von der Länge seiner Sponsorenliste, die gepickt war von Proponenten genau jenes "kulturpolitisch geförderte Kärntner Kulturgeschehens", gegen welches das Projekt anzutreten vorheuchelte. kärnöl hat
seine Position gegenüber diesem Projekt klargestellt.
Es waren aber auch 2 Jahre positiver Entwicklung für kärnöl. So hat sich etwa unsere Website zu einem vielgenutzen Ort der Kommunikation für viele kritische Mitbürgerinnen und Mitbürger entwickelt. Bei konservativer Zählung und steigender Tendenz halten wir zur Zeit einen Schnitt von täglich weit über 100 visits. Wir laden alle Interessierten ein, weiter zum Gelingen dieses Projekts beizutragen, damit dieses Sprachrohr lauter werden kann mitten in der systemaffirmierenden, bürgerlichen Medienwüste. Sprechen wir hier aus, was sie sonst nirgends drucken oder senden. Hören wir auf, ihr borniertes Gesülze zu lesen und beginnnen wir zu schreiben. Hören wir auf, ihrem selbstgefälligen Geseiere zuzuhören und beginnen wir zu sprechen.
In langen Diskussionen und in beinahe körperlich geführten Auseinandersetzungen haben wir in den vergangenen 2 Jahren auch unsere gesellschaftspolitischen Positionen weiterentwickelt. Unsere marxistische Sommerakademie 2004 wird unvergessen bleiben. Es sollte sich bei vielen nachfolgenden Veranstaltungen zeigen, dass es uns dabei gelungen ist, den Standpunkt unserer Kritik weit jenseits dessen zu verorten, was ist. Das ermöglicht uns lange Hebel in der Kritik der bewußtlosen bürgerlichen Halluzination von der Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Verfasstheit unserer Gesellschaft. Es hat sich dabei gezeigt, dass das Niveau unserer Diskussion den überregionalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Orientiert an der Wertkritik der deutschen
Krisis-Gruppe bzw. der österreichischen
Streifzüge gelingt es uns in immer weitreichenderen Kontexten klar herauszustellen, was das einzige Gebot der Stunde ist: Eine andere Welt ist möglich. Kapitalistische Waren- und Wertproduktion ist keine genetische Determinante der Menschheit. Vielmehr gleicht sie einer Gottheit der Maya, deren Priester sie durch Opfer zu beschwichtigen suchten. Persönliche, individuelle Opfer (Menschenopfer?), wie all die bürgerlichen Parteien der europäischen Staaten sie zur Zeit ihren Bürgerinnen und Bürgern einzureden versuchen. Aber wie schon bei den Maya werden Opfer nichts verändern. Ganz im Gegenteil gilt: Könnten Opfer etwas verändern, wären sie schon längst verboten. Die reformistische Vision der bürgerlichen Linken bedarf eines Arztes. Und soweit wir das sehen, hat der richtige Doktor zuerst in Trier und dann in London ordiniert.
Neben all den künstlerischen Veranstaltungen, den Ausstellungen, Konzerten, Lesungen, etc. bezüglich derer ich Sie auf unsere umfangreiche
Veranstaltungsdokumentation verweise, war 2005 gekennzeichnet von der 7teiligen Veranstaltungsreihe
(c) Eigentum", für deren Gelingen ich mich ganz herzlich bei Walther Schütz und dem Bündnis für 1 Welt/ÖIE bedanken möchte, ohne dem dieser Dialog mit vielen systemkritischen Freundinnen und Freunden aus ganz Österreich nicht gelingen hätte können. Daniel Kirchmeier und seiner Firma Datenkonzept sei die Herausgabe einer eigens dafür erstellten kärnöl-Linux Distribution im Zuge seines Vortrags
Linux - eine Mehlspeise" bzw. der daran anschließenden Linux-Installationsparty herzlichst gedankt. Neben dem Artikel
Schwarzleser – die Kriminellen der Zukunft? von Hans Smoliner, der mir dabei besonders in Erinnerung geblieben ist, sei die Lektüre aller, im Zuge dieser Veranstaltungsreihe entstandenen Beiträge ans Herz gelegt. Sie alle öffnen einen Blick auf die Abgründe einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern die Verhandelbarkeit ihrer Grundlagen komplett entzogen hat
2005 war und ist aber auch jenes unsägliche
Geh' danken! JA!!" gewesen, zu dem es die Schüssel-Regierung ausgerufen hat. Ein hurrapatriotischer Event-Overkill unter der schlechten Regie des noch schlechteren Schauspielers Morak und seiner Sektion 1/4/b des Bundeskanzleramtes. Bereits 2004 haben wir gemeinsam mit Andreas Dworak eigens dafür das geradezu wegweisende Video
"praktisch nix" produziert, mit dem kärnöl im Wiener WUK und bei der offiziellen Niederösterreichischen Gedenkfeiern zum Jahr 2005 präsent war. Wie sehr unsere damaligen Befürchtungen berechtigt waren, hat sich ja nicht zuletzt am 26. Oktober auf der Wiener Ringstraße gezeigt.
Was die Zukunft angeht, so muss man sich um kärnöl keine Sorgen machen. Das Herbstprogramm ist dicht gedrängt und für das kommende Jahr ist eine weitere große Serie, diesmal zum Thema "Arbeit" in Planung und Ausarbeitung. Jetzt schon laden wir alle herzlich ein, sich am Diskussionsprozess über dieses Killerthema der aktuellen Krise zu beteiligen. Mir bleibt nur noch eines:
Happy birthday, kärnöl.