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2005-04-21 Wirtschaftsdemokratie Warum Wirtschaftsdemokratie heute unabdingbar geworden ist Einige Thesen und Umrisse eines sich abzeichnenden Konzeptes Vor einem Jahr lief auf www.kaernoel.at eine ziemlich intensive Debatte über Alternativen zum gegenwärtigen System. Nun wird in wenigen Tages Peter Ulrich Lehner im Rahmen der Reihe „Eigentum“ einen Vortrag über „Wirtschaftsdemokratie“ halten. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, die Diskussion über Alternativen wieder aufzunehmen und mit der Eigentumsdiskussion zu verknüpfen. Damals hatte ich ja – nach Überlegungen zur Umverteilung ( Einmischen statt Auslöffeln)und zur Bewahrung von Bereichen außerhalb der Verwertungslogik des Kapitals ( Umrisse eines radikalen Reformkonzptes) – noch einen Beitrag angekündigt, wie denn die „klassische“ Wirtschaft selbst in Griff zu bekommen wäre. Und dieser Beitrag liegt hiermit vor. Der Beitrag selbst geht bereits auf Vorüberlegungen aus dem Jahr 1994 zurück, einer Zeit also, als die Gesellschaft „besoffen“ war vom vermeintlichen Endsieg des Kapitalismus. Inzwischen hat sich mit der Globalisierungsdiskussion und einer Wiederbelebung marxistischer Gesellschaftskritik das Spektrum der Diskussion verschoben – sie geht wesentlich mehr in die Tiefe. Ich würde daher heute manchen Aspekte anders betonen, dennoch lasse ich den Text im wesentlichen in seinem Zustand aus dem Jahr 2001. 1. Der technische / gesellschaftliche Entwicklungsstand: a) Es klingt sehr banal, wird in seinen Konsequenzen aber oft zu wenig durchdacht: Durch den technischen Fortschritt besitzen einzelne Menschen ein extrem hohes Potential an Produktivität und Destruktivität. b) Diese hohe Produktivität des / der Einzelnen kommt nur zustande durch ein extrem hohes Maß an „Vergesellschaftung“, d.h. dass nicht der / die Einzelne für sich – im Sinne eines Einsiedlers – etwas macht, sondern am Ende einer langen Kette von Arbeitsteilung steht, die praktisch die ganze Gesellschaft durchzieht. Ein paar Beispiele:
Diese drei Beispiele zeigen neben der unmittelbaren Leichtigkeit, mit der Produktivität / Destruktivität ausgelöst werden kann, ein zweites: Sie sind das Ergebnis der vorangegangenen Arbeits-/Forschungsleistungen von zig Generationen und nur denkbar in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft. Der Schubraupenfahrer im Regenwald kann nur agieren, weil ganze Produktionsketten Schmiermittel und Treibstoff zur Verfügung stellen, weil Techniker/innen ein entsprechend effizientes Gerät entwickelt haben, weil andere Menschen in Fertigungshallen das Gerät zusammengebaut haben .... Ähnliches gilt für die Interkontinentalrakete, direkt und indirekt sind an ihrer Erstellung Tausende von Menschen beteiligt, von den Arbeitern im Uranabbau über Techniker/innen, die die Chips erstellen, .... Und auch beim dritten Beispiel, dem über die gentechnische Forschung und Entwicklung gilt: Auf der letzten Stufe sind vielleicht ein paar wenige Spezialist/innen beteiligt, insgesamt ist Gentechnik aber ein Feld, das auf der Arbeit von Tausenden beruht. Die Situation ist paradox: Obwohl durch Produktivität / Destruktivität in manchen Fällen die gesamte Menschheit betroffen sein kann und obwohl diese Destruktivität / Produktivität das Ergebnis der Arbeiten von vielen Generationen von Menschen und dem Zusammenwirken der jetzt Lebenden ist, ist die Verfügungsgewalt über wesentliche Mittel extrem eingeschränkt:
