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2004-03-30 Bereiche außerhalb der Kapitalverwertungslogik bewahren und ausweiten Teil 2: der Umrisse eines radikalen Reformkonzeptes Genügen Umverteilung ... Mit dem 2. und 3. Teil des Artikels von Peter Ulrich Lehner sind wir bei der 2. Runde der kaernoel-Diskussion um nachhaltige Alternativen zu Neoliberalismus / Globalisierung angelangt. Im ersten Paket unseres Diskussionsprozesses ging es im Wesentlichen um die Verteilungsfrage. Dabei kreisten die Vorschläge um gerechtere Versionen der Besteuerung, um Arbeitszeitverkürzungen und um soziale Absicherung – letztere entweder in Form eines Grundeinkommens (Kohle für alle) oder in Form einer Grundsicherung (Beibehaltung des jetzigen Systems der Sozialversicherungen bei gleichzeitiger Schließung der sich immer mehr auftuenden Lücken). ... und andere Steuern? Eine solche Umverteilung alleine hat allerdings noch nichts mit der Frage einer nachhaltigen Alternative zu tun. Klar, aus einem „fortschrittlichen“ Standpunkt wird gehört eine grundlegende Absicherung zum Kern eines Konzeptes vom „besseren Leben“ – aber reicht das? Was ist mit dem Rest der „schönen Maschine“, wie Robert Kurz den Kapitalismus nennt? Ist der Kapitalismus, wie Robert Kravagna meint, eigentlich ein optimales System, wenn nur ein Menschenrecht auf Versorgung in bestimmten Bereichen gesichert sei? Oder wenn ich die Diskussionsbeiträge von Rudi Mletschnig hernehme: Er sieht den Kapitalismus zwar nicht kritiklos, aber für ihn reicht es, an einigen Stellschrauben des Systems – der Umverteilung und ergänzenden Maßnahmen wie Ökosteuern - Korrekturen vorzunehmen. (Zitat: Es „müssten wichtigste Selbst-Steuerungsmechanismen nach - bis umjustiert werden“). Geändert werde sollte nach Mletschnig auf keinen Fall der Marktmechanismus: „Aber wenn ich einige Artikel durchsehe, glaubt man noch immer an die Abschaffung des Kapitals. Ein Vorschlag, z.B. das Geld abzuschaffen ist aber so abstrus, dass man es sich gar nicht ausmalen kann, ein paar tausend Jahre zurückzuschrauben...“ Und in einem Mail schrieb mir Mletschnig: "Falls dein Trick darin besteht, Nachfrage und Angebot (Kern der Marktwirtschaft) abzuschaffen, bedeutet dies, dass dann jemand (vielleicht Du?) für andere entscheidet, welche Socken und wie viel und welche Kartoffel er kaufen darf usw. Ich glaube, das müsste genügen, um eure 'Vorschläge' zu überdenken." Da sind wir ganz offensichtlich an einem Knackpunkt in der Diskussion. Das Alltagsbewusstsein sagt: Der Mletschnig hat Recht. Oder wie es die eiserne britische Premierministerin Margret Thatcher vor gut 20 Jahren formulierte: „TINA - there is no alternative“. Ignoranz gegenüber den Realitäten Solche Bilder vom einfachen Konsumenten, der dem einfachen Anbieter gegenüber steht, werden in jedem Einführungsbüchlein der Wirtschaftskammer wiedergekaut. Der Punkt ist, dass das Bild ein Idyll zeichnet, das nicht im geringsten einem komplexen kapitalistischen (Welt-)System entspricht. Um nur einmal beim Kartoffelbeispiel zu bleiben: Welche Kartoffeln überhaupt zur Auswahl stehen, entscheiden weder ich noch die Billa-Verkäuferin. Vielmehr sind der allergrößte Teil der 1000enden [!!!] von Erdäpfelsorten in Genbanken von Multinationalen Konzernen und mit ihnen verbundenen staatlichen Stellen „verschwunden“, werden durch die Patentierbarkeit und andere Sorten-„Schutz“-Mechanismen zur Quelle von Monopolentscheidungen und wahrscheinlich demnächst gentechnisch „angereichert“. Das wäre einmal die Ebene der „finsteren Mächte“, die noch halbwegs nachvollziehbar ist und entsprechend für wüste Multi-Schelte, Verschwörungstheorien etc. von ganz rechts bis ganz links herhalten muss. Noch weniger sichtbar ist allerdings die Ebene dahinter, die sich hinter dem Rücken der Beteiligten blind durchsetzt. „Habe ich als Konsument überhaupt die Kohle, um mir die Erdäpfeln kaufen zu können?