Daher eine zentrale These: Das ungeheure Destruktivitäts- und Produktivitätspotential wird sich kaum mehr wieder unerfunden / unentwickelt machen lassen. Worum es aber als unabdingbare Überlebensvoraussetzung gehen muss, ist, dieses Potential zu zähmen. Diese Zähmung muss ein Maximum an Wissen einbringen – ein Maximum, das ein an der Spitze einer Pyramide zusammengefasstes Entscheidungsgremium nicht haben kann und ein blinder Marktteilnehmer schon gar nicht. Vielmehr geht es um eine radikale Demokratisierung aller Lebensbereiche. Diese Demokratisierung alleine ist sicher keine hinreichende Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, ist aber die Voraussetzung, um überhaupt einmal über Werte und neue „Leitbilder“ der Menschen diskutieren und diese auch durchsetzen zu können. 2. Der Drang nach „MEHR“ Den Kapitalismus charakterisiert neben den in These 1 skizzierten systemübergreifenden Zivilisationsrisiken einen Wachstumszwang: Für das Kapital – und immer mehr Bereiche des Lebens werden in den formellen Wirtschaftskreislauf einbezogen und damit selber zu „Kapital“ – gilt: Es muss wachsen oder es ist in der Krise. Dies ist eine besondere Qualität der kapitalistischen Gesellschaft – es geht nicht um GENUG, sondern es geht nur um „MEHR“. Dieser Drang nach „MEHR“ ist nicht zu verwechseln mit dem individuellen Geiz des Einzelnen, der Raffsucht, die ja etwa im europäischen Mittelalter, aber auch in den meisten anderen Gesellschaften mit Tabus belegt waren. Immer mehr zu wollen wurde als gesellschaftlich kontraproduktiv erkannt und in einer moralischen Begründung als „Todsünde“ verurteilt. Dieser Drang nach Mehr ist auch etwas anderes als das „Macht Euch die Erde untertan“. So fragwürdig ein solcher Leitsatz auch ist, wie fragwürdig ist dann erst der Drang nach unendlichem Wachstum? Ja, wie soll es überhaupt möglich sein, sich die Erde immer „untertaner“ zu machen? Nebenbemerkung: Als Lösung der Wachstumsproblematik wird oft die „Informationalisierung“ der Ökonomie angeboten. Ein immer Mehr an Informationen würde die ökologischen Schranken des bisherigen - industriellen - Wachstums überwinden, heißt es. Dazu:
Letztlich erweist sich der Traum von der Informationsgesellschaft so als (Alb-)Traum vom unendlichen Wachstum. ÖKO-Steuerkonzepte gehen genau in diese Richtung. Motto: Wasch‘ mir den Pelz (sprich: Rette die Umwelt), aber mach mich nicht nass (Hinterfrage nicht den Wachstumszwang). These: Nicht alleine die Qualität, auch die schiere Quantität menschlicher Entwicklung und vor allem die Perspektive, daß ein Ende des Wachstums nicht nur nicht in Sicht, sondern auch mit einer kapitalistischen Wirtschaft unvereinbar ist, macht ein Nachdenken über Sinn und Zweck von Wirtschaften als Alternative zum Konzept „Wachstum in alle Ewigkeit“ notwendig. Dieses Nachdenken muss kollektiv, das heißt demokratisch erfolgen, will man nicht den Weg der Beschränkungen „von oben“ – also zentralplanwirtschaftlich – verfolgen. Gefahr des ideologischen Rückfalles in einen Neo-Keynesianismus Die neoliberale Version von Kapitalismus hat, nach einigen Schrecksekunden (Schreckjahren, die insbesondere auch dem Umstand des Zusammenbruchs des „real existierenden Sozialismus“ geschuldet waren), seine Gegner mobilisiert. Zahlreiche Initiativen – alt oder neu – haben sich gebildet bzw. sind mobilisiert. Die Rede ist von der Notwendigkeit einer „Re-Regulierung“. Diese Reregulierung wird gedacht als eine – an die geänderten Bedingungen angepasste – erneute Regulierung der Finanzmärkte (nachdem das alte geregelte Finanzsystem der Nachkriegszeit, dem erst in den 70er Jahren das Lebenslicht ausgeblasen wurde, nicht mehr existiert), eine Reregulierung der Investitionen, eine Reregulierung der Arbeitsmärkte (etwa durch die Einführung von sozialen Mindeststandards gemäß ILO-Konvention), eine Neuinstallierung des Steuerwesens (etwa durch eine Vereinheitlichung der Besteuerung auf EU-Ebene) ... So richtig diese Forderungen im einzelnen sind (ich habe im folgenden die wichtigsten Punkte aufgelistet), so ist doch die Frage aufzustellen: Wozu eine neue Regulierung? Geht es nur darum, eine andere Form des kapitalistischen Wachstumsmodell zu installieren, eines Modells, das zugegebenermaßen eine breitere Schicht von Gewinnern kennt und von daher viel sympathischer ist? Oder geht es vielleicht darum, durch eine neue Art der Regulierung für mehr soziale Gerechtigkeit, eine nachhaltigere Form des Wirtschaftens, einen Ausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen den Geschlechtern durchzusetzen? Dass dem Neoliberalismus ein ebenso wachstumsorientierter Neo-Keynesianismus folgen könnte, ist erschließbar aus der oft vorgebrachten Kritik, dass das vorherrschende ökonomische Modell seinem selbst proklamierten Ziel – Wiedererringen hoher Wachstumsraten - nicht gerecht werde. Und tatsächlich, die Wachstumsraten der Wirtschaft bleiben eigentlich – trotz des Geredes von der „new economy“ – vergleichsweise bescheiden. Insofern ist die Kritik am Neoliberalismus berechtigt. Dennoch: Es kann ja in einer Welt, die am Rande des ökologischen Kollapses steht, nicht das Ziel einer Reregulierung sein, lediglich ein methodisch anderes, noch effizienteres Wachstumsmodell durchzusetzen. Vielmehr gilt: Dem, was sich hier als zentrale Elemente eines Alternativprogramms zum Neoliberalismus abzeichnet, muß eine nachhaltige, emanzipatorische Perspektive gegeben werden. Ein solches Alternativprogramm kann sich nicht mit einer bloßen Ansammlung von Reregulierungsmaßnahmen begnügen. 4. Die Chance: Selbstverwirklichung durch schrittweise Überwindung der Entfremdung im Lohnarbeitsprozess Es geht beim Konzept einer „Durchflutung“ der Wirtschaft mit Demokratie nicht nur um die Vermeidung von Zivilisationskatastrophen oder auch „nur“ um die Verhinderung von sozialer Ungerechtigkeit– in einer bescheideneren Variante. Es geht auch um die Chance auf ein besseres Leben. Es geht um eine andere, sinnvollere Arbeit, um eine allmähliche Zurückdrängung der Lohnarbeitsverhältnisse. Denn das Wesen der Lohnarbeit ist, daß ich als Verkäufer meiner Ware Arbeitskraft nicht mehr oder nur mehr bedingt der Herr meiner selbst bin. Auch modernes, sich human gebendes Management hat eine entscheidende Schranke: Mitbestimmung im Arbeitsprozess wird nur solange geduldet, als es nicht dem Unternehmensziel (und das ist letztlich der Profit) entgegensteht. Gerade auch in Bezug auf ein nachhaltiges Lebensmodell hat die Emanzipation im Erwerbsarbeitsprozess enorme Bedeutung: Nur über eine echte Teilhabe an der Gesellschaft kann die Spirale aus „Frust“ und dessen Kompensation durch immer höheren Konsum durchbrochen werden. Abgesehen von der Befriedigung fundamentaler Bedürfnisse löst ein Mehr an Geld für sich alleine noch keine Zufriedenheit / kein „Glück" aus. Dabei geht es um alles andere als um eine „neue" Innerlichkeitsdiskussion nach dem Motto "arm, aber glücklich", sondern um die Frage politischer Emanzipation. Arm kann man sich auch fühlen, wenn man lediglich keine Markenjeans hat. Vielmehr kommt es darauf an, wie sehr ich in einer Gesellschaft mitbestimmen kann, wie sehr ich Subjekt bin. Insofern muß die Diskussion weit über die bestehenden sozialen Verhältnisse hinausreichen. Eine engagierte sozialpolitische Diskussion ist zwar an sich richtig, aber verkürzt. Und schon gar nicht kann man die soziale Ausgrenzung durch bloße Eingliederung in den "Erwerbsarbeitsmarkt" bekämpfen - dieser hat ja meist wirklich nichts "Emanzipatorisches" an sich. 5. Wirtschaftsdemokratie als Prozess und Durchgangsphase Wirtschaftsdemokratie ist – obwohl momentan mega-out – ein schillernder Begriff. Bereits bisher wurde er im Zusammenhang mit der Sozialpartnerschaft gebraucht: Oft war von Wirtschaftsdemokratie die Rede, wenn es um die Beeinflussung der Wirtschafts-POLITIK im Sinne der Mitbestimmung der Interessensvertretungen bei den Rahmenbedingungen gegangen ist. Ziel war es, daß die