“ – BefürworterInnen eines Grundeinkommensmodells werden sagen: ja. Denn mit dem Modell Kapitalismus plus Grundeinkommen hätte ich ja dafür immer das Geld für ´s Chappy. Aber genau da ist die Schnittstelle zwischen an sich wünschenswertem „Kohle für alle“ und der Eigendynamik des Kapitalismus: Es bedarf unter Umständen nur eines Börsencrashs auf der anderes Seite der Erdkugel (und dazu reicht im Extremfall die Explosion einer Bombe), um die ganze schöne Maschine ins Stottern zu bringen und damit auch die Finanzierungsquelle für das Grundeinkommen. Dazu kommt, dass der Kapitalismus in sich selbst Mechanismen eingebaut hat, um zur Krise zu kommen: Einerseits muss die Profit-RATE hoch bleiben, weil aber ständig mehr an Kapital eingesetzt („re-investiert“) wird, müsste auch die Profit-MASSE insgesamt überproportional steigen. Wo diese Steigerung gelingt, ist das System gleich von der anderen Seite in der Klemme: Überproportionale Steigerung der Profitmasse bedeutet unterproportionale Steigerung der Massenkaufkraft und damit Überproduktionskrise, Erlahmen der (NICHT NACHHALTIGEN) Wachstumsdynamik, Entlassungen ... Aus diesem Dilemma helfen all die verschiedensten – auch von mir massiv vertretenen - Umverteilungsmaßnahmen nicht heraus. Umverteilung ist langfristig nur ein sinnvoller reformerischer Zwischenschritt. Worum es geht ist, dass sich die Menschheit andere Regeln des Zusammenlebens und Wirtschaftens gibt als die des globalen „Mensch ärgere dich nicht“-Spiels. TAMA – "there are many alternatives" An dieser Stelle könnten nun prinzipielle Befürworter der “Marktwirtschaft” durchaus zugeben, dass das System Fehler habe, aber es gäbe halt nichts besseres (siehe oben die Socken- und Erdäpfelbeispiele). So eine Meinung ist indes hochgradig ignorant, übersieht sie doch eine banale Tatsache: Selbst in einem hochentwickelten Kapitalismus wie dem Österreichischen wird nur ein Teil von Wirtschaften in Form von reiner Marktwirtschaft abgewickelt. Die Graphik zeigt systematisch die Dimensionen von „Wirtschaft“, die von der klassischen, auf Geldmessung fixierten „Volkswirtschaftslehre“ ausgeblendet wird:
Was nun die Diskussion um eine nachhaltige Gesellschaft angeht: Diese Sektoren sind vergleichsweise effizient in einem gesamtgesellschaftlichen Sinn (und nicht im üblichen betriebswirtschaftlichen Sinn, der darauf hinausläuft, aus dem / der einzelnen LohnarbeiterIn möglichst viel an Leistung herauszupressen): Öffentliche Pflichtversicherungen wie z.B. die Gebietskrankenkassen haben einen Verwaltungsaufwand um die 3 %, während der der privaten Versicherungen bei 22% liegt. Arbeiten nun die letzteren etwa wirklich pro Person weniger, wird da geschlafen? Sicher nicht, aber die Arbeit bei den Privaten geht zu einem großen Teil darin auf, einander die Versicherten abspenstig zu machen, man muss entsprechende Gelder in die Werbung stecken! Auch volkswirtschaftlich zeigt sich die Unterlegenheit eines privaten Gesundheitssystems: Während Österreich mit einem Mischsystem laut OECD-Statistik 8,2% des BIP für Gesundheit ausgibt (und dabei fast alle ÖsterreicherInnen versorgt), liegen die entsprechenden Zahlen der USA bei 12,9% - wobei in den USA nach Schätzungen der FedStats die Zahl der US-BürgerInnen, die ganz oder vorübergehend ohne Versicherungsschutz waren, auf 71,5 Millionen gestiegen ist.[1] Nun ist dieser Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge keinesfalls eine Idylle. Wie Peter-Ulrich Lehner in seinem Beitrag „Elemente einer Alternative“ vom 17.3. schreibt, wurden diese Bereiche ja z.T. auch von der Obrigkeit nur zugelassen, um revolutionären Dampf aus der Bevölkerung abzulassen. Deswegen tragen sie vielfach den Makel einer hierarchischen Struktur in sich. Und diese Bereiche sind fast immer von der Privatwirtschaft verseucht, was zum Beispiel im Gesundheitsbereich für diverse Pharmamultis für Monopolprofite sorgt. Aber trotz alledem: Gerade die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge weisen in Richtung einer besseren Gesellschaft. Sie führen bereits heute vor, dass es etwas anderes geben könnte als die Kastrierung des Menschen auf den Status von Einzelindividuen (KonsumentIn), die ja von der Struktur her nichts anderes im Kopf haben können als die individuelle Nutzenmaximierung (siehe auch „Reaktionen auf Beiträge Nr. 1028“). Es ist wohl diese über den Kapitalismus hinausweisende andere Logik der öffentlichen Daseinsvorsorge, die so sehr den Hass der Hohepriester des Neoliberalismus auf sich zieht - abgesehen davon, dass alleine bei den Sozialversicherungen ein NICHT-Markt im Wert von 35 Mrd EURO (= 480 Mrd. Schilling) schon gewisse Begehrlichkeiten wecken kann!
Demnächst auf www.kaernoel.at weitere Handlungsansätze:
Bisher von Walther Schütz erschienene Beiträge im Rahmen der „Alternativen-Diskussion“:
Rudolf Mletschnig, 2004-04-28, Nr. 1124 Hallo Walther,
Rudolf Mletschnig, 2004-04-28, Nr. 1125 sollte natürlich heissen
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