Ergebnisse des kapitalistischen Wirtschaftens halbwegs allen zugute kommen (wobei unausgesprochen das Idealbild, an dem man sich orientierte, der männliche Vollerwerbsfacharbeiter war). Solche Elemente beinhaltet die hier vorgestellte „Wirtschaftsdemokratie“ AUCH, gleichzeitig geht sie aber darüber hinaus – sowohl was das Ausmaß an Demokratie (unmittelbare Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens) als auch was die Ziele betrifft! Das hier vorgestellte Konzept „Wirtschaftsdemokratie“ versteht sich nicht als fertiges Konzept, sondern als eine „Baustelle“ – es bestehen zahlreiche Ungereimtheiten bzw. auch Differenzen bei einzelnen Elementen. Hier ein paar Beispiele:
Ein anderer Aspekt ist die Prozesshaftigkeit: Im folgenden ist ein ganzer Katalog von Maßnahmen aufgelistet. Dieses mutet sehr technokratisch an. Primär aber soll das Konzept „Wirtschaftsdemokratie“ dazu dienen, eine nachhaltige, humanistische gesellschaftliche Vision zu forcieren. Diese positiven Ziele sind ja auch das, was bei aller Unterschiedlichkeit der Problemfelder, in denen sich die einzelnen Bewegungen mit ihren konkreten Vorschlägen bewegen, verbindet. Da es aber um die Umsetzung dieser Visionen geht, darf man nicht bloß auf der Ebene der Wertediskussion stehen bleiben. Die Visionen müssen auch in umsetzbar Forderungen „operationalisiert“ werden. Denn der derzeit vorherrschende gesellschaftspolitische Fatalismus hat sicher eine Ursache, daß angesichts des politisch durchgesetzten Standes an Entdemokratisierung (als Kern des neoliberalen Projektes „Globalisierung“) die Meinung allgegenwärtig ist, daß man ohnehin nichts machen könne als sich dem Markt anzupassen. Dies ist das sogenannte TINA-Syndrom, das ist die Abkürzung von „There is no alternative – es gibt keine Alternative“. TINA wurde bekannt durch Margret Thatcher, die Anfang der 80er Jahre in Großbritannien den Abbau des Sozialstaates, die allseitige Durchsetzung von Konkurrenzmechanismen und das Zurückschrauben öffentlicher Regelungen mit genau diesen Worten begründete. Aber es gibt eine Alternative! Wir müssen sie natürlich wollen, sie ausformulieren und in großen und kleinen Schritten durchsetzen. Die Diskussion über die Werte UND über konkrete Maßnahmen muß Hand in Hand gehen! Längerfristig gesehen kann das Konzept Wirtschaftsdemokratie nur eine Übergangsphase sein. Sie ist ein radikales Reformkonzept. Ein Reformkonzept ist Wirtschaftsdemokratie insofern als es bei den bestehenden Verhältnissen, Widersprüchen und Kräften ansetzt. Radikal ist dieser Reformversuch aber insofern, als er nicht bloß ein Weiterwursteln ermöglicht, sondern Freiräume eröffnen soll: Freiräume in zeitlicher Hinsicht, um nachzudenken, in welche Richtung es gehen soll (als klare Absage an den forcierten Anpassungsdruck an den Weltmarkt - SPEED KILLS! Freiräume in institutioneller, machtpolitischer Hinsicht: Politische Gestaltungsräume sollen erhalten, ausgeweitet und eröffnet werden. Erst so können überfällige längerfristige Diskussionen eröffnet werden: Wieviel und welchen technischen Fortschritt wollen wir eigentlich? Wieviel an Konkurrenz ist uns zuzumuten? Wieviel und welchen Wohlstand wollen wir? Wer ist überhaupt dieses wir – der / die Einzelne, die Gruppe, der Staat? ... Es geht zunächst einmal darum, die Voraussetzungen zu erkämpfen, um in verschiedenen Optionen denken zu können. Einige Maßnahmen wie man sich Wirtschaftsdemokratie vorstellen könnte:
Arnulf, 2005-05-16, Nr. 1933 ... sollte:
Walther Schütz, Bf1W/ÖIE, 2005-05-20, Nr. 1936 Nachdem das Folgende nicht seinen Weg auf die Kolumne "ZUM VORMERKEN" gefunden hat hier unter Leser/innenbriefe bzw. Reaktionen eine wichtige Sendungsankündigung:
Friedrich Wernitznig, sen., 2006-04-16, Nr. 2504 Lieber Walther